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Selten zuvor hatte die Politik in Österreich so viele taktische Optionen wie derzeit. | Die wichtigste Frage ist: Wer sind die künftigen Spitzenkandidaten von SPÖ und ÖVP?
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Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer verbindet, dass sie bei Neuwahlen möglicherweise beide nicht mehr Spitzenkandidaten ihrer Parteien wären. Sollten stattdessen Werner Faymann für die SPÖ und Josef Pröll für die ÖVP antreten, so bestünde für diese beiden allerdings auch die Gefahr, gleich wieder entzaubert zu werden. Die Kanzlerschaft einfach zu erben, wäre natürlich bequemer.
Gusenbauer hat wohl - wie auch seinerzeit Tony Blair in Großbritannien - den Zeitpunkt für den rechtzeitigen Abgang verpasst. Sonst hätte er vielleicht noch auf ein Comeback hoffen können. Jetzt scheint ihm nicht mehr viel anderes übrig zu bleiben, als sich bis zuletzt an die erkämpfte Macht zu klammern. Molterer könnte ihm noch ein wenig behilflich sein - etwa weil sich die ÖVP nicht unüberlegt in Neuwahlen gegen Werner Faymann stürzen möchte. Denn lässt sich die Volkspartei vom neuen SPÖ-Chef zu sehr provozieren, bietet sie ihm womöglich die perfekte Profilierungschance. Die aktuelle Unterstützung Faymanns durch die Boulevardzeitungen ist ohnehin beachtlich.
Will ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel eigentlich noch ein Comeback versuchen - speziell wenn jetzt durch das Nein beim EU-Referendum in Irland eventuelle EU-Jobs in weitere Ferne gerückt sind? Vielleicht im Duett mit Karl-Heinz Grasser, dem immer klarer werden könnte, dass er wohl kaum je irgendwo so erfolgreich sein wird wie in der Politik?
Josef Pröll bräuchte noch keine Eile zu haben. Er ist weit jünger als Gusenbauer - und könnte dessen Schicksal als abschreckendes Beispiel dafür sehen, was passieren kann, wenn man zu schnell aufsteigt. Er müsste sich nicht aufdrängen, eher bitten lassen - lieber warten, bis kein Weg an ihm vorbei führt . . .
Sollte es die Volkspartei etwa noch einmal mit Schüssel-Grasser probieren, so könnte Pröll irgendwann als Erbe nachfolgen. Schüssel dürfte es darum gehen, seine Schmach von 2006 zu tilgen. Wenn ihm dann eine geordnete Übergabe an Josef Pröll gelänge, so bräuchte er nicht einmal mehr den viel beschworenen Job in der EU, um seine Karriere zu krönen.
Allerdings wird es für die Schwarzen nicht leicht, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Die Kampagnen-Fähigkeit der Sozialdemokraten ist bekannt und - selbst wenn sich einige SPÖ-Landesorganisationen daran erinnern sollten, dass Wahlen nur gewonnen wurden, solange Gusenbauer in Opposition war - Faymann ist nicht zu unterschätzen. Zumal ihm die Themen derzeit in die Hände spielen und er alle wichtigen Massenmedien hinter sich zu haben scheint.
In dieser Form gab es das wohl noch nie. Eigentlich schade, dass gerade dann, wenn eine Wahlrechtsänderung gewissermaßen das Gebot der Stunde wäre, den entscheidenden Akteuren der Mut dazu fehlt.