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Weltweit sind Frauen immer noch benachteiligt. Was sagt die Männerforschung dazu?
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"Wiener Zeitung": Was halten Sie von der Idee: "Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus", die Cris Evatt in seinem gleichnamigen Bestseller darlegt, indem er "tausend und einen kleinen Unterschied" zwischen den Geschlechtern festmacht?Reawyn Connell:Ich habe mit meinen Kollegen erst kürzlich herzhaft darüber gelacht. Solche Pop-Psychologien bestätigen bestehende gesellschaftliche Ordnungen und werden von ihnen getragen - aber sie beruhen nicht auf echtem Wissen. Wissenschaftlich gesehen gibt es nämlich jede Menge Beweise, dass Frauen und Männer sich psychologisch gesehen sehr ähnlich sind. Es gibt allerdings Unterschiede in den sozialen Praktiken und der Arbeit, die ihnen jeweils zugeschrieben wird. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt ist die Segregation enorm. Nach wie vor wird das Großziehen von Kindern den Frauen zugeschrieben, obwohl sich Männer genau so gut dafür eignen.
Weit verbreitet ist immer noch die Annahme, dass Hormone einen gewissen Einfluss hätten, ja, dass sie sogar Reaktionen im Gehirn auslösen können - höheres Aggressionspotential, stärkere Emotionalität. Manche Kommunikationstrainer berufen sich auf solche Unterschiede, um zu vermitteln, dass die Geschlechter unterschiedlich kommunizieren. - Alles Quatsch?
Manche Kommunikationstrainer sollten ihre Literatur genauer studieren. Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die belegt, dass hormonelle Unterschiede einen Einfluss auf die Psyche haben. Männer und Frauen sind grundsätzlich mit den gleichen psychischen Grundvoraussetzungen ausgestattet. Manche Männer sind vielleicht aggressiver, manche Frauen emotionaler, daraus aber eine Generalisierung abzuleiten, ist falsch. Vielmehr fällt uns das, was wir erwarten, am stärksten auf. Es ist keine Kunst zu sehen, dass ein kleiner Bub aggressiv ist, denn wir erwarten ja nichts anderes von einem Buben. Falls er davor andere Verhaltensweisen an den Tag gelegt hat, haben wir das womöglich nicht einmal bemerkt. Unter Umständen fördern wir sein Verhalten auch, indem wir ihm bestimmte Aufgaben übertragen. Aus den daraus aufgebauten Erfahrungen baut er ein Repertoire an Verhaltensmustern auf.
Welchen Verhaltensmustern folgen Männer Ihrer Meinung nach in der Hauptsache?
Sie tun Dinge, die sie in der Gesellschaft zu "richtigen Männern" machen. Dazu gehören etwa Heterosexualität, hegemonialer Broterwerb, körperliche Aktivität und Vaterschaft. Es gibt aber auch andere Gruppen, wie Homosexuelle oder Arbeitslose. Die Definition von Hegemonialität und Unterordnung hängt immer von der gesellschaftlichen Realität ab: Wenn in einer Gesellschaft eine Haltung dominiert, werden andere Gruppen an den Rand gedrängt.
Welche Rolle spielen Frauen in dieser gesellschaftlichen Realität?
Männlichkeiten entstehen aus dem sozialen Zusammenspiel. Männer folgen ja nicht bloß den Rollenmodellen ihres Geschlechts, wie manche Pop-Psychologen es gerne hätten. Vielmehr spielen Mütter, Schwestern, Freundinnen, Ehefrauen und Arbeitskolleginnen eine große Rolle für männliche Prägung. Natürlich haben die Frauen wiederum ihre eigenen Ideen über Gender, Weiblichkeit und Maskulinität. Ich würde sogar sagen es gibt keine Einigkeit mehr darüber, was jetzt ausschließlich "männlich" oder "weiblich" ist. Heutige Vorstellungen dazu formen sich aus einer Mischung von vorherrschenden Stereotypen, kultureller Prägung, Religion, politischen Debatten, Anliegen der Gleichberechtigung und Ideen über Veränderung.
Inwieweit bestärken Frauen heute noch männliche Rollenmodelle?
Sie fordern sie zunehmend heraus. Immer mehr Frauen sind in den Arbeitsprozess integriert und es ist normal, sich eine Karriere zu erwarten. Der Prozess ging allerdings viel schneller, als die Männer ihr Bewusstsein modernisieren konnten. Das etablierte Muster hegemonialer Männlichkeit prallt auf die gelebte Realität.
Die Männer stecken in einem Dilemma, besonders wenn sie auf der Karriereleiter weiter oben stehen. Ihre Management-Positionen verlangen ihnen viel ab, was unvereinbar ist mit engagierter Vaterschaft und einem Leben als Ehemann in einer gleichberechtigten Ehe. Einer unserer Interviewpartner etwa war überzeugt, dass sein Bewusstsein sich modernisieren würde, wenn er seine Vaterrolle bewusst wahrnimmt - jedoch wollte sein Unternehmen das nicht einsehen.
Wofür hat er sich entschieden?
Das ist mir nicht bekannt. Aus anderen Studien wissen wir, dass die meisten Manager sich für die Firma entscheiden und die Kinder den Frauen überlassen.
Berufstätige Mütter leben oftmals jahrelang im Konflikt zwischen ihren Kindern und dem Arbeitsleben.
Ja, in diesem Dilemma stecken tausende Frauen jeden Tag, besonders akut ist es für Alleinerzieherinnen. Neu ist aber, dass die Männer sich dessen bewusst werden aufgrund von Veränderungen im Vaterbild. Leider modernisiert sich das Unternehmensmanagement - eine Institution der Macht und der Privilegien - nicht mit. Womit im Zeitalter der vermeintlichen Geschlechtergerechtigkeit das Top-Management in Firmenkonzernen ein Monopol der Männer bleibt.
Warum ändert sich nichts?
Die alten Muster der Ungleichheit bringen Privilegien für Männer. Sie haben in diesem System Macht und bekommen Unterstützung, weil sie Frauen in die Rolle der Unterstützerinnen gegossen haben. Ich nenne das patriarchale Dividende - ein Vorteil, den viele Männer nicht aufgeben wollen. Manche Männer zahlen allerdings die Dividende der anderen: Industrieunfälle und arbeitsbedingter Stress sind am häufigsten bei Männern - ähnlich wie mehr männliche als weibliche Führungskräfte an Herz-Kreislauferkrankungen leiden. Ein weiterer Preis, den Männer für das patriarchale Muster zahlen, ist, dass ihnen die intensive Beziehung zu ihren Kindern fehlt.
Wie ist das Problem zu lösen?
Durch Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Gleiche Bezahlung für gleiche Leistung, gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt, genügend staatsfinanzierte Kinderbetreuungseinrichtungen für berufstätige Eltern und ein gut ausgebautes Sozialsystem erleichtern es Frauen und Männern, in gleichem Ausmaß an der Familie teilzuhaben. Müssten Männer wie die Frauen in allen Ländern in Karenz gehen, würden das die Betriebe akzeptieren. Würden Frauen ebenso viel verdienen wie Männer, wäre das für die Familie auch kein finanzielles Problem.
Nach dem "Gender Gap Report 2011" hat Österreich Nachholbedarf bei der Gleichstellung von Frauen. Besonders bei der Lohngerechtigkeit sind sie schlechter gestellt. Angesichts der Schuldenkrise sieht es zudem nicht so aus, als würden die Sozialleistungen ausgebaut. Drehen wir die Zeit zurück?
Kürzungen im Sozialsystem reflektieren nur mangelnde politische Bekenntnis für die Gleichberechtigung. Wir könnten sie nämlich auf nahezu jedem wirtschaftlichen Niveau erreichen, vorausgesetzt wir zeigen ein aktives Interesse daran, die Systeme neu zu ordnen, anstatt das Geld anderweitig zu verwenden. Es fehlt nicht an den Mitteln, sondern am Einsatz für die Sache.
Zur PersonRaewyn Connell (67), ist Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Sydney und eine führende Forscherin der "kritischen Männerforschung", die auf feministischen Theorien der Genderforschung beruht. Kürzlich lektorierte sie bei der Österreichischen Männertagung 2011 in Graz. Zu ihren zentralen Konzepten zählt die "hegemoniale" (vorherrschende) Männlichkeit zu Herrschaftsverhältnissen in Beziehungen, sowie die "patriarchale Dividende", wonach Männer auf spezielle Weise vom Patriarchat profitierten. 2007 ließ sie eine Geschlechtsumwandlung zur transsexuellen Frau vornehmen. Zuvor publizierte Raewyn als R. W. Connell.