Autoritäres System? Korruption? Fehlanzeige, versichert der Präsident.
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Moskau. Er scherzt, zieht Grimassen, hebt den Zeigefinger, er fegt die Teetasse von seinem Pult. Dann aber hat er genug. "Setz dich, Mascha, gib das Mikrophon ab", sagt Wladimir Putin und zeigt die volle Respektlosigkeit gegenüber einer russischen Journalistin aus Wladiwostok. Sie, die eigentlich Maria Solowjenko heißt, hatte ihn gerade gefragt, wo eigentlich die Abermilliarden Rubel hin sind, die Russlands Beamte zur Seite geschafft hätten. "Bitte?", entgegnet der Präsident. "Die Milliarden! Wissen Sie denn nichts davon?", insistiert die Frau und muss prompt still sein.
Wladimir Putin ist in seinem Element. Vier Stunden und 33 Minuten sitzt er vor mehr als 1000 russischen und ausländischen Journalisten, in einem blau geschmückten Saal mitten in Moscow City, dem Moskauer Finanzdistrikt, der gern wie London oder Hongkong sein will. Es ist seine erste große Pressekonferenz, seit er im Mai in den Kreml zurückkehrte, und die erste mit so viel Presseanwesenheit seit fast fünf Jahren. Wie in einem überfüllten Klassenraum heben die Journalisten die Arme, sie wedeln mit Schals oder mit vollgeschriebenen Zetteln: "Vom Dorf" steht auf einem, "Tschetschenien", "St. Petersburg" auf anderen. Putin - immer wieder spricht er von sich als "Euer treu ergebener Diener" - redet gern und ausgiebig. Und am besten über sich selbst.
Es stehe schlecht um seine Gesundheit? Nein doch, es ist alles bestens! Fehler, die er machte? "Wenn ich so zurückblicke, sehe ich keine", wiegelt der 60-Jährige ab. Autoritäres System, auf ihn als Präsidenten ausgerichtet? "Hören Sie, Sie haben etwas nicht verstanden. Ich bin nach zwei Amtszeiten vom Präsidentenposten in die zweite Reihe getreten, war vier Jahre Regierungschef. Ich hätte auch die Verfassung ändern können. Für mich ein Leichtes. Habe ich aber nicht gemacht. Wo ist da die Autorität? Also bitte!" Dann folgt die übliche Breitseite gegen die Opposition, die Putins willfährige Justiz nach Massendemonstrationen nun mit Klagen eindeckt. Diese sei nur daran interessiert, das bestehende System zu zerstören, faucht Putin.
Der ehemalige KGB-Oberst behält gern die Oberhand, er hat sich jahrelang darin geübt. Lieber als über die Missstände im Land, das er seit zwölf Jahren lenkt, spricht er über gefühlte Erfolge, vor allem wirtschaftlicher Art. Unangenehme Fragen bügelt er ab, wenn es sein muss. Fragen zur Korruption, zum niedrigen Vertrauen des Volkes in den Kreml, zu bestellten Gerichtsurteilen.
Aug um Aug: Putin ärgert sich über Magnitski-Gesetz
Vor allem aber muss er immer wieder die Frage nach dem sogenannten Anti-Magnitski-Gesetz beantworten, das Russlands Parlamentarier am Vortag in zweiter Lesung angenommen hatten. Ein Gesetz, das selbst die russische Regierung in zwei Lager spaltet. Damit soll Amerikanern die Adoption russischer Kinder verboten werden. Gedacht ist es als Gegenschlag auf den amerikanischen Magnitski-Act, den US-Präsident Barack Obama vergangene Woche unterzeichnet hatte: Russischen Beamten, die in Fälle von Menschenrechtsverletzungen wie jenen gegen den in U-Haft vermutlich zu Tode geprügelten russischen Anwalt Sergei Magnitski verstrickt sind, wird die Einreise in die USA damit verboten und ihr Vermögen eingefroren. Der US-Kongress hatte das Gesetz gegen den Willen Obamas durchgesetzt. Auf der schwarzen Liste sollen allein im Fall Magnitski die Namen von rund 60 Russen aufgelistet werden. "Die USA provozieren uns, wir müssen uns wehren", poltert Putin und begrüßt den Vorschlag aus der Duma. Er muss die Vorlage noch unterzeichnen. Russische Menschenrechtler bezeichnen das Gesetz als kurzsichtigen politischen Racheakt, der auf dem Rücken von Kindern ausgetragen werde. Davon aber will der Kremlführer auch nach der fünften Nachfrage nichts hören. "Sie haben doch selbst Probleme mit den Menschenrechten, Guantánamo, Abu Ghreib - versuchen Sie mal, dort einen Polizisten anzugreifen! Sie landen im Knast."
Geklärt ist für Putin auch die Syrien-Frage, die zu großen Kontroversen mit dem Westen geführt hat. "Mein Lieber", weist er einen Journalisten zurecht. "Wir lassen kein Libyen-Szenario zu. Diesen Fehler machen wir nicht." Es gehe ihm dabei weniger um wirtschaftliche Interessen Russlands in Syrien als um die Sorge über die Zukunft des arabischen Landes "nach dem Sturz Präsident Assads", versichert der Kremlführer. Anders als in Tschetschenien findet Putin, dass das Volk in Syrien selbst entscheiden müsse.
Und die Milliarden, nach denen "Mascha" fragte? Darum kümmerten sich die Ermittler "in unserem transparenten Staat mit unabhängiger Justiz", ringt sich Putin schließlich doch noch zu einer knappen Antwort durch.