Zypern lebt vorerst mit geschlossenen Banken - noch keine Hilfe aus Moskau.
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Nikosia. "Spuckt er denn normal Geld aus?", fragt die zierliche Frau den Herrn mit der Aktentasche vor ihr. Der Mann nickt kurz - und zieht vierhundert Euro aus dem Bankautomaten. Man möchte meinen, das sei ein ganz normaler Vorgang, der sich an diesem frühlingshaften Mittwochvormittag in der zentralen Geschäftsmeile in der Ledra-Straße in Zyperns Hauptstadt Nikosia abspielt. Doch was ist hier schon normal in diesen Tagen. Hier, im pleitebedrohten Inselstaat.
Am Tag danach, nach dem spektakulären Nein von Zyperns Parlament zu einer von der scheinbar allmächtigen Eurogruppe verordneten Zwangsabgabe auf die Spareinlagen bei Zyperns Geschäftsbanken, scheint auf den ersten Blick nichts anders als noch vor wenigen Wochen. Doch dann wird einem allmählich klar: Das ehemals pulsierende Land, es ist ins Stocken geraten.
Nicht nur der Autoverkehr auf Zyperns Straßen ist nicht mehr ganz so dicht wie früher. Auch in den Läden herrscht zumeist gähnende Leere. Fast scheint es so, als ob die Zyprioten ihr Bares zusammenhalten wollen - aus Angst vor dem, was noch auf sie zuzukommen droht.
Zuletzt waren die Banken in dem klammen Euro-Land am letzten Freitag geöffnet. Nun, so heißt es, werden sie zumindest bis nächsten Dienstag, nach dem Nationalfeiertag am Montag, zu sein. Falls alles gut geht. Je länger die Geldinstitute geschlossen haben, umso stärker droht inzwischen der alltägliche Wirtschaftsbetrieb auf der Insel zum Erliegen zu kommen. Handwerker erhalten kein Geld für bereits erbrachte Leistungen. Restaurants können ihre Lieferanten nicht bezahlen, sondern müssen anschreiben. Und Geld für Importgüter wie Benzin oder Schiffssprit wird ebenfalls knapp.
Sollte es nicht doch vorher zu einer Einigung und Finanzierungslösung mit der Eurogruppe kommen, werden die Banken in einigen Tagen wieder aufsperren müssen. Dann würde aber das Geld wohl in großem Stil von den Konten abgezogen - was die Banken so oder so in den Ruin treiben würde. Folglich müssten Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden, wird der "Wiener Zeitung" aus Kreisen der Europäischen Zentralbank bestätigt.
Die rechtliche Handhabe dafür gibt es - und zwar mit Artikel 66 des EU-Vertrags von Lissabon (siehe Kasten). Praktisch würde das bedeuten, dass die Zyprioten Überweisungen und Abhebungen bei den Banken bis zu einem Maximalbetrag tätigen können. Darüber hinaus bliebe der Zugriff auf die Konten aber gesperrt.
"Was ist schon eine Pleite?"
Es wird alles gut gehen. Daran hat Alexandros Dimitriou (65) jedenfalls keinen Zweifel. Dimitriou, ein kleiner Mann mit smartem Blick, führt seit mehr als 40 Jahren einen Friseursalon in Nikosias Altstadt. Die Möbel sind alt, das Radio auch, es läuft den ganzen Tag. Dimitriou hat 1974 die Invasion der Türken miterlebt, die die Teilung der Insel und der Hauptstadt nach sich zog. Damals, so erinnert er sich, brach die Wirtschaftsleistung der Insel um fulminante 70 Prozent ein. "Was ist da schon eine Pleite?", fragt er. Das schallende Nein zur Zwangsabgabe für die Spareinlagen, das am Vorabend Zyperns Parlament trotzig in Richtung Resteuropa katapultierte, findet er gut - wie alle Zyprioten, die man dazu fragt. Dimitriou sagt mit fester Stimme: "Wir hatten keine andere Wahl."
Ob er keine Angst vor einem totalen Absturz hat, wenn die EU-Partner bald keine Lust mehr verspüren, den bockigen Zyprioten unter die Arme zu greifen? "Nein. Die Russen werden uns helfen." Kann eine Wirtschaft ohne genügend frisches Bargeld auf Dauer überhaupt funktionieren? "Nein, natürlich nicht. Aber wissen Sie: Was seit drei Jahren mit Griechenland passiert, wollen wir hier nicht zulassen. Die Troika ist wie ein Krebsgeschwür." Dimitriou legt die Schere weg und lächelt: "Ach, und noch etwas: In meinem Beruf spielen Banken keine Rolle. Ich verpasse meinen Kunden einen Haarschnitt - und kassiere dafür Cash." Er lacht, als er das sagt.
5,8 Milliarden Euro gesucht
Ein paar Straßen weiter jagt an diesem Mittwoch die eine Sitzung die nächste. Ob im Amtssitz "Proedriko Megaro" von Zyperns Staatspräsident Nikos Anastasiadis, einen Steinwurf entfernt im Parlament oder im futuristischen Hauptgebäude von Zyperns Notenbank: Fieberhaft ist die zypriotische Regierung darum bemüht, die dringend benötigten 5,8 Milliarden Euro, die die umstrittene Zwangsabgabe auf einen Schlag eingebracht hätte, aufzutreiben. Irgendwie.
Finanzminister Michalis Sarris, der seit Dienstagabend in Moskau weilt, um einen neuen Kredit in Höhe von fünf Milliarden Euro an Land zu ziehen, gab unterdessen bekannt, er werde seinen Aufenthalt in der russischen Hauptstadt verlängern. Sarris lapidar: "Ich bleibe so lange, bis ich ein Ergebnis verkünden kann." Die Suche nach den verlorenen 5,8 Milliarden. Für Nikosia ist es ein Kampf gegen die Zeit.
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(Konsolidierte Fassung, Auszug)
Artikel 66
"Falls Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern unter außergewöhnlichen Umständen das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend stören oder zu stören drohen, kann der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der Europäischen Zentralbank gegenüber dritten Ländern Schutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Monaten treffen, wenn diese unbedingt erforderlich sind."