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Alles Versager - und dann?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Erklären, ohne zu verführen: So simpel formulierte es einst Vaclav Havel, was für ihn einen guten Politiker ausmacht. Dem Dichter, Dissidenten und ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten ist es gelungen, den eigenen hohen Ansprüchen auf fast unheimlich beeindruckende Weise gerecht zu werden. Und natürlich ist der Vergleich vielfach ungerecht.

Die Zeiten waren damals andere: Gut und Böse waren noch mit freiem Auge unterscheidbar, die Instant-Nonstop-Berichterstattung der Medien war Zukunftsmusik, und ferne Länder waren damals noch tatsächlich weit weg. Mit all dem ist es heute längst vorbei. Der Beruf des Politikers wurde damit mit Sicherheit nicht einfacher.

Da ist es einigermaßen billig, angesichts des Systemversagens bei der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation zur Generalabrechnung mit dem politischen Personal der Republik (und gleich des Kontinents dazu) anzusetzen. Obwohl das Managementversagen in dieser besonderen Angelegenheit tatsächlich zum Himmel schreit.

Doch Parteien und Regierungen, Minister, Landeshauptleute und Bürgermeister sind keine Lotterie, bei der man einmal eine Niete und ein anderes Mal ein Genie zugelost bekommt. Sie wurden, was sie sind, weil sie den jeweiligen Anforderungskriterien am besten entsprachen. Das Problem ist nur: Diese Auswahlkriterien sind die große Unbekannte in der österreichischen Politik (und beileibe nicht nur hier).

Die veröffentlichte Debatte beschränkt sich seit Jahren darauf, die gesamte Classe politique mit großer Geste als unfähige Versager abzukanzeln. Darüber, welche Art von Politikern an deren statt übernehmen soll, wird praktisch nicht diskutiert. Es ist ja auch wirklich einfacher, über die diversen Kanzler- und Parteichef-Ambitionen von diesem und jenem zu spekulieren. Das ist natürlich interessant und relevant, nur gilt beides ganz genauso für die sehr viel umfassendere Frage, welche Art von Politikern die Demokratie heute braucht.

Und wir sollten dringend darüber reden, welche Schwächen wir bereit sind, unseren Politikern nachzusehen, bei Charakter, Kompetenz, privaten Neigungen oder Lebensstil.

Was bleibt, ist Havels Diktum vom "Erklären, ohne zu verführen" über gute Politik. Und dieses Motto taugt auch ganz hervorragend als Maßstab für guten Journalismus.