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Alles muss raus

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Mit Privatisierungswelle die Kassen füllen: Neben Eurostar sollen auch die Königliche Münze und das Wetteramt verkauft werden.


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London. Mit einer neuen Privatisierungswelle will die rechtsliberale Regierung Großbritanniens zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen beitragen. Umgerechnet 24 Milliarden Euro soll dem Londoner Finanzministerium die nächste Runde der Veräußerung öffentlicher Dienste einbringen - sehr viel mehr, als bisher an Einnahmen aus dem Verkauf des "Familiensilbers" angepeilt wurde.
 
Die Regierung habe sich in dieser Frage jetzt "ehrgeizigere" Ziele gesteckt, sagte der liberaldemokratische Chefsekretär der Schatzkanzlei, Danny Alexander, dazu am Mittwoch. "Eine Regierung sollte nicht Dinge besitzen, die sie gar nicht zu besitzen braucht." Nicht selten gäbe es ja Dienstleistungen, "von denen viele Leute nicht einmal wissen, dass sie überhaupt dem Staat gehören". Diese könnten ohne weiteres verkauft und in eine "produktivere" Form der Infrastruktur umgewandelt werden.

Zu den ersten Projekten, die vor diesem Hintergrund angegangen werden sollen, zählt der Verkauf des 40-prozentigen Anteils an Eurostar, der Bahngesellschaft, die den Zugverkehr zwischen England und dem Kontinent versieht. Der Mehrheitsanteil von Eurostar liegt in den Händen des staatlichen französischen Bahnbetreibers SNCF. Bisher hatte London abgestritten, dass es an eine Veräußerung der eigenen Eurostar-Anteile denkt, wohl nicht zuletzt auch, weil das Unternehmen 2012 gesunde 62 Millionen Euro Jahresgewinn einfuhr. Allerdings dürfte der Verkauf der britischen Anteile der Schatzkanzlei hunderte von Millionen einbringen.

Der neue Plan hat aber bereits heftige Kritik in London ausgelöst. Erst vor kurzem hatte die Regierung von David Cameron 60 Prozent der Royal Mail für knapp 2,4 Milliarden Euro verkauft - wie sie im Nachhinein herausstellte, hätte man für die Anteile an der britischen Post allerdings fast doppelt so viel Geld verlangen können. Zu Protesten hatte jüngst auch der Verkauf der ehemals zum Nationalen Gesundheitswesen gehörenden Blutbank Plasma UK an einen amerikanischen Hedgefund geführt. 240 Millionen Euro hatte dieser Verkauf der Regierung eingetragen.

Bürger wollen mehr Staat

Parallel zum Eurostar-Verkauf versucht die Regierung derzeit auch ihre Anteile an der Nuklearfirma Urenco im Wert von 3,6 Milliarden Euro loszuwerden. Als nächste Kandidaten stehen dann die von der Royal Mail separaten Postämter, die Königliche Münze, das Wetteramt, das Kartografische Institut und die Luftverkehrs-Kontrollstelle auf der Privatisierungsliste. Auch der Fernsehsender Channel 4 soll bald zum Verkauf freigegeben werden.

Außerdem will das Cameron- Kabinett die seit dem Kollaps ihrer privaten Betreiber wieder öffentlich geführte Ostküsten-Bahn von London nach Edinburgh erneut an eine private Firma übergeben. An dieser Vergabe der künftigen Betriebslizenz hat sich allerdings ernsthafter Widerstand festgemacht. Die East Coast Line hat als öffentliches Unternehmen nämlich nicht nur sehr gute Gewinne eingefahren. Sie hat sich auch, nach Angaben neutraler Gutachter, besser geschlagen als alle ihre privaten Konkurrentinnen. Die Labour-Opposition hat darum angekündigt, sie würde bei einer Rückkehr an die Regierung die East Coast Line im öffentlichen Dienst belassen.

Zunehmend fordern Bahnpassagiere im Königreich sogar die Rücknahme der übrigen Bahnlinien in den Staatssektor. Für viele Privatisierungskritiker haben sich hochgesteckte Investitions-Erwartungen nicht erfüllt. Statt Qualität zu verbessern, hätten die betreffenden Bahn-Unternehmen nur immer Ticketpreise hochgeschraubt und Profite abgesahnt.

Wie weit die Diskussion, ob es nun der Staat oder Private besser machen, mittlerweile reicht, zeigt sich auch im Streit um die sechs großen Energie-Konzerne, deren Tarife ebenfalls in die Höhe geschossen sind. Labour hat für die Zeit nach den nächsten Wahlen einen 20-monatigen Preisstopp für Strom und Gas versprochen. Nach Ansicht einer wachsenden Zahl von Briten müsste freilich "das ganze Energie-Kartell zerschlagen" werden. Sogar der sonst in Wirtschaftsfragen eher rechtsliberale "Independent" stellte am Mittwoch auf seiner Titelseite die Frage: "Sollten wir die Großen Sechs verstaatlichen?"