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Alleinerzieherin: "Ich vermisse soziale Politik"

Von Martina Madner

Politik
"Es gibt dieses afrikanische Sprichwort: Ein Kind braucht ein Dorf, um groß zu werden", sagt Linda Damianik.
© Wiener Zeitung/ Moritz Ziegler

Wie die Corona-Krise eine arbeitslose Alleinerziehende belastet - und welche Auswege sie aufzeigt.


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Das Leben der Alleinerzieherin Linda Damianik hat Bruchstellen: Die große, die Privat- und Arbeitsleben drastisch veränderte, war die Geburt ihrer Kinder als Frühchen. Mit der Corona-Krise folgte nun ein weiterer Bruch. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" erklärt sie, warum nicht nur jene, die erst in der Corona-Krise arbeitslos wurden, sondern auch die, die bereits davor mit wenig Geld auskommen mussten, nochmals belastet wurden.

"Wiener Zeitung": Ihre Familie muss im Moment mit Notstandshilfe und Alimenten auskommen. Wie kam das?

Linda Damianik: Vor meinen Kindern hatte ich Jobs mit guter Bezahlung im Highend-Assistenzbereich. Ich bin viel gereist, habe viel von der Welt gesehen. Dann vor 17 und 15-einhalb Jahren habe ich Kinder bekommen. Das ist deshalb ungewöhnlich, weil meine Kinder beide Frühchen waren und ich von Anfang an Alleinerzieherin war. Mein Leben hat sich damit komplett auf den Kopf gestellt. Meine Tochter war fünf Monate lang im Krankenhaus, war auch danach lange krank, sodass ich fünf, sechs Jahre gar keiner geregelten Arbeit nachgehen konnte. Ich habe es zwar immer wieder versucht, auch eine Ausbildung zur Lebensberaterin gemacht, weil sich in dieser Zeit auch meine Werte verändert haben.

Wie würden Sie diese Veränderungen heute beschreiben?

Damals war ich knapp vor dem Burnout, musste mit wenig Geld auskommen, mir das vor Gericht erkämpfen. Vom Vater meiner Kinder habe ich mich bereits vor der Geburt meiner Tochter getrennt. Danach war er mehr Belastung als Hilfe. Ich bin sehr froh, dass ich eine verständnisvolle, wertschätzende Rechtspflegerin hatte. Mit ihr habe ich es geschafft, aber es wurde mir nichts geschenkt. Vor meinen Kindern habe ich fröhlich, konflikt- und stressfrei gelebt, danach war eben alles anders. Ich bin zwar eine Frohnatur, aber das Leben war einfach anstrengend. Wir lebten quasi wegen den Problemen meiner Tochter mit der Lunge, mit der Verdauung, Allergien zu großen Teilen in Krankenhäusern. Auch weil alternative Behandlungen privat zu zahlen sind, waren wir finanziell immer am Limit.

Hatten Sie keine Unterstützung?

Es gibt Unterstützung der Stadt, uns geht es im Vergleich zu Freundinnen ohne Alimente besser, aber ich habe mir irgendwann eingestanden, dass auch wir zu jenen gehören, die von Armut betroffen sind - und stehe seither dazu. Aber meine Tochter ist heute gesund, auch wenn das beinahe an ein Wunder grenzt. Ich bin außerdem seit 20 Jahren Buddhistin, die Gemeinde unterstützt mich. Meine Eltern waren immer da, auch bei der Kinderbetreuung, dafür bin ich auch dankbar. Es gibt auch Freundinnen, mit denen ich das zusammen bewältigt habe, wir uns gegenseitig unterstützt haben. Es gibt dieses afrikanische Sprichwort: Ein Kind braucht ein Dorf, um groß zu werden. Ohne das wäre es nicht gegangen.

Dieses Dorf ist jetzt mit der Corona-Krise Mitte März weggebrochen. Wie hat sich das bei Ihnen gezeigt?

Mein Sohn geht ins TGM, meine Tochter ins Gymnasium. Sie war vorher stark unter Druck, sie ist in der Pubertät und wollte nicht lernen. Dann kam der Lockdown und wir hatten keinen Computer für sie. Der Kinderabsetzbetrag, mit dem ich davor so etwas finanzieren konnte, wurde für Arbeitslose von der vergangenen Regierung abgeschafft. Über die Schule habe ich zwar einen PC beantragt, der kam aber viel zu spät, erst zwei Wochen vor Schulende. Also habe ich in einem Fernsehinterview darüber gesprochen, und ein Zuseher hat uns einen gespendet. Zum Glück hat meine Tochter das Schuljahr geschafft, sie war in der Corona-Zeit total engagiert. Ich habe Lehrerin gespielt, ein Danke auch an die Lehrerinnen, die uns dabei unterstützt haben. Ich hatte zwar keine Zeit für mich, aber das war es wert - und sie geht ab Herbst an eine höhere Schule.

"Ich hoffe, dass diese Neiddebatte, die letztes Jahr geschürt wurde, nun vorbei ist", betont Damianik.
© Wiener Zeitung/Moritz Ziegler

Was ist mit Ihrer Arbeitssuche passiert?

Ich hatte gerade ein Angebot, das wurde aber wie unser sonstiges Leben auch eingefroren, konnte später doch probearbeiten, sie haben sich aber für jemand anderen entschieden. Aber vielleicht kommt etwas Besseres nach, es bringt ja nichts, wenn ich mich gräme. Ich bewerbe mich weiter, auch für eine Ausbildung zur Hebamme, bin da aber leider auf einer Warteliste. Das war schon immer meine Leidenschaft. Ich habe als Lebensberaterin auch Frauen bei der Geburtsvorbereitung begleitet und tolles Feedback erhalten. Vielleicht ist auch mein Alter ein Thema. Eine Alternative wäre Pflege in der Neonatologie, da ich da viel Erfahrung mit meiner Tochter habe.

Und als Lebensberaterin?

Ich wollte mich im Jänner selbständig machen, hatte damals das Gefühl, ich schaffe das noch nicht finanziell, wollte zur Absicherung noch einen Nebenjob suchen und später gründen. Gott-sei-Dank habe ich mich so entschieden, weil sonst hätten wir überhaupt kein Geld mehr zum Leben gehabt. Ich bewerbe mich natürlich weiter in Beratungseinrichtungen, auch in der Assistenz. Die Situation hat sich aber leider überall am Arbeitsmarkt verschärft, das Angebot ist viel kleiner geworden. Ich verstehe nicht, warum unsere Arbeitsministerin optimistisch sein kann. Ich bin da eher skeptisch.

Verstehen Sie, warum die Regierung zwischen Ihnen, die vor der Corona-Krise arbeitslos war, und jenen, die es mit ihr wurden, über Familienhärteausgleich und -krisenfonds unterscheidet?

Nein, weil auch wir von der Krise betroffen sind. Die Lebensmittelpreise haben bei Gemüse zum Beispiel angezogen. Ich fahre sonst auch durch die Stadt, um Angebote zu kaufen. Das war nun nicht mehr möglich. Sozialmärkte waren zu weit weg. Kostenlose Quellen, wie beim Schlichten zu helfen und dafür Biogemüse zu erhalten, sind auch weggefallen. Genauso wie der Tausch von Beratungen gegen Reparaturen. All die Selbstorganisation von mir und meinem Freundeskreis wurde mit dem Lockdown gleich mit gekübelt.

Sie haben mit zwei Kindern 200 Euro erhalten, jene aus dem Härteausgleich erhalten im Durchschnitt 1230 Euro. Ist das fair?

Nein, meine Kinder sind ja nicht anders als andere, auch wenn wir von Armut betroffen sind. Schon in einem normalen Schuljahr brauche ich mehr Geld als das. Für meine Tochter muss ich heuer Koch- und Servierkleidung, ein Messer-Set für die neue Schule kaufen. Das kostet zusammen 600 Euro. Mein Vater wird das vorfinanzieren, und ich bezahle es mit den 450 Euro für Arbeitslose und dem 360 Euro-Kinderbonus wieder zurück.

Dabei wird aber nun nicht zwischen den Kindern unterschieden.

Das ist auch gut so. In Familienforen fragen sich manche, warum Langzeitarbeitslose dasselbe Geld erhalten. Im vergangenen Frühling wollte unser Bundeskanzler ja die Notstandshilfe abschaffen. Ich hoffe, das ist nun vorbei und damit auch diese Neiddebatte, die damals geschürt wurde. Ich konnte noch nie ausschlafen, es mir gut gehen lassen. Ich habe mir das auch nicht ausgesucht. Auch ich bezahle mit jedem Milchpackerl, mit jeder Rechnung Steuern.

Hat sich das Bild von Arbeitslosen nicht verändert?

Bei manchen schon, weil sie nun sehen, es kann jeden treffen, selbst wenn man gut ausgebildet ist. Es braucht ein gutes soziales Auffangnetz. Ich vermisse vom Gesundheitsminister soziale Politik. Die findet so nicht statt.

"Ich vermisse soziale Politik. Die findet so nicht statt", sagt die Alleinerzieherin.
© Wiener Zeitung/Moritz Ziegler

Was würde Sie unterstützen?

Ich weiß, dass ich mich damit sehr weit raus lehne, aber ich fände ein Grundeinkommen sinnvoll. Das muss nicht mal bedingungslos sein. Aber ich denke, dass die Menschen, so wie ich auch, weiterhin arbeiten, auch ich, weil ich gerne arbeite. Ich habe aber den Eindruck, dass die politisch Verantwortlichen nicht wissen, wovon sie sprechen, wenn es um Armut geht, weil sie nie in der Situation waren. Es geht nicht nur um Kinder in Brennpunktschulen. Ich bin eine Bildungsaffine, trotzdem brauche ich Unterstützung. Es braucht Chancengleichheit. Ich kann mich auch als Kanzlerin zur Verfügung stellen (lacht).

Und am Arbeitsmarkt?

Arbeit mit Menschen, in der Pflege, der Beratung, Dienstleistungen muss besser bezahlt werden. Ich fürchte aber, dass es durch die Corona-Krise nochmals Lohndumping geben wird, mit dem Argument, dass auch Firmen Ausfälle hatten. Da sind auch die Gewerkschaften eingeknickt. Ich habe beim AMS zwar einen tollen Berater und würde auch gerne über das Fachkräftestipendium die Hebammenausbildung machen. Das ist zwar ein Mangelberuf, im veralteten Regelwerk aber nicht vorgesehen. Es braucht also Geld für Kurse, die die Menschen machen wollen - damit sie ihr individuelles Leben selbstbestimmt gestalten können.

Linda Damianik, 48, ist Lebensberaterin auf Arbeitssuche und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von 15 und 17 in Wien.