Zum Hauptinhalt springen

Allein unter Neonazis

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik

Ein deutscher Journalist besuchte 15 Jahre lang inkognito Neonazi-Konzerte - und landete auch in Österreich.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Berlin. Die Texte feiern die Vernichtung der Juden durch das Nazi-Regime. "Thomas Kuban" hörte solch menschenverachtende Zeilen dutzende Male: Seit fünfzehn Jahren recherchiert der deutsche Journalist auf Konzerten der Neonazi-Szene in ganz Europa - natürlich ohne zu verraten, wer er wirklich ist.

Mit schwarzer Mütze, schwarzer Sonnenbrille und hellem, möglicherweise gefärbtem oder unechtem Ziegenbart sitzt Kuban am Freitag vor Journalisten in Berlin und erzählt von seiner Arbeit mit der versteckten Kamera. Weil er nicht glauben wollte, dass es in seiner Nachbarschaft möglich ist, ein rechtsradikales Konzert zu veranstalten, begann Kuban 1997 mit seiner Recherche. Um die 40 Neonazi-Identitäten legte er sich im Laufe der Zeit dafür zu, er änderte vielfach seinen Bart, seine Haare, seine Kleidung. Nicht immer trug er Springerstiefel und Bomberjacke. Stets aber achtete er darauf, nicht zu engen Kontakt zu einer Gruppe zu haben und nur in Konzerte zu gehen, bei denen mit mindestens 200 Besuchern gerechnet wurde.

Immer wieder rezitiert der Autor des Buches "Blut muss fließen: Undercover unter Nazis" alte und neue Texte von Nazis, in denen Bands den Holocaust preisen und sich über die in den Konzen-trationslagern ermordeten Opfer lustig machen. Solche Texte hörte Kuban auch am 9. Dezember 2006 in einem Konzert in Mitterding in Oberösterreich. Polizei sei vor dem Konzert zwar im Saal gewesen - doch die, berichtet Kuban, habe zum Teil einen kumpelhaften Umgang mit den Neonazis gepflegt, man habe einander begrüßt und auf die Schultern geklopft.

"Szene bekommt rechtsfreie Räume überlassen"

In streng geheimen Neonazi-Konzerten war Kuban, weil er das Vertrauen der Rechtsradikalen gewonnen hatte und so von den Veranstaltungen erfuhr. Um an solche Informationen zu kommen, reiche es nicht, in Internetforen einschlägige Bandnamen aufzusagen. Man müsse sich nach und nach Insiderwissen aneignen und sich auch einmal zum Beispiel über die schlechte Toilettensituation bei einem der letzten Konzerte beschweren. "Ich war der klassische Mitläufer. Das könnte die Polizei auch", sagt Kuban. "Die Szene aber muss sich rechtsfreie Räume nicht erobern. Sie bekommt sie überlassen."

Seit 1992 zählt die Polizei in Deutschland mehr als 50 Tote aufgrund rechtsextremer Gewalt, laut Recherchen der "Zeit" und des "Tagesspiegels" sind es sogar mindestens 149 Todesopfer. Die Frage, ob die Behörden auf "dem rechten Auge" blind sind, wird immer wieder gestellt - besonders oft aber seit dem vergangenen Herbst: Vor einem Jahr war die sogenannte Zwickauer Terrorzelle, der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU), aufgeflogen, die von 2000 bis 2006 zehn Menschen in Deutschland ermordete. Die Behörden waren jahrelang von Mafia-Morden ausgegangen, ohne im rechtsextremen Umfeld zu ermitteln. "Alles fokussiert jetzt auf den NSU. Sonst gibt es Scheuklappen", sagt Kuban. So werde etwa mit Neonazi-Musik der Nachwuchs geködert.

Für junge Menschen ist es einfach, an rechtsradikale Musik zu kommen. Im Internet kann sie kostenlos heruntergeladen werden. Eigene "Schul-CDs" offenbaren nicht sofort, wer hinter der Musik steckt, Kuban nennt etwa das Stück "Fucking USA" zum Irak von einer Nazi-Band. "Schüler könnten denken, dass Nazis gar nicht so böse sind, wie die Lehrer immer sagen. Der nächste Schritt könnte ein Besuch einer NPD-Veranstaltung sein. Und dann ist es für die nächsten Schritte nicht mehr weit - schnell ist man in der Szene drinnen", sagt Kuban. Er spricht sich dafür aus, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zu verbieten. Die NPD ist zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen im Landtag vertreten.

Für Kuban steht fest: Die Partei hat eine wichtige Funktion für die Nazibewegung, die Szene bräuchte nach einem Verbot Zeit, um sich zu reorganisieren. "Die NPD würde durch ein Verbotsverfahren, das mehrere Jahre dauert, eine ungeheure Propagandamöglichkeit bekommen", sagte dagegen kürzlich der Grüne Parlamentarier Christian Ströbele, der auch im NSU-Untersuchungsausschuss aktiv ist, zur "Wiener Zeitung". Die NPD sei noch nie so stark gewesen wie während des dann gescheiterten Verfahrens nach 2001. Und Szene wie Sympathisanten sind ja nach einem Verbot nicht weg. Wenn statt der NPD eine "Kameradschaft XY" eine Demonstration organisiere, müsse man erst herausfinden, wer und was dahinterstecke, um beispielsweise eine Gegendemonstration zu organisieren.

Rechtsradikale sind in Europa gut vernetzt

Es brauche freilich viele Fäden, die bei der Bekämpfung der rechtsradikalen Szene zusammenlaufen, sagt Kuban. Er zählt dazu wachsame Behörden ebenso wie starkes Bürgerengagement, mediales Interesse und Aufklärung an den Schulen. Die Szene sei in den vergangenen Jahren jedenfalls nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Man sei in Europa gut vernetzt, es gebe zwar nicht mehr so viele Konzerte in Belgien, der Schweiz und in Österreich, dafür nun "richtig viele" in Ungarn und Italien. Die Neonazi-Szene beschreibe sich heute als "White-Power-Bewegung", in der die Hautfarbe zähle und die sich unter dem Motto "Jedem Volk sein Land" sammle. "Die Gewaltbereitschaft ist allgegenwärtig", sagt Kuban, der Morddrohungen erhält. Eine davon lautete: "Wenn wir ihn erwischen, wird er froh sein, wenn es schnell geht."