Wie traurig die Fahnen ihrer Länder in der schwülen Luft vor dem Brüsseler Kommissionsgebäude herunterhingen, sahen die EU-Staats- und Regierungschefs nicht. Sie betraten nämlich durch einen Seiteneingang das Haus, wo sie über eine der größten Krisen der EU zu beraten hatten. Im Streit um den Finanzrahmen für die Jahre 2007 bis 2013 zeichnete sich lange Zeit keine Einigung unter den Mitgliedsstaaten ab.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Blanke Nerven dort wie da. Der niederländische Premier Jan Peter Balkenende muss drastische Kürzungen des in Relation zur Wirtschaftsleistung höchsten Nettobeitrags mit nach Hause nehmen. Nur schwer auszuwetzen sind die tiefen Kerben, die sein Image durch die missglückte Verfassungskampagne erlitten hat. Der britische Kollege Tony Blair darf nicht ohne seinen Zahlungsnachlass nach London heimkehren. Frankreichs Präsident Jacques Chirac hat nicht nur die Ehre der Grande Nation sondern auch die mächtige Agrarlobby im Rücken, die auf ihren Förderungen beharrt. Der EU-Vorsitzende und Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker hofft immer noch auf die "Quadratur des Kreises".
Derart verfahren zeigte sich die Situation Freitagnachmittag beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs. Und dann bat Jean-Claude Juncker zum Einzelgespräch. Wirklich allerletzte bilaterale Verhandlungen, hieß es - im so genannten Beichtstuhlverfahren.
Zwar hatten Großbritannien und Frankreich zuvor Kompromissbereitschaft signalisiert. Doch Länder wie die Niederlande oder Schweden zeigten sich unerbittlich.
Deckel für Rabatt
Von einer Kürzung der Agrarförderungen machten die Briten ihr Entgegenkommen nicht mehr direkt abhängig. Gefordert sei vielmehr "die Garantie, dass der Reformprozess des Haushalts begonnen hat". Damit hat sich London zumindest verbal auf die Luxemburger zu bewegt. Diese hatten schon in ihrem letzten Vorschlag jede weitere Reduktion von dem geplanten 4,6-Mrd.-Deckel für den britischen Beitrags-Rabatt direkt an Kürzungen der Agrarförderungen nach 2013 geboten.
Der Rabatt sei "voll gerechtfertigt", betonte Blair einmal mehr. Gleichzeitig könnte er aber bereit sein, einer Kürzung des Beitragserlasses um rund 500 Mio. Euro zuzustimmen. Dies sei jene Summe, mit der die neuen EU-Länder den milliardenschweren Rabatt finanzieren müssten.
"Zu wenig", befand Jacques Chirac. Doch mit einer Festlegung des Ausgabenrahmens auf knapp 1,06 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU könne er leben, ließ er durch Außenminister Philippe Douste-Blazy ausrichten. Diplomaten zufolge hat auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erklärt, dass Österreich den Kompromiss der Luxemburger akzeptiere - obwohl es eine Ein-Prozent-Obergrenze bevorzugt hätte.
Sorge wegen Balkenende
Mehr Sorge bereiteten Juncker die Niederländer und die Schweden. 1,5 Mrd. Zahlungsnachlass will Jan Peter Balkenende erzielen. Seine Hartnäckigkeit wird in Diplomatenkreisen sogar zunehmend gefährlicher für die Einigung beurteilt, als das bisher alles überschattende Problem des Briten-Rabatts. "Keinerlei Spielraum" habe der Premier: In den Niederlanden werde die künftige Stimmung gegenüber dem vorläufig gescheiterten Vertragswerk und vor allem der Regierung maßgeblich davon abhängen, "was Balkenende vom Gipfel mit nach Hause nimmt".
Auch Balkenendes schwedischer Kollege Göran Persson zeigte zunächst keinerlei Bereitschaft, den vorliegenden Kompromiss zu akzeptieren. Ein Veto wollte er nicht ausschließen. Es sei doch möglich, auch "in einem Jahr noch einmal" über den Rahmenhaushalt reden, argumentierte er. "Wir haben Zeit, um die Verteilung des Haushalts zu diskutieren." Es sei eine Erfindung der Medien, den Streit um das EU-Budget als Kampf zwischen Großbritannien und Frankreich darzustellen, sagte Persson vieldeutig.
Als zähe Verhandler erwiesen sich auch die Nettoempfängerländer Portugal und Spanien. Die beiden gelten als die größten Verlierer der Fokussierung der Regionalhilfen ab 2006 auf die neuen Mitgliedsstaaten. Sie wollten vor allem noch über Übergangsfristen reden.