Die EU-Geldgeber feiern das Ende der Schuldenkrise. Den Griechen selbst ist nicht zum Jubeln zumute.
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Wien "Die Probleme mit den griechischen Schulden liegen hinter uns", vermeldet der französische Finanzminister Bruno Le Maire, "die Griechenland-Krise endet hier", zieht EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici einen Schlussstrich: Die Finanzminister der Eurogruppe hatten am Donnerstag bis tief in die Nacht verhandelt, dann lag eine Lösung auf dem Tisch. Nach acht Jahren am Tropf der Geldgeber werden die Hellenen ab August finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen. "Pleite-Griechen" und der "Grexit" sind aus den Schlagzeilen verschwunden.
Klar ist aber auch, dass die Lage bei weitem nicht so rosig ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
1.Was wurde von den
Finanzministern der
Eurogruppe in Luxemburg beschlossen?
Griechenland wird eine letzte Tranche von 15 Milliarden Euro aus dem dritten Rettungsprogramm bekommen. Damit soll Athen ein Finanzpolster gewährt werden, wenn man sich ab August wieder am Kapitalmarkt finanzieren muss. Außerdem soll die Kreditrückzahlung erleichtert werden und Griechenland Zinsgewinne der Europartner gutgeschrieben bekommen. Die Laufzeitverlängerung für Kredite ist aus Sicht Athens wichtig, weil die Kreditlast durch die Inflation immer geringer wird. Außerdem bekommt Athen bis 2022 etwa eine Milliarde pro Jahr ausbezahlt. Die Summe stammt aus Gewinnen, die die Zentralbanken der Euro-Länder mit dem Ankauf von griechischen Staatsanleihen machen.
2.Haben also die Geberländer von der Griechenlandkrise ordentlich profitiert?
Jetzt wurde bekannt, dass Deutschland seit dem Jahr 2010 mindestens 2,9 Milliarden Euro an Zinsgewinnen verdient hat. Auch Österreich hat deutlich mehr als 100 Millionen Euro eingenommen. Den größten Nutzen hat aber der deutsche Finanzminister gezogen. Der hat mit Hilfe der Niedrigzinspolitik der EZB, die als Folge der Finanz- und Griechenlandkrise nach 2008 etabliert worden war, das Budget sanieren können.
3.Ist Griechenland jetzt
wenigstens aus dem Schneider?
Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos ist mit der Einigung zufrieden. Für Athen ist es psychologisch wichtig, dass die demütigenden Visiten der Geldgeber-Troika in Athen endgültig der Vergangenheit angehören. Man kann wieder aufrecht gehen. Völlig frei kann Griechenland aber auch in Zukunft nicht über seine Finanzmittel verfügen. Die Eurogruppe hat Bedingungen an ihr Engegenkommen geknüpft. So muss Athen weitere Reformen umsetzen, die Einsparungen bringen. Und man hat sich verpflichtet, bis 2022 jährlich einen Primärüberschuss von mindestens 3,5 Prozent zu erwirtschaften. Die Einhaltung dieser Auflagen wird von EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und dem Euro-Rettungsfonds ESM überwacht.
4.Wieviel Hilfe hat
Griechenland nun
insgesamt bekommen?
Knapp 274 Milliarden Euro an Hilfskrediten hat Griechenland von seinen internationalen Geldgebern erhalten. Dazu kommen die 15 Milliarden, die jetzt in Luxemburg bewilligt wurden. Im Jahr 2010 wurde der Staatsbankrott durch ein erstes Hilfsprogramm im Umfang von 110 Milliarden Euro abgewendet. Dann stampften die Gläubiger den Rettungsschirm EFSF aus dem Boden, es flossen 174 Milliarden Euro. Dann wurde im Juli 2015 der permanente Rettungsschirm ESM errichtet und 86 Milliarden bereitgestellt, die nicht völlig ausgeschöpft wurden.
5.Wie hat die Schuldenkrise Griechenland verändert?
Die Bevölkerung hat einen achtjährigen Leidensweg hinter sich. Die Regierung musste auf Druck der Geldgeber umfangreiche Sparprogramme durchsetzen. Es wurden Pensionen und Löhne gekürzt, Steuern erhöht. Kürzungen der öffentlichen Ausgaben brachten viele Griechen in Schwierigkeiten. 450 Einzelmaßnahmen wurden gesetzt, um den Staatshaushalt zu entlasten. Streiks sind an der Tagesordnung, Beobachter berichten aber auch von einer Lethargie, die die griechische Gesellschaft erfasst habe. Auf politischer Ebene ist es nicht zu einem Rechtsruck gekommen, es regiert die linke Syriza. Premier Tsipras wagte 2015 den Aufstand gegen das "Spar-Diktat", lenkte dann aber ein. Seitdem gilt er bei den Geldgebern als kooperativ. Jetzt, wo die Krise ausgestanden ist, will er sich erstmals in seinem Leben eine Krawatte umbinden.
6.Wie argumentieren
jene, für die die Rettung
Griechenlands eine Erfolgsgeschichte ist?
Hier verweist man darauf, dass die wirtschaftlichen Eckdaten wieder stimmen. 2017 gab es ein Wirtschaftswachstum vom 1,7 Prozent, in diesem Jahr soll es noch höher ausfallen, gerechnet wird mit 1,9 Prozent. Der Haushaltsüberschuss beträgt 0,8 Prozent, ohne Schuldendienst sogar 4,2 Prozent. Natürlich gebe es immer noch viele Probleme, aber Griechenland befinde sich auf dem richtigen Weg.
7.Was sagen die Kritiker?
Hier ist man der Ansicht, dass Griechenland kaputtgespart wurde und der strenge Austeritätskurs die wirtschaftliche Krise verschärft hat. Die Gegner des Rettungsprogramms gehen davon aus, dass Griechenland in den kommenden Jahren ökonomisch dahinvegetieren wird. Das Land brauche Spielraum für Investitionen, heißt es hier. So ist immer noch jeder Fünfte arbeitslos, die Staatsverschuldung liegt bei fast 180 Prozent des BIP. Das ist höher als je zuvor. Erinnert wird daran, dass die kompromisslose Haltung des deutschen Ex-Finanzministers Wolfgang Schäuble viel europäisches Porzellan zerschlagen habe. Das heute zu beklagende starke Auseinanderdriften der Europäer habe dort seinen Anfang genommen, sagen Kritiker.