Dinosaurier-Modell soll sich ab Herbst im Museum bewegen. | Die Forschung setzt auf Biodiversität. | Meteoriten - unter die Lupe genommen.
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Wien. Behutsam klebt ein Präparator ein verschwindend kleines Wirbelfragment auf das wuchtige Skelett einer fossilen Riesenschildkröte. Ein anderer ist mit dem Zusammenbau eines gigantischen Dinosauriers beschäftigt - ein Iguanodon, einer der ersten entdeckten Dinosaurier, der nun seinen Kopf bis zur Saaldecke streckt. "Wie ein Puzzle fügen wir die Knochen-Abgüsse aneinander", erklärt Christian Köberl, Generaldirektor des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien, bei einem Rundgang durch den Saal. Bereits fertig an der Wand hängt ein Fischsaurier-Fossil, dessen Detail besticht: Jede Rippe, jeder Zahn des Tieres ist in der zwei mal einem Meter großen Steinplatte verewigt.
Bis Oktober müssen die Spuren der Restauratoren, Werkzeuge, Leim- und Farbkübel verschwunden sein. Dann soll der neue Saurier-Saal eröffnet werden. Das Skelett des zweibeinigen Iguanodon, ein weiteres, bewegliches Saurier-Modell und interaktive Computersimulationen sollen den Besuchern ermöglichen, in die Zeit des Erdmittelalters einzutauchen. Bei seinem Amtsantritt vor rund einem Jahr hatte sich Köberl die Erneuerung der Schlüsselbereiche des Museums zum Ziel gesetzt. Nun soll ausgerechnet eine Reise in die Vergangenheit ein Zeichen der Modernisierung setzen. Bildung soll nicht nur begriffen, sondern auch erfahren werden. Auch das Aussterben der Saurier soll eindringlicher thematisiert werden als bisher. Sowohl Nachhaltigkeit als auch das Überleben in den verschiedenen Klimazonen im Laufe der Epochen sind ein Schwerpunkt.
Keine Lebendtiere mehr
Im Juni 2010 hatte der Meteoritenforscher die Nachfolge des langjährigen Direktors Bernd Lötsch angetreten. Zusammen mit dem kaufmännischen Direktor des NHM, Herbert Kritscher, will er ein ambitioniertes Programm umsetzen. Was nicht leicht fallen dürfte, da der Blick auf’s Geld mehr denn je den Takt bestimmt: Sparen ist Gebot der Stunde.
Unmittelbar nach seiner Bestellung ersetzte Köberl also in seinem Tageslicht-Museum die Beleuchtung in den Vitrinen durch energiesparende LED-Leuchten. Kurz darauf wurden die Beschriftungen zweisprachig, für mehr Besucher aus aller Welt. Danach wurden die Vivarien mit lebenden Tieren wie Fischen, Fröschen und Chamäleons im Erdgeschoß entfernt. Schließlich sei man kein Zoo: "Es zählt nicht zu den Aufgaben eines Museums, Lebendtiere zu zeigen, deren Erhaltung mehrere 100.000 Euro pro Jahr kostet", entgegnete Köberl Kritikern.
Zahl der Besucher gestiegen
Zudem hat der Generaldirektor etwas ganz anderes mit den frei gewordenen Räumen links neben dem Eingangsportal vor. Sie sollen zu einem neuen Museumsshop umgebaut werden. Auch die Eingangshalle wird umgebaut: Künftig sollen die Besucher hier eine geräumigere Garderobe, einen Infostand, Sitzgelegenheiten und Videoprojektionen vorfinden.
Die Ausbaumaßnahmen scheinen angebracht, ist doch die Besucherzahl von 2009 auf 2010 von 390.000 auf 528.000 gestiegen. Was wohl auch der Tatsache zu verdanken sei, dass die Bundesmuseen seit Anfang 2010 freien Eintritt für unter 19-Jährige bieten. Dennoch: Der Gewinn des Museums von 400.000 Euro im Vorjahr reicht für die geplante Modernisierung offenbar nicht. Das Basisbudget des Bundes liegt bei 13,7 Millionen Euro jährlich und wurde vor drei Jahren zum letzten Mal erhöht. Die Geschäftsführer hoffen nun auf eine Anhebung im Herbst, die Reaktion des Bundes ist jedoch wenig versprechend: "Das Kulturministerium ist froh, wenn es das Budget überhaupt halten kann", heißt es.
Für Köberl und Kritscher ist also klar: "Um den Um- und Ausbau finanzieren zu können, müssen wir sparen." Denn bis Ende 2012 wollen auch die Anthropologische Abteilung und der Meteoritensaal - das Liebkind des Meteoritenforschers Köberl - erneuert sein. Der Meteoritensaal zeigt die größte und älteste Schausammlung dieser Art weltweit. Nach seiner Renovierung sind der Kindersaal und die zoologische Abteilung an der Reihe. Auch die botanische Sammlung soll dem Besucher näher gebracht werden. Die Vielfalt der Pflanzen der verschiedenen Klimazonen ist Thema eines neuen Schausaals, in dem unter anderem via Computer in dreidimensionale Pflanzen-Modelle eingetaucht werden kann. Damit sollen Anpassungsmechanismen an extreme Bedingungen veranschaulicht werden. "Alles wird sich bewegen", frohlockt der Direktor.
30 Millionen Objekte
Mit mehr als 30 Millionen Objekten zählt die Sammlung zu den größten der Welt. Doch die winzigen Insekten, exotischen Schmetterlinge, Millionen Jahre alten Fossilien, Schädel, Pflanzen, kunstvoll präparierten Vögel und Säugetiere, bunten Mineralien und Artefakte aus der Ur- und Frühgeschichte des Menschen dienen nicht nur dem Auge des Besuchers, sondern werden auch intensiv beforscht. Damit habe die Museumsforschung einen Bonus gegenüber Universitäten, die eine derartige Vielfalt nicht besitzen, erklärt Köberl, der auch als Professor für Erdwissenschaften an der Uni Wien unterrichtet. Das NHM sei eine der größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen Österreichs. Allein im Vorjahr sind 130 Fachpublikationen erschienen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger liegt dem Team Köberl-Kritscher die wissenschaftliche Arbeit äußerst am Herzen. "Forschung und Vermittlung sind kein Widerspruch", betont Köberl.
Biodiversität in der Evolution
Künftig sollen die 60 wissenschaftlichen Mitarbeiter des Hauses Objekte besonders unter dem Aspekt der Biodiversität in der Evolution und der gesellschaftlichen Relevanz unter die Lupe nehmen. "Ohne die Naturwissenschaften gäbe es keine Autos, keine Fahrräder, keine Mobiltelefone. Physikalische, geologische oder mineralogische Grundlagenforschung steckt überall drin", sagt der Direktor.
Die Wissenschafter des Museums gehen etwa der Frage auf den Grund, wie Nutzpflanzen sich an Veränderungen in der Landwirtschaft anpassen. Geplant ist ein neuer Saal der Biodiversität, in dem gezeigt werden soll, wie die Arten sich weiterentwickeln. Daneben sterben viele andere Arten aus, und der Mensch trägt wesentlich dazu bei. Zentrales Element des neuen Saals soll eine spezielle Darstellung ausgestorbener Tiere sein - wie etwa der australische Beutelwolf. Genetische Untersuchungen der Arten und die Erstellung einer Datenbank der biologischen Vielfalt Österreichs sind angedacht. Außerdem sollen Einblicke in mögliche alternative Lebensformen gewonnen werden - ein Forschungsthema der Astrobiologie.
Weiters werden Gesteinsarten untersucht - aus Vorkommen, die es nicht mehr gibt. Und die ältesten Gesteine im Sonnensystem werden unter die Lupe genommen: Woher kommen Meteoriten? Was sind Meteoriten? Was passiert bei einem Meteoriten-Einschlag? Köberl, Spezialist für die Einschläge, verrät nur so viel: "Je mehr man ins Detail schaut, desto mehr findet man heraus."
Mit einem Schlag
Ob dem ambitionierten Museumsdirektor seine Amtszeit ausreichen wird, um seine Ideen umzusetzen, wird sich weisen. Besonders zeitaufwendig und kostspielig erscheinen Pläne zur Unterkellerung des Maria-Theresien-Platzes zwischen Natur- und Kunsthistorischem Museum. Den Plan gibt es schon lange, aber auch diesmal ist das Budget der größte Gegenspieler: "Allein die Vorfinanzierung von 60 Millionen Euro ist unmöglich." Eine Unterkellerung des Platzes würde allerdings gleich mehrere Zukunftsprobleme mit einem Schlag lösen. Denn das Museum platzt laut Köberl aus allen Nähten. Für weitere Sammlungsarbeit, neue Forschungsbereiche und große Ausstellungen - die drei Hauptbereiche des Museums - fehle der Platz.