Der Dekan des Kardinalskollegiums, Joseph Ratzinger, geht als Favorit ins Konklave - vor dem Brasilianer Claudio Hummes, dem Mailänder Erzbischof Dionigi Tettamanzi und Kurienkardinal Francis Arinze aus Nigeria.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wie ein Zeichen des Himmels reißen die Wolken auf. Nach tagelangem Regen strahlt zur "Missa pro eligendo papa" (Messe zur Papstwahl) am Montag in Rom die Sonne. In einer feierlichen Prozession ziehen der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger und alle anderen Purpurträger in den Petersdom ein. Mit erhobenen Händen eröffnet der Kurienkardinal aus Bayern das Zeremoniell zur Wahl des neuen Papstes. Wenige Stunden später werden sich die "Fürsten der Kirche" zur Wahl in die Sixtinische Kapelle zurück ziehen.
Der Mann mit den weißen Haaren, die zentrale Figur in diesen Tagen "zwischen den Päpsten" (Sedisvakanz), erscheint erschöpft, sein Blick wirkt entrückt. Mit einem großen weißen Taschentuch wischt sich der 78-Jährige den Schweiß von der Stirn. Er selbst ist einer der großen Favoriten bei der Wahl.
In Zweierreihen ziehen die Purpurträger zum Hauptaltar im Petersdom und verbeugen sich. Ratzinger schreitet um den Altar und schwenkt das Weihrauchgefäß. Liturgische Gesänge erfüllen den Raum unter dem hohen Gewölbe. "Aber in dieser Stunde beten wir vor allem eindringlich zum Herrn, damit er uns nach dem großen Geschenk, das Papst Johannes Paul II. war, wieder einen Hirten ganz nach seinem Herzen schenkt."
Die Papstwähler sitzen im Halbrund um den Altar und beugen sich tief über ihre Gebetstexte. Die Strapazen dieser Tage sind nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Manch einer hält den Kopf ganz tief, doch an Ruhe ist nicht zu denken. "Halleluja" und "Gloria" erschallt. "Ein Moment wie dieser", sagt Ratzinger mit rauer Stimme, spricht vom "Tal der Tränen" und dem "Garten Gottes". Am Ende brandet Beifall auf. Nicht nur Geistliche, auch Römer und Touristen nahmen am Gottesdienst teil - "wegen der Bedeutung des Augenblicks".
Es ist ein Konklave der Superlative: Die erste Papstwahl des Jahrhunderts und des Jahrtausends. 115 Kardinäle aus aller Welt müssen sich einigen, so viele wie nie zuvor. 7.000 internationale Medienvertreter berichten über das historische Ereignis - auch das ein Rekord. "Kommt ein Reformer oder ein Konservativer, ein Europäer oder ein Lateinamerikaner?", fragt ein Berichterstatter in die Kamera.
Wer erste Antworten auf diese Fragen schon am Vormittag erwartet hatte, sah sich getäuscht. Ratzinger hielt keine Wahlrede, eher machte er den Eindruck, die Last, die auf ihn zukommen könnte, sei ihm schon jetzt zu schwer. Aber er bezog deutlich Position gegen die Ideologien der modernen Welt, vom Kollektivismus bis zum radikalen Individualismus und beschwor die Liebe Gottes als einzige Option - Positionen, denen im Konklave jeder zustimmen könnte. Dass die Kirche dem Relativismus oder gar dem Zeitgeist irgendwie entgegen kommt, das bleibt nach seinen Worten ausgeschlossen.
Eine repräsentative Umfrage, was Italiener von einem Deutschen wie Ratzinger als Papst halten würden, gibt es nicht. Nur Einzelmeinungen. "Er macht ein gute Figur", sagt ein älterer Römer anerkennend. "Ein Deutscher wäre gar nicht schlecht, der würde bei all der Aufregung für Ordnung und Ruhe sorgen." Italienische Zeitungen titeln am Montag: "Der Tag Ratzingers", oder: "Ratzinger geht als Favorit ins Konklave". Durchaus beabsichtigt ist dabei die Erinnerung an die alte sprichwörtliche Weisheit, dass einer, der schon vorher zum Papst erklärt wird, das Konklave wieder als Kardinal verlässt.
dpa