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Alle Wege führen nach Peking

Von Thomas Seifert aus Peking

Politik
Großer Bahnhof für Kanzler Kurz: Der Besuch aus Wien wird in Peking von einer Ehrenformation der Armee empfangen.
© Thomas Seifert

Bundeskanzler Sebastian Kurz war fünf Tage lang in China. Bei einer Großkonferenz zur "neuen Seidenstraße" und bei Gesprächen mit Präsident und Premier. Was sind die Resultate?


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Peking. Was der britische Premier Winston Churchill einst über Russland gesagt hat: "Ein Rätsel verpackt in ein Geheimnis, umgeben von einem Mysterium", gilt für China in viel stärkerem Ausmaß. Zu gigantisch, zu groß, zu vielfältig und zu anders scheint das Land, das sich anschickt, zur größten Volkswirtschaft der Erde zu werden.

Während die Devise der chinesischen Diplomatie früher mit "nur nicht auffallen" beschrieben werden könnte, hat sich das geändert: Das Reich der Mitte in der Ära von Xi Jinping strotzt vor Selbstbewusstsein. Xi spricht vom "chinesischen Traum" und von einer "Wiedergeburt", einer "Verjüngung" der Nation. China arbeitet auch daran, seinen internationalen Einfluss auszuweiten und die diplomatischen Netzwerke dichter zu knüpfen. Vergangene Woche sind Diplomaten und Vertreter aus 150 Ländern nach Peking gereist, um dort an einer Konferenz zur "neuen Seidenstraße" teilzunehmen. 37 Staats- und Regierungschefs (darunter Bundeskanzler Sebastian Kurz) nahmen auf den vorderen Reihen im riesigen Kongresszentrum im Pekinger Olympiagelände Platz, um Xi Jinpings Rede über die neue Seidenstraße zu lauschen.

Ein Erfolg für China

Für China war die Konferenz ein voller Erfolg: Peking baut an einer sinozentrischen Welt, in der alle Wege nach Peking führen sollen. Zhong guo - Reich der Mitte - so sieht sich China seit tausenden von Jahren. Wer glaubt, dass man China und die strategischen Projekte Chinas ignorieren könne, der irrt - das hat Bundeskanzler Kurz bei seinem Besuch in seinen Gesprächen mit den mitreisenden Journalisten mehrfach betont.

Aber gleichzeitig wird spürbar, dass die China-Euphorie in Europa ein wenig abebbt. Der China-Experte und Professor an der freien Universität Brüssel, Jonathan Holslag, schreibt in einem brandneuen Buch mit dem Titel: "The Silk Road Trap - How China’s Trade Ambitions Challenge Europe" über die Enttäuschung Europas, dass es nicht gelungen ist, mit China über das Handelsbilanzdefizit im Handel zwischen China und wichtigen europäischen Ländern, Marktzugänge und andere Fragen zusammenzuarbeiten: "Dieser Versuch einer geduldigen und konstruktiven Zusammenarbeit ist ohne Erfolg geblieben", schreibt Holslag, der auch Sonderberater der Europäischen Kommission ist.

Diese Enttäuschung schimmert auch bei einem China-EU-Strategiepapier der EU-Kommission durch, das Ende März veröffentlicht wurde. In diesem Papier ist von einer besseren Balance und einer Reziprozität in den Wirtschaftsbeziehungen die Rede. Kanzler Kurz nennt das vor den mitreisenden Journalisten: "Mehr Fairness." Kurz hat auch ein Investitionskontrollgesetz - das nach deutschem Vorbild verhindern soll, dass strategisch wichtige Industrien unter die Kontrolle ausländischer Investoren gelangen - angekündigt: Auch das findet sich im China-Strategiepapier und man kann davon ausgehen, dass der Gesetzgeber bei dem österreichischen Paragrafenwerk, das entstehen soll, vor allem chinesische Investoren im Auge hat. Da im EU-Strategiepapier auch davon die Rede ist, dass beim Ausbau der nächsten Generation des Mobilfunknetzes (5G) besonders darauf geachtet werden soll, dass die Interessen der Nationalen Sicherheit europäischer Nationen gewahrt bleiben, kann man davon ausgehen, dass bei der Schlüsselinfrastruktur Huawei wohl nicht zum Zug kommen wird (stattdessen werden Nokia und Ericsson das Rennen machen).

Strikt nach Vorschrift

Wenn Bundeskanzler Kurz davon gesprochen hat, dass er sich im Vorfeld seiner Reise mit der EU-Kommission beraten hat, dann war dies unter anderem daran erkennbar, dass der Kanzler sich in seinen Gesprächen mit der chinesischen Seite offenbar strikt an die Kommissionslinie gehalten hat. Man kann davon ausgehen, dass man Peking dies vorab kommuniziert hat - die Enttäuschung über die Zurückhaltung und Kritik von Kurz dürfte sich daher in Grenzen gehalten haben.

Gleichzeitig war Österreich aber immerhin höchstrangig vertreten: Die Teilnahme des Kanzlers am Seidenstraßenforum ermöglichte es aber, bei den Debatten über das Schlussdokument dabei zu sein. Den österreichischen Verhandlern Alexander Schallenberg (Bundeskanzleramt) und Friedrich Stift (Botschafter in Peking) ist es gelungen, bestimmte Passagen ins Schlussdokument des Seidenstraßen-Forums hinein zu reklamieren - etwa einige Grundsätze der UN-Entwicklungsziele. Und darauf ist nun wiederum Wien stolz.

Dass Kurz als einer der wenigen westeuropäischen Spitzenpolitiker nach Peking zum Seidenstraßenforum kam, wurde von der chinesischen Seite wahrgenommen und auch honoriert. Kurz wurde mit militärischen Ehren mit viel Pomp - samt Defilee der Ehrengarde und Kanonensalut - von Premierminister Li Keqiang empfangen, mit dem auch ein langes Delegationsgespräch eingeplant wurde. China und Österreich sind offenbar bereit, mehr Zeit und Energie in ihre diplomatischen Beziehungen zu investieren.

Im österreichischen Regierungsprogramm ist dies ja explizit als Ziel festgehalten. Über die Motive Chinas kann man freilich nur spekulieren: Ein Faktor ist, dass Österreich ein wichtiger Player in Ost- sowie in Südosteuropa ist. Mit den Ländern dieser Region sucht China enge Beziehungen. Peking anerkennt, dass Wien eine politische und wirtschaftliche Drehscheibe für diese Region ist. Nicht zuletzt haben sich die chinesischen Großbanken Bank of China und ICBC in Wien niedergelassen. Das Faktum, dass eines der konkreten Ergebnisse des Besuches eine Zusammenarbeit bei der Kreditbesicherung in solchen Ländern ist, zeigt, dass es in diesem Punkt - trotz der eindeutig vorhandenen Konkurrenzsituation - auch Raum für Kooperation gibt.

Österreich verfolgt in den Beziehungen mit China zwei große Ziele: Bis 2025 soll der Tourismus verdoppelt werden und der bilaterale Handel von derzeit 13 auf 20 Milliarden Euro steigen. Die Leiterin der Stabsstelle für Strategie, Analyse und Planung im österreichischen Bundeskanzleramt<p>Antonella Mei-Pochtler hält im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" im Hotel St. Regis in Peking dieses Ziel für "erreichbar". Zwischen Österreich und China wurde vereinbart, dass es ab Juni einen vierten Direktflug von Wien nach China (neben Shanghai, Peking und Shenzhen auch Guangzhou) geben soll.

Geld und Kultur

Bei dem Gespräch zwischen Li und Kurz ging es aber auch um Geld und Kultur. So wurde eine Entschädigung in Höhe von 16 Millionen Euro in mehreren Betrugsfällen, in die chinesische Kriminelle verwickelt waren, vereinbart. Der oberösterreichische Flugzeugkomponentenhersteller FACC freute sich in einer Aussendung am Montag, dass 10,8 Millionen Euro von eingefrorenen chinesischen Konten zurückfließen werden. Weitere Vereinbarungen gab es im Bereich der Wissenschafts- und Kulturzusammenarbeit. So unterschrieb die Direktorin des Kunsthistorischen Museums, Sabine Haag, ein Kooperationsabkommen mit dem Pekinger Palastmuseum. Und natürlich durfte auch ein Abkommen zu den Pandas in Schönbrunn nicht fehlen. Als Kurz das Thema Bürgerrechte angesprochen hat, habe der chinesische Premier angemerkt, dass der Fokus der chinesischen Regierung derzeit darauf liege, die Menschen aus der Armut zu führen. Auch eine Einladung nach Österreich habe er ausgesprochen, auf die Li positiv reagiert habe.

Beim chinesischen Präsidenten Xi Jinping ging es dann weniger um Details in den bilateralen Beziehungen, sondern ums große Ganze. So hat Xi laut Kurz die Wahrscheinlichkeit einer Einigung im Handelskonflikt zwischen China und den USA auf Nachfrage mit 50:50 beziffert. Zu den Beziehungen mit der EU habe er sich sehr optimistisch geäußert. Positiv sei angekommen, dass Kurz innerhalb von zwölf Monaten schon drei Mal nach China gekommen sei, sagte Kurz.

Es waren aber auch die kleinen Gesten, die von den Gastgebern erstaunt oder vielleicht auch verwundert aufgenommen wurden: Als Kanzler Kurz nach dem Ende des ersten Tages des Seidenstraßenforums im Konferenzzentrum in Peking in den Journalistenbus anstatt in die für ihn bereitgestellte Staatskarosse der Marke "Rote Fahne" stieg, um die mitreisenden Reporter über seine Gespräche zu informieren, musste die österreichische Botschaft schriftlich erklären, dass man die Verantwortung übernimmt, sollte etwas passieren. Oder als Kurz sich nach seinem Besuch in der Verbotenen Stadt bei chinesischen Touristen für die Unannehmlichkeiten entschuldigte, die durch die Sicherheitsmaßnahmen in dieser Sehenswürdigkeit wegen seines Besuchs notwendig waren.

Ein Premier zum Anfassen

Die chinesischen Besucher der Reisegruppe aus der Provinz Jiangsu waren erfreut, als es dann beim Ausgang noch Selfies mit dem Kanzler gab. Zuerst wusste wohl niemand, wen man da vor sich hat, doch bald war im Stimmengewirr da und dort "Aodili" (also Österreich) zu hören. Ein Premier zum Anfassen - das ist in China ungewöhnlich. Die chinesische Führung, die im Regierungsbezirk Zhongnanhai gleich westlich von der verbotenen doch recht abgeschottet vom Volk ihren Amtssitz hat, ist für solche Bürgernähe nicht bekannt, auch wenn Präsident Xi Jinping immer wieder bei Besuchen in Dörfern gezeigt wird und er so spricht, dass ihn auch die einfachen Chinesen verstehen. Dass der VIP-Gast dann kurz vor dem Abflug jedem Fahrer des österreichischen Konvois noch die Hand drückt und sich bedankt, das kommt in China nicht alle Tage vor.