Buzek: Durch Trennung in Euro und Nicht-Euro entsteht ein "echter Graben".
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"Wiener Zeitung":Das Projekt Europa hat in den letzten Jahren Schrammen bekommen: Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise haben sogar das Überleben der Gemeinschaftswährung Euro infrage gestellt. Tiefe Gräben tun sich in Europa auf zwischen Nettozahlern und Empfängerstaaten von Hilfszahlungen. Das nährt Nationalismus und Euroskeptizismus. Kann Europa überleben?Jerzy Buzek: Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass diese Krise nicht von den EU-Institutionen, ja nicht einmal von Europa ausgegangen ist. Sie wurde ausgelöst durch die Verantwortungslosigkeit von Finanzinstitutionen, die vor allem in den USA angesiedelt sind. So wurde etwa Lehman Brothers ein paar Wochen vor dem Kollaps noch mit einem Triple-A bewertet. In den europäischen Staaten haben außerdem viele Politiker das Problem mit den Staatsschulden ignoriert. Das sind ungeheure Fehler - die sagen aber nichts aus über die EU-Institutionen, die an der Krise keine Schuld trifft.
Davon ist nicht jeder überzeugt. In der Bevölkerung ist nicht gerade rasende EU-Begeisterung auszumachen. Und blickt man ins Internet, so wird die Union als "EUdSSR" oft schon mit der untergegangenen Sowjetunion verglichen . . .
Solche Vergleiche sind dumm. Die EU ist ja kein Zwangsverband, man kann schließlich austreten. Aber zur jetzigen Krise: Renommierten Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors ist lange schon klar, dass die Entscheidungen, die wir in Europa in letzter Zeit aufgrund der Krise getroffen haben - etwa der Fiskalpakt oder die Bankenunion -, eigentlich schon vor 20 Jahren, zur Zeit des Vertrags von Maastricht, hätten getroffen werden sollen. Damals hatten die Europapolitiker aber nicht genug Macht, diese Dinge durchzusetzen. Jetzt, in der Krise, geht das leichter.
Die Krise ist also ein Sprungbrett zu mehr Integration?
Jedenfalls ist heute klar, dass wir auf europäischer Ebene mehr Macht brauchen. Ganz einfach um zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Vor fünf Jahren hätte man sich solch große Entscheidungen wie eine europäische Bankenunion oder einen Fiskalpakt nicht annähernd vorstellen können. Europa hat sich durch Krisen immer entwickelt und ist stärker geworden.
Nährt das nicht Befürchtungen vor einer übermächtigen EU?
Das glaube ich nicht. Was uns heute in Europa wirklich teilt, ist etwas ganz anderes.
Nämlich?
Die Trennung zwischen jenen Staaten, die in der Eurozone sind, und den restlichen EU-Mitgliedern. Da ist ein echter Graben entstanden. Wir haben heute ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Das ist nicht gut - die Nicht-Euro-Länder sollten nach und nach der Eurozone beitreten.
Auch ihr Land Polen?
Natürlich! Polen ist grundsätzlich bereit dafür - ebenso wie Litauen, Lettland, Bulgarien oder Rumänien. Vielleicht haben die Tschechen oder Ungarn noch gewisse Zweifel, aber ich bin mir sicher, in sieben oder acht Jahren werden sie ebenfalls Mitglieder der Eurozone sein. Polen hoffentlich viel früher.
Zu Ihren Zielen als Präsident des Europäischen Parlaments gehörten die Menschenrechtspolitik und die Östliche Partnerschaft mit Ländern wie Weißrussland und der Ukraine. In Belarus regiert Alexander Lukaschenko weiter unangefochten autoritär, die Signale aus der Ukraine sind ebenfalls unerfreulich. Ist diese Politik gescheitert?
Nein, so würde ich das nicht sehen. Die Ostpartnerschaft, die ja auch Moldawien, Armenien, Georgien und Aserbaidschan umfasst, war und ist eine sehr gute Idee. Erfolg hat sich zwar noch keiner eingestellt - auch aus Georgien erreichen uns negative Nachrichten, von Aserbaidschan ganz zu schweigen. Eine erfreuliche Ausnahme bildet eigentlich nur Moldawien. Aber das soll uns nicht entmutigen. Auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie gibt es immer Rückschläge, das gehört dazu.
Der Umgang mit diesen Ländern ist oft ein schwieriger Drahtseilakt: Sie selbst haben einmal ein Preisgeld, das Ihnen zugekommen wäre, der weißrussischen Exiluniversität im litauischen Vilnius überlassen. Das offizielle Weißrussland, das ja auch Ziel der Partnerschaftspolitik ist, sieht solche Aktionen als Einmischungen von außen.
Dennoch glaube ich, dass sich langfristig Erfolg einstellen wird. Ich spreche viel mit weißrussischen Studenten, die ganz anders denken als ihr Präsident. Lukaschenko steht heute viel schwächer da als noch vor einigen Jahren. Ich nehme an, auch die Ukrainer machen derzeit einen Lernprozess durch.
Bei der Ostpartnerschaft gibt es immer einen stillen Gast, auch wenn er nicht am Tisch sitzt - Russland. Moskau beargwöhnt den forcierten EU-Dialog mit den Staaten an seiner West- und Südgrenze als geopolitisches Konkurrenzprojekt.
Ich hatte eine längere Diskussion mit dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, und wir stimmten darin überein, dass eine echte Modernisierung Russlands ohne eine funktionierende Zivilgesellschaft unmöglich ist. Ohne eine Beteiligung der Bürger kann man ein Land ja nicht modernisieren. Das weiß auch die Führung Russlands.
Dennoch hat Moskau Bedenken gegenüber geopolitischer Konkurrenz. Und Europa ist sich in seiner Russlandpolitik auch nicht gerade einig . . .
Das stimmt natürlich. Insbesondere Polen ist für die Russen kein so pflegeleichter Partner wie einige westeuropäische EU-Staaten, für die gute Beziehungen zum Kreml, vor allem im Bereich der Energiewirtschaft, sehr wichtig sind. Das kann man schon verstehen: Wir brauchen eben Russlands Gas. Manche neigen deshalb dazu, die Bedenken gegenüber Moskau im humanitären Bereich hintanzustellen. Dennoch bin ich schon der Meinung, dass wir den Kreml unbedingt auch auf die wenig befriedigende Menschenrechtslage in Russland aufmerksam machen sollen. Das Gas kaufen wir ja trotzdem.
Zur Person
Jerzy Buzek, geboren 1940 in Smilowice (Smilowitz), war in führenden Positionen bei der Gewerkschaft Solidarnosc tätig. Von 1997 bis 2001 war er Ministerpräsident Polens und von 2009 bis 2012 Präsident des EU-Parlaments. Er referierte bei einer Veranstaltung des Austria Institut für Europa und Sicherheitspolitik (AIES) in Wien.