Woher bekommen die vielen Singles und sonst irgendwie Vereinsamte ihre Streicheleinheiten, fragten sich findige Lebensberater. Und erfanden die Kuschelparty. Eine feine Sache, um das Streichelmanko in unserer Gefühlswüste ein wenig zu lindern.
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Der Raum ist hell und freundlich. Andrea Kiss bereitet alles für die Kuschelparty vor, legt Pölster im Kreis auf und stellt Kerzen und Blumen in die Mitte. Fünf Männer, vier Frauen haben sich angesagt. Zögerlich, verlegen und gar nicht auf Smalltalk eingerichtet kommen sie herein. Die Männer sind allesamt junge, fesche Kerle, aber ein wenig scheu, die Frauen von 40 aufwärts, ein wenig selbstsicherer, alle sehr sympathisch. Gespräch kommt keines auf. Man meidet jeglichen Blickkontakt. Wie wird das werden, wenn sich die Leute anfassen und später auch noch streicheln sollen? "Das kommt alles von ganz allein", meint Andrea optimistisch. Sie hat Erfahrung mit Kuschelpartys, hat selbst schon viele mitgemacht und leitet seit Anfang des Jahres eigene. "Wir brauchen diese Form von Berührung ganz dringend. In unserer Gesellschaft leben immer mehr Singles. Von wem können die gestreichelt werden? - Hier dürfen sie ungehemmt streicheln und gestreichelt werden!"
Ein Tabuthema? Nicht nur Singles leiden unter Berührungsmanko. Auch den Paaren fehlt sehr oft unter dem Druck der Alltagspflichten Zeit für Zärtlichkeit.
Abgesehen von den lästigen Luftküsschen bei Begrüßung und Abschied sind die Normen für Berührungen in unserer Gesellschaft streng reglementiert. Wie würde der Bäcker oder die Beamtin reagieren, wenn sie von irgendeinem Kunden plötzlich gestreichelt oder gar umarmt werden würde? Wahrscheinlich nach der Polizei schreien. Es scheint, als wären in unserer Gesellschaft Berührungen, egal ob im öffentlichen oder privaten Raum, tabu. Man wünscht sie sich, aber man geniert sich, das zuzugeben. Umso heftiger und ungehemmter wird in Film und Fernsehen geschmust und kopuliert. Irgendwie pervers. . .
Doch zurück zum Kuscheltraining, das zunächst recht harmlos beginnt. Als Aufwärmübung nennt jeder seinen Namen, dann tanzt man ein bisschen durch den Raum, was aber die allgemeine Verlegenheit nicht wirklich vertreibt. Das "Neinsagen" und "Jasagen" zu Berührungsvorschlägen wird geübt. Die Teilnehmer streichen ausgiebig über die eigenen Hände und Unterarme, sozusagen eine Vorübung für danach. Noch ist alles mehr Theorie als Praxis.
Kuschelpraxis. Doch dann ist die Warm-up-Phase vorbei. Jetzt heißt es ran an den fremden Körper. Mit dem Hinweis auf die Beachtung der Kuschelregeln, die da heißen: "Es gibt kein Muss", "erogene Zonen sind tabu" und "jeder darf seine Meinung ändern oder aus einer Übung aussteigen" startet Andrea das eigentliche Berührungsprogramm. Man streichelt sich paarweise, einander gegenüber stehend, vom Scheitel bis zur Sohle. Wie am Flughafen bei der Sicherheitskontrolle.
Danach geht´s auf die Matte. Eine/r
liegt auf dem Rücken, die Augen mit einem Tuch bedeckt, und dirigiert verbal die Hände seines Partners, seiner Partnerin dorthin, wo er sie haben will. Die meisten Streichelwünsche gehen Richtung Beine oder Arme. Nur die Mutigen lassen sich am Kopf oder an den Zehen berühren. Je nach innerer Anteilnahme streicht der Ausübende halt irgendwie über die Extremitäten oder ist im Gegenteil ganz innig bei der Sache. Das Mann-zu-Mann-Streicheln scheint Schwierigkeiten zu bereiten, von Frau zu Mann und von Frau zu Frau gibt es keine Probleme.
Pause, Snacks und Drinks lockern die Atmosphäre immerhin so weit, dass man über das Erlebte redet. "Man bekommt mehr, als man gibt", sagt eine Frau mit Gruppenerfahrung. "Fotos?" - Auf keinen Fall, man will nicht, dass Freunde und Familie von der Teilnahme an der Party erfahren. Wahrscheinlich steckt die uneingestandene Angst vor der Erkenntnis dahinter, dass man in seinem eigenen Umfeld zu wenig Zärtlichkeit bekommt und selbst gibt.
Die Pause ist zu Ende, die Party strebt ihrem Höhepunkt, dem allgemeinen Gruppenstreicheln, zu. Auf einem von mehreren Matten gebildeten Viereck legen sich die Teilnehmer bequem hin. Ohne Absprache liegen sie alle mit den Köpfen in der Mitte, so dass ihre Körper sternförmig auseinander fallen. Weiche Musik, die nach Meereswellen, Liebesgeflüster und Sonnenuntergängen klingt, weht leise durch den Raum. Annas Auge wacht über der Szene, damit ja niemand die Lage ausnützt und irgendwo streichelt, wo er nicht darf. Zunächst scheinen die Teilnehmer eher einzuschlafen als aktiv zu werden. Doch bald fallen Barrieren und Bedenken. Selig liegen die Männer und Frauen paarweise oder zu dritt ver-
schlungen und streicheln, spüren den Körper des anderen und genießen ihn. Und Anna sieht wie eine zufriedene Mutter auf ihre Kinder. Ziel erreicht, Party gelungen.
Ende der Veranstaltung. Alle sind zufrieden. Man geht auseinander, wie man gekommen ist. Als einander Fremde. Keiner verabredet sich mit irgendjemandem auf ein Date, einen Drink. Vielleicht umarmt der eine oder andere von ihnen am nächsten Morgen die Nachbarin oder den Chef.
"Die Kuschelparty".
Andrea Kiss
Seminarzentr. Hyrtlgasse 12/1, 1160 Wien
T: 0681/2029 4541
www.diekuschelparty.at
andreakiss@gmx.at
Die nächsten Termine:
10. Dezember 2010, 20-23 Uhr
23. Jänner 2011, 18-21 Uhr
4. Februar 2011, 18 -23 Uhr