Wieso der aktuelle Fahrplan für ein Wiederhochfahren dem Kulturbereich nicht hilft.
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Ab 29. Mai sind Veranstaltungen ab 100 Personen wieder erlaubt. Die Maßnahmen, die in diesem Fall zu treffen sind (vermutlich Maskenpflicht und ein gewisser Mindestabstand samt zusätzlicher Vorkehrungen), werden laut Pressekonferenz vom 15. Mai aber erst am 25. Mai kommuniziert. Dass dieser Zeitraum unrealistisch knapp bemessen ist, brauche ich wohl nicht auszuführen. Leider wurden wir alle im Dunkeln darüber gelassen, worauf sich die 100 Personen beziehen: Geht es um 100 Personen, die real im Saal sitzen, unabhängig davon, ob es 100, 500 oder 1000 Sitzplätze gibt? Oder geht es um das Fassungsvermögen? Ich befürchte Ersteres. Aber das hätte auf jeden Fall in der Pressekonferenz erklärt gehört - wie so viel anderes.
Entfall von Auftritten zieht sich teilweise schon bis 2021
Ich habe mittlerweile mehrere Anrufe aus dem Freundeskreis erhalten mit dem Wortlaut: "Super, ab 29. Mai kannst du wieder spielen, und es ist alles beim Alten." Nein, es ist nichts beim Alten. Denn selbst wenn theoretisch Veranstaltungen wieder erlaubt sind ab 29. Mai und die Veranstaltungen gestaffelt dann immer größer werden dürfen, ist die Sache für uns im Kulturbereich nicht so einfach, wie sie dargestellt wird. Ich möchte Folgendes festhalten:
Für die meisten Bühnen wird eine Öffnung unter den oben genannten Umständen nicht rentabel sein. Unzählige rechnen in den Sozialen Medien vor, wie viele Karten sie zu welchen Preisen verkaufen müssten, um kostendeckend zu wirtschaften. Von gewinnbringend ist da noch lange keine Rede! Und bedenkt man dann noch, dass im Kleinkunstbereich, aber auch in vielen anderen Kulturbereichen Einnahmenteilung zwischen Veranstalter und Künstler üblich ist, dann genügen mathematische Grundkenntnisse und ein wenig Hausverstand, um zu erkennen, dass davon niemand überleben kann.
Nur weil beschränkte Veranstaltungen wieder erlaubt werden, ist das keine Garantie, dass auch Publikum kommt. Durch die Kommunikation der Bundesregierung wurden in den vergangenen Wochen Angst und Panik geschürt. Regelmäßig erlebe ich verängstigte Menschen im Supermarkt, die nervös werden, wenn man sich ihnen auf zwei Meter nähert. Sie werden wohl kaum den Weg in einen Theatersaal finden - selbst als größte Kulturliebhaber. Von der Risikogruppe über 60/65 Jahre ganz zu schweigen. Und es ist nun einmal Fakt, dass diejenigen, die sich Kultur am öftesten leisten (können), reifere Menschen sind.
Wir Künstlerinnen und Künstler waren als Allererste vom Shutdown Mitte März betroffen. Wir mussten alle Auftritte bis Ende Juni absagen, da dieser Zeitraum damals bekanntgegeben wurde. Viele Veranstalter haben mittlerweile aber alles bis Ende August storniert, einige wenige Termine konnten verschoben werden. Es ist toll, wenn plötzlich ab 29. Mai Veranstaltungen wieder möglich sind, aber jetzt zu sagen: "Oh, wir machen doch wieder auf und spielen wieder", ist für uns organisatorisch schlichtweg nicht möglich. Kartenreservierungen wurden bereits storniert, Plakate abgehängt, Termine aus den Spielplänen oder komplette Frühjahrsspielpläne von Websites entfernt, Techniker storniert, etc. Wir planen unsere Auftritte liebevoll und detailliert bis zu zwei Jahre im Vorhinein. Praktisch ist so ein Schnellschuss nicht umsetzbar.
Der Entfall von Auftritten betrifft ja mittlerweile nicht nur den Frühling und den Sommer. Nein, Absagen und die oben erläuterte Thematik ziehen sich nun schon bis in den Herbst und teils bis ins kommende Jahr hinein. Mehrfach haben mir bereits Veranstalter gesagt: "Es tut uns leid, wir können keine neuen Verpflichtungen eingehen. Wir können nichts planen. Wir wissen nicht einmal, ob wir dieses Jahr wirtschaftlich überleben!" Ähnliche Erfahrungen gibt es mit geplanten Firmenauftritten, Galas, Hochzeiten etc. Der Veranstaltungsbereich ist ja riesig. Die neue Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer will ihre Expertise in die Erarbeitung neuer Regelungen einfließen lassen. Es wäre wünschenswert, wenn sie die erwähnte Problematik in einen überarbeiteten Fahrplan und in die weitere Planung der Fonds mit einkalkuliert.
Es gab ja laut Pressekonferenz mehrere runde Tische zu diesem Thema, die angeblich hochkarätig besetzt waren. Ich gehe davon aus, dass die Vertreter des Kulturbereichs die Herausforderungen kompetent geschildert und aufgezeigt haben, weshalb gewisse Lösungen hier nicht funktionieren werden. Daher ist mir schleierhaft, weshalb nun solch ein Fahrplan das Ergebnis ist. Auch hier ruhen meine Hoffnungen auf Mayer, die ja ausdrücklich den Dialog mit Vertretern der betroffenen Branche suchen will.
Worüber ich mich wirklich geärgert habe, waren die Ausführungen bei der Pressekonferenz am Freitag zum Thema "Eigenverantwortliche Lösungen finden". Sinngemäß wurde ja Folgendes kommuniziert: "Wir setzen auf Eigenverantwortung. Und jeder Veranstalter soll sich da ein Konzept überlegen, wie er die Sicherheitsmaßnahmen umsetzt. Seien sie kreativ!" Wie soll das gehen, wo die liebe Regierung doch noch immer keine konkreten Rahmenbedingungen kommuniziert hat, innerhalb derer wir kreativ sein sollen? Die Verantwortung abzuwälzen, lenkt ja auch hervorragend vom ebenfalls so wichtigen Thema Förderungen und Unterstützungen ab. Es entsteht merklich der Eindruck, dass wir "Kreativlinge" uns nun die Lösungen für die Aspekte einfallen lassen sollen, die von der Regierung zu regeln verabsäumt wurde. Ich warte ja nur auf den Tag, wo dann in einer Pressekonferenz gesagt wird: "Künstler können seit 29. Mai eh wieder arbeiten und Geld verdienen. Wir schaffen daher den Härtefallfonds wieder ab." Das wäre freilich - gelinde gesagt - eine Verhöhnung höchsten Grades.
Österreich nennt sich Kulturland. Der Kulturbereich trägt einen großen Teil zum Tourismus bei. Die Bundesregierung rühmt sich immer, dass wir in Österreich in der Corona-Krise im internationalen Vergleich super dastehen, dass wir besser durchkommen als manch andere Länder. Aber wie kann es sein, dass andere schnelle und wirklich unbürokratische Lösungen für Kulturschaffende ermöglichen und die Kulturnation Österreich völlig auslässt? Ja, es ist eine tolle Sache, wenn sich die Regierung mit uns als Künstlern und mit dem, was wir erreicht und geschaffen haben, international schmücken kann. Aber jetzt ist es nötig, uns zu unterstützen! Und nicht, uns einfach zu vergessen, fallen zu lassen und auszuhungern. Wir sind es gewöhnt, in prekären Verhältnissen zu arbeiten und um einen Hungerlohn zu spielen (dafür braucht es sowieso eine Lösung, unabhängig von Corona). Derzeit gibt es aber nur noch Hunger - ohne Lohn.
Wir sind keine "Unterhaltungsäffchen", kein hübsches Beiwerk der Kulturnation. Wir tragen einen wesentlichen und wichtigen Teil zur Gesellschaft und zur Volkswirtschaft bei. Wir zahlen Steuern, wir leisten unsere Sozialabgaben und damit auch unseren Beitrag zu den Gehältern der Politiker. Alleine dafür erwarte ich mir eine ehrliche Unterstützung und Wertschätzung und keine Abspeisung mit Marketing-Regelungen, die zwar nach außen hin toll klingen, aber in Wahrheit genau gar kein Fortschritt für uns sind. Denn wir sind keine Bittsteller. Wir fordern, was uns zusteht.
Realistischer Fahrplan statt realitätsferner Halblösungen
Was der Kulturbereich jetzt wirklich braucht, sind mehrere Dinge:
Ein realistischer Fahrplan statt Halb-Lösungen, die realitätsfern sind und sowohl im Kulturbereich selbst als auch beim Publikum nur Verwirrung stiften. Dieser würde außerdem zu einer besseren Planbarkeit und Perspektiven führen. Die positiven Auswirkungen auf die Psyche wären hier außerdem enorm und auch gesundheitlich von Vorteil.
Die Übernahme des Einnahmenentgangs in der Corona-Krise durch die Bundesregierung.
Finanzielle Unterstützung für die Veranstalter, die in den Monaten mit Publikumsbeschränkungen Veranstaltungen durchführen (der Staat sollte den Teil des Einnahmenentgangs übernehmen, der durch die Platzbeschränkungen entsteht).
Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Menschen im Kultur- und Veranstaltungsbereich für die Dauer der Krise beziehungsweise der Beschränkungen. Wir können nichts dafür und waren die Ersten, die zusperren mussten. Und wir werden die Letzten sein, die wieder normal arbeiten können.
Einkalkulierung und finanziellen Ersatz der langfristigen Schäden der Branche ins Jahr 2021 hinein.
Die Einrichtung eines eigenen Kulturministeriums, alleine schon als Akt der Wertschätzung. Dessen Fehlen empfinde ich tatsächlich als Schande für das Kulturland Österreich.