In Brüssel wurde die höchste Terrorwarnstufe bis kommenden Montag verlängert - das öffentliche Leben kam aber trotz der Terrorwarnung und zahlreicher Polizeieinsätze nicht zum Stillstand.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Da lässt sich halt nichts machen. Etwas hilflos steht der junge Mann vor dem Eingang zur U-Bahnstation Schuman im Brüsseler EU-Viertel. Ein rot-weiß-gestreiftes Plastikband spannt sich oberhalb der Stiege, die Metro fährt nicht. Alle Linien haben ihren Betrieb eingestellt; unterirdisch werden selbst Straßenbahnen nicht geführt. Der Belgier zuckt mit den Schultern: "Man muss sich halt anpassen."
Es ist der dritte Tag des Terroralarms auf höchster Stufe in Brüssel. Die Terrorwarnstufe wurde gestern, Montagabend, bis kommenden Montag verlängert. Es bestehe immer noch eine "ernste und unmittelbare Bedrohung", so Premierminister Charles Michel.
Anpassung - das war gestern, Montag, vor allem gefragt. Denn die Sicherheitsmaßnahmen, die die Behörden in der Nacht auf Samstag nach Hinweisen auf mögliche Anschläge ähnlich jenen in Paris eine Woche zuvor ausgerufen hatten, hatten am Wochenende beschränkte Auswirkungen. Zu spüren bekamen sie die Geschäftsleute und Restaurantbesitzer, die ihre Lokale am Samstag früher als sonst schließen mussten. Doch zu Wochenbeginn waren schon größere Teile der Bevölkerung betroffen.
Einige Büros und Botschaften öffneten ihre Türen nicht, Veranstaltungen wurden abgesagt, Lieferfirmen verloren Aufträge. Zugreisende hatten oft stundenlange Verspätungen in Kauf zu nehmen, da auf großen Bahnhöfen ihr Gepäck kontrolliert wurde. Menschen, die mit der U-Bahn in die Arbeit fahren, mussten sich Alternativen suchen und auf das Rad oder einen Bus umsteigen. Manche sind zu Hause geblieben. Nicht so sehr aus Angst, sondern weil sie schlicht ihre Kinder nicht allein lassen konnten. Erst am Sonntag haben sie erfahren, dass Schulen, Kindergärten und Universitäten am Montag geschlossen bleiben. Und das werden sie auch bis heute, Dienstag, bleiben. Schulen und die U-Bahn sollen erst wieder am Mittwoch geöffnet werden.
Razzien und Festnahmen
Die Menschen mussten ihren Alltag organisieren, und das taten sie auch. Trotz der Polizeirazzien und verstärkten Militärpräsenz, trotz der Panzerfahrzeuge und Soldaten, die mit ihren Sturmgewehren in den Straßen und vor etlichen Gebäuden patrouillierten. So kam das öffentliche Leben in Brüssel keineswegs zum Stillstand. Aber es verlief in sichtbar ruhigeren Bahnen. Auf den Straßen rund um den Schuman-Platz stauten sich die Autos ausnahmsweise nicht, um die Mittagszeit waren die von EU-Beamten gern frequentierten Lokale nicht überfüllt, weniger Menschen als sonst hasteten zwischen den Baustellen des Platzes, dessen Umbau seit Jahren kein Ende nehmen will, hindurch. Aber wie geplant kamen die Finanzminister der Euro-Zone zu ihrem Treffen zusammen, und die EU-Abgeordneten machten sich auf ihren Weg zur Plenarsitzung in Straßburg.
Die Polizei setzte unterdessen ihre Anti-Terror-Einsätze fort. Schon in der Nacht auf Montag hat sie bei der Suche nach Komplizen und Hintermännern der Anschläge in Paris 16 Personen verhaftet. Von Hubschraubern unterstützt, hatte sie 19 Orte im Raum Brüssel sowie weitere in der Industriestadt Charleroi durchsucht, doch nach Angaben der Staatsanwaltschaft keine Waffen oder Sprengstoff gefunden. Gesucht wird weiterhin der 26-jährige Salah Abdeslam, der bei den Attentaten in Frankreich eine wichtige Rolle gespielt haben soll.
Weitere Festnahmen gab es dann am Montag. Fünf Verdächtige wurden bei Razzien in Brüssel und in der Region Lüttich aufgegriffen. Laut der Zeitung "Le Soir" wurde dabei eine Geldsumme von 26.000 Euro entdeckt. Ein Richter erhob am Montag Anklage gegen einen verhafteten Verdächtigen wegen der Anschläge von Paris.
Allerdings kam es auch zu manch falschem Alarm. So wurde noch am Sonntag das Gebäude eines Medienunternehmens in der Nähe Brüssels nach einer Drohung geräumt. Doch nach wenigen Stunden war das Haus wieder freigegeben, nachdem die Polizei es durchsucht und nichts gefunden hatte. Im Zentrum der Hauptstadt wiederum gab es am Montag Bombenalarm im Krankenhaus Saint-Pierre. Aber das verdächtige Paket erwies sich als harmlos. Verwirrung gab es ebenfalls um einen Vorfall mit einem BMW, dessen Fahrer nahe Lüttich an einer Kontrollstelle nicht angehalten hatte. Belgische Medien berichteten, der gesuchte Abdeslam sei in der Gegend, unterwegs nach Deutschland, gesehen worden. Kurz darauf erklärte die Staatsanwaltschaft, dass der Vorfall mit dem Auto nichts mit der aktuellen Fahndung zu tun habe.
Daher wollte auch die Kritik an den teils chaotischen Zuständen nicht völlig verstummen. Zwar haben die belgischen Behörden zusätzliche Kräfte in Brüssel zusammengezogen und tagt der nationale Sicherheitsrat täglich, doch das Kompetenzen-Wirrwarr ist noch lange nicht aufgelöst.
Kompetenzen-Wirrwarr
Daran ist nicht zuletzt die föderale Aufsplitterung mit dem damit verbundenen immensen Verwaltungsaufwand schuld: Das Land hat einen wallonischen und einen flämischen Teil, und das offiziell zweisprachige Brüssel ist eine von drei Regionen des Staates. Dort ist der Sitz der Landesregierung und des Parlaments, aber etliche Entscheidungen werden auf regionaler Ebene getroffen, und die Gemeinden legen auf ihre Autonomie großen Wert.
Das ist in der Hauptstadt selbst nicht anders. Es gibt zwar eine Brüsseler Regierung und ein Brüsseler Parlament, doch will jede der 19 Gemeinden ihre Selbständigkeit bewahren. Die lokale und die föderale Polizei müssen zunächst einmal eine Form der Kooperation finden. Unterschiedlich waren auch die Grade der Sicherheitsmaßnahmen. Während auf den Bahnhöfen in Brüssel die höchste Warnstufe herrschte, galt im Rest Belgiens so wie am Flughafen lediglich die zweithöchste. Auch in der EU-Kommission war die Warnstufe eine andere als im gegenüberliegenden Ratsgebäude, wo die Minister tagten.