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Alles andere als Einbildung

Von Wolfgang Kappler

Wissen

Manch einen juckt die Blinddarmnarbe, andere haben Gelenkschmerzen und ein Dritter leidet unter einer unsäglichen Migräne. Aber jeder versichert: Das Wetter schlägt um. Kann man solchen Wetterpropheten überhaupt Glauben schenken? Gibt es das, was umgangssprachlich als Wetterfühligkeit bezeichnet wird, oder ist das alles lediglich Einbildung?


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Nach Auffassung des deutschen "Wetterfrosches" Jörg Kachelmann ist Wetterfühligkeit "unerforscht", das in der Tageszeitung nachlesbare oder per Hotline abrufbare Biowetter sei allenfalls vom Wetterdienst verursacht, und nichts anderes als "Scharlatanerie", ein "vollkommener Stuss", weshalb Kachelmann für das Jahr 2005 "eine biowetterfreie Zone in den Zeitungen" anstrebt.

Nach aktuellem Kenntnisstand müssten Millionen Menschen hinter Kachelmann und seiner Meinung stehen. Ebenso viele Millionen dagegen schwören Stein und Bein, dass sie bestehende Beschwerden bei Wetterveränderungen stärker spüren oder ihr ansonsten beschwerdefreier Körper in irgendeiner Art und Weise auf die Vorboten und Nachwehen der Hoch- und Tiefdruckgebiete reagiert.

Wer Wetterfühligkeit salopp als Stuss abtut, missachtet Schmerzen aller Art, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schlafstörungen, Gereiztheit, Schwindel, Bluthochdruck, Konzentrationsstörungen und die bisweilen daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit von Millionen und übersieht geflissentlich die Arbeit von Forschern, die sich in den letzten 50 Jahren sachlich mit der Thematik auseinander gesetzt haben. Denn eine veränderte Wetterlage lässt sehr wohl den Körper reagieren, auch wenn das Wetter als solches nicht krank macht.

Wie anders auch hätte die Menschheit überleben sollen? Um dem Phänomen Wetterfühligkeit auf die Spur zu kommen, muss man zunächst einmal eine Menge Menschen danach befragen. Das haben vor drei Jahren die Bio-Meteorologen Peter Höppe und Dennis Nowak mit einer repräsentativen Studie getan. Von den 1.064 Befragten gaben 54 Prozent an, dass das Wetter einen Einfluss auf ihr Befinden habe. 22 verschiedene Krankheitsbilder trugen die Forscher zusammen, die offensichtlich mit den Wetterkapriolen in Zusammenhang standen. Höppe ging 2003 der Sache weiter auf den Grund und bat 50 wetterfühlige Patienten darum, exakt ihre Befindlichkeit über einen langen Zeitraum zu protokollieren. Dann wurden die häufig genannten Beschwerden mit jenen Wetterlagen in Beziehung gesetzt, die erfahrungsgemäß als Mitursache für die jeweiligen Missempfindungen verdächtigt werden. Der Vergleich dieser Zuordnung mit den Daten des Deutschen Wetterdienstes zeigte dann bei zwei Dritteln der Studienteilnehmer einen klaren Zusammenhang zwischen Wetter und Befindlichkeit.

Durch Messungen der Hirnströme und des Blutdrucks lassen sich Wettereinflüsse nachweisen. Als gesichert gilt heute, dass schnell durchziehende Warmfronten als Vorboten eines Tiefs besonders belastend sind. Der Luftdruck fällt, die Bewölkung nimmt zu, Temperatur und Luftfeuchtigkeit steigen. Kreislauferkrankungen, Thrombosen und Embolien häufen sich.

Eine Kaltfront auf der Rückseite eines Tiefs lässt dagegen die Wahrscheinlichkeit für Krämpfe, Koliken und Herzinfarkte steigen. Trockenwarme Fallwinde wie der Föhn in Bayern lassen die Nebennierenrinde vermehrt Adrenalin ausstoßen. Puls und Blutdruck steigen, Menschen werden gereizt, klagen über Kopfschmerzen und Konzentrationsmängel. Selbst das Phänomen, dass manche Menschen ein heraufziehendes Gewitter Stunden und Tage zuvor in Gelenken und Narben spüren ist inzwischen erklärbar.

Verantwortlich dafür sind die sogenannten Sferics, ultrakurze elektromagnetische Impulse, die im Vorfeld eines Gewitters entstehen und sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Dadurch lädt sich die Luft auf, ist voller elektrisch geladener Teilchen. Sie bewirken unter anderem, dass sich der Serotonin-Spiegel erhöht, ein Stoff der auch bei der Schmerzwahrnehmung eine Rolle spielt. Vorhandene Leiden wie Rheuma oder Asthma werden dann spürbarer.

Zwar ist bislang kein Kraut gegen Wetterfühligkeit gewachsen, aber ganz schutzlos ist man den Wetterkapriolen nicht ausgesetzt. Mediziner raten Stubenhockern und Büromenschen zum regelmäßigen Spaziergang an der frischen Luft, auch bei Regen, und zur Abhärtung durch Wechselduschen. Auch ein wöchentlicher Saunabesuch wirkt wahre Wunder. Traubenzucker hat noch keinem Kreislauf geschadet und Melisse in Form von Tees oder Badezusätzen beruhigt die überreizten Nerven.