Mein Vorfahre Leopold I. ermöglichte die "WZ". Heute muss ich Abschied nehmen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Als die erste "Wiener Zeitung" erschien, im Jahr 1703, da stand es um die Habsburger gerade nicht so gut. Auch wenn der Kaiser, Leopold I., das nicht ahnte, hing ein Schwert über seinem Kopf. Die spanische Linie war da vor drei Jahren ausgestorben, und während Leopold selbst zwar noch die volle Verkörperung der barocken Herrschermacht darstellte, ging in den nächsten Jahren das spanische Weltreich verloren. Und unter Leopolds Sohn Karl VI. sah es auch recht düster aus. Erst hatte er zehn Jahre lang keine Kinder. Und dann konnte er nur durch einen Trick, die "pragmatische Sanktion", erreichen, dass die Habsburger weiterexistieren durften. Hätte seine Tochter, Maria Theresia, keine Kinder gehabt, wäre es das Aus gewesen für die Casa Austria . . .
Doch die Herrscherin hatte sogar 16 Kinder. "Alles klar!", könnte man meinen, aber dann starb ihr Sohn Josef II. - kinderlos! Zum Glück hatte aber sein Bruder, Leopold II., ebenfalls 16 Kinder, und so ging es doch weiter.
Die Habsburger waren, wie man sieht, Überlebenskünstler. Und das verbindet uns mit der "Wiener Zeitung", der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt. Allen Widerständen zum Trotz schaffte sie es über 320 Jahre ins 21. Jahrhundert, in eine Zeit, in der wir mit dem Metaverse verbunden sind und immer weniger Menschen am Frühstückstisch im klassischen Sinne eine knisternde Zeitung aufschlagen.
Wie hat die "Wiener Zeitung" das geschafft? Hundertjährige werden oft gefragt, was das Geheimnis ihrer Langlebigkeit ist. Wir können annehmen, dass es wohl zu einem gehörigen Maß der Wahlspruch Kaiser Leopolds I. gewesen ist, der die "Wiener Zeitung" durch die Jahrhunderte geführt hat: "Consilio et industria - durch Rat und Fleiß". Aber natürlich wirkte sie manchmal gewissermaßen wie ein Dinosaurier in diesem völlig irren 21. Jahrhundert. So wie die Habsburger! Als ich in der Schweiz studierte, sagte einmal ein völlig überraschter Mitstudent: "Sag bloß, es gibt euch immer noch!" Wenn der wüsste! Es gibt uns nicht nur, sondern wir sind weiterhin viele, weil wir immer noch viele Kinder bekommen - tu Felix Austria nube. Als wir, ebenfalls überraschenderweise im 21. Jahrhundert angekommen, im Jahre 2016, gut 300 Mann und Frau stark, Papst Franziskus besuchten, machte ich ein Foto auf der Via della Conciliazione, die auf den Petersdom zuführt. Habsburger, so weit das Auge reicht, quer über die Straße und in die Tiefe, und ganz viele Kinder. Der Außenminister-Erzbischof des Vatikans, Paul Richard Gallagher, sagte angesichts dieses Bildes: "Es sieht so aus, als ob Ihre Familie noch eine ziemliche Weile da sein würde."
Die Habsburger schon.
Die "Wiener Zeitung" hingegen nicht mehr. 1703 hat mein Urururetcetc-Großvater Kaiser Leopold der "WZ" die Konzession erteilt. 1905 schrieb mein Urururgroßvater Kaiser Franz Joseph sogar persönlich auf ihren Seiten.
Und in der letzten Ausgabe, vom 30. Juni 2023, darf ich der letzte Habsburger sein, der vorbeischaut. Und der gewissermaßen das Licht ausmacht. Nach 320 Jahren im Dienst schließt die älteste Zeitung der Welt Fenster und Türen.
Ich sage zum Abschied leise Servus. Und Danke für alles!