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Alles im Fluss

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
Wahlwerbung in Gummistiefeln: Was vielen anderen Politikern schon geholfen hat, findet offenbar auch Stavros Theodorakis gut.
© Y. Kontos

Ex-TV-Star Stavros Theodorakis könnte bei der EU-Wahl mit seiner neuen Partei der Dritter werden.


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Neochori. Dass er anders als die anderen ist, merkt man spätestens an diesem nasskalten Mittag Ende März in einem Kuhstall im Dorf Neochori. Stavros Theodorakis, 50, Kurzhaarschnitt, ausgeblichene Jeans, steht in olivgrünen Gummistiefeln vor dem Vieh, streichelt die Tiere und spricht ins Mikrofon, das unauffällig an seine Jacke angeheftet ist: "Ich bin dafür, dass die Herkunft der Milch genau gekennzeichnet wird. Damit jeder Verbraucher sofort weiß: Ist das griechische Milch oder nicht?"

Die griechische Hauptstadt Athen ist in der Bergregion Epirus, dem Armenhaus Griechenlands, sehr weit entfernt. Doch die Frage der Milch war in Hellas in den vergangenen Wochen ein überaus heikles Thema. Kürzlich beschloss das Athener Parlament nach langem Tauziehen in einer teilweise tumultartigen Debatte ein umfangreiches Paket von Reformen - unter anderem im bis dato stark regulierten Milchmarkt. Ohne diese Beschlüsse hätte Griechenlands öffentliche Gläubiger-Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds die dringend benötigte nächste Kredittranche nicht freigegeben.

In Folge der Reformen wird es Marktakteuren künftig erlaubt sein, pasteurisierte Milch in den hellenischen Supermärkten mit einem längeren Ablaufdatum als bisher anzubieten. Kritiker befürchten allerdings, dass durch die Neuregelung auch Importeure künftig leichter auf dem griechischen Markt Fuß fassen können. Theodorakis’ medienwirksamer Auftritt soll daher zeigen: "Ich breche eine Lanze für die griechischen Milchbauern, für die einheimische Produktion."

Theodorakis macht Wahlkampf. Kurze Sätze und prägnante Botschaften prägen seinen Kommunikationsstil. Dazu kommt eine perfekte Körpersprache wie ein TV-Profi. Und genau das ist er auch. In Griechenland ist Theodorakis ein bunter Hund - und populär. In Dorf Drapanias auf Kreta geboren, wuchs er in einfachen Verhältnissen in Athen auf. Bereits Anfang der 1980er Jahre startete er seine Karriere als Journalist. Mit seiner Fernsehreportage-Reihe "Die Protagonisten", in denen er vor allem gesellschaftliche Themen aufgreift, in denen stets die kleinen Leute die Hauptrolle spielen, gelang ihm im Fernsehen der Durchbruch. Die TV-Reportagen von "Stavros", wie ihn in Griechenland alle nennen, sind hierzulande zur meistgesehenen Sendung avanciert.

Bürger statt Politiker

Ende Februar gab der Fernsehstar völlig unerwartet per Internet bekannt, eine eigene Partei gründen zu wollen. Kurz darauf kündigte Theodorakis, der zuvor noch nie politisch aktiv gewesen war, am Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn und mitten in der Fernsehsaison abrupt den Vertrag mit seinem Haussender Mega Channel. Seither versucht er den verblüfften Griechen geradezu gebetsmühlenartig eines zu vermitteln: Mit seiner Partei "To Potami" ("Der Fluss") sollen neue, unbefleckte Leute, eben keine Polit-Profis, in die Politik. Das "Potami"-Programm: Mehr Europa, ein kleineres griechisches Kabinett, ein kleineres Parlament in Athen, die strikte Trennung von Staat und Kirche, ein klares Ja zur Homo-Ehe, die Stärkung der einheimischen Produktion.

Seit einigen Wochen tourt Theodorakis mit einem Mini-Budget und einer kleinen Gruppe von Mitstreitern durchs Land. Ob auf Kreta, in Patras oder Epirus: Theodorakis hat Zulauf. Im krisengeplagten Hellas ist dies keine Selbstverständlichkeit. Wer hört ihm zu? Ein Blick ins Publikum genügt: vor allem Studenten, Frauen, Familien.

Das drückt sich auch in übereinstimmenden Umfragen aus. Auf Anhieb ist "To Potami" mit bis zu dreizehn Prozent der Stimmen zur drittstärksten politischen Kraft in Griechenland avanciert. Damit liegt sie gar nicht so weit hinter der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia unter Premier Antonis Samaras und der oppositionellen Syriza-Partei - und vor allem rangiert die neue Partei weit vor den mitregierenden Pasok-Sozialisten.

Zulauf von allen Seiten

Experten zufolge gewinnt "To Potami" Wähler aus fast allen politischen Lagern. Nur potenzielle Wähler der rechtsextremen Goldenen Morgenröte, die trotz der Strafverfolgung gegen die Parteispitze zweistellige Umfragewerte aufweisen, und der Kommunisten bleiben der neuen Partei fern. Und: Der umtriebige Ex-TV-Mann schafft es offenbar, bisher unentschlossene Wähler zu mobilisieren. Im leidgeplagten Hellas stellen sie mit bis zu 40 Prozent eine durchaus kritische Masse dar.

So ist Theodorakis’ ungewöhnliches Polit-Projekt auch ein Kampf gegen die nach einem halben Dutzend Sparpaketen mittlerweile grassierende Politikverdrossenheit der Griechen. Unverhohlen gibt "Stavros" die Marschrichtung vor: "Was wir wollen? Die Spielregel in der hiesigen Politik ändern". Pasok-Chef und Vizepremier Evangelos Venizelos, der schon seit gut zwanzig Jahren zu den politischen Schwergewichten im Land zählt, hört das offenbar nicht gerne. Den verheißungsvollen Start von "To Potami" quittierte er jedenfalls mit beißender Ironie: "Viel Erfolg für jede Fernsehsendung, die sich in eine politische Partei umwandeln will."

Theodorakis reagiert auf derartige Häme und Spott betont gelassen. "To Potami" werde zunächst nur bei den für das Euro-Sorgenkind wegweisenden Europawahlen antreten, hebt er hervor. Gelingt dabei ein Erfolg, sei er aber entschlossen, anschließend auch die nationalen Parlamentswahlen ins Visier zu nehmen. Das Zögern hat gute Gründe, denn "To Potami" hat noch keine Parteiorgane. Sogar die "Der Fluss"-Kandidaten für die Europawahlen sind bis dato noch gar nicht alle nominiert. In jedem Fall, so beteuert Theodorakis, werde er maximal acht Jahre in der Politik bleiben. Auch in diesen Tagen gilt in Griechenland offensichtlich die Formel des Philosophen Heraklit: "Ta Panta Rhei" ("Alles ist im Fluss").