Die russische Raumfahrt, die in der ersten Hälfte der 90er-Jahre einen katastrophalen Rückgang hinnehmen musste, scheint wieder auf Erfolgskurs. Es ist eine der wenigen Industriezweige, der sich im globalen Wettbewerb behaupten kann. Im All kann Iwan punkten.
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Durch zahlungskräftige Alltouristen wie den südafrikanischen Internet-Millionärs Mark Shuttleworth (und knapp ein Jahr zuvor durch den US-Multimillionär Denis Tito) und Abkommen mit der ESA fließt dringend benötigtes Geld in die Kassen der russischen Raumfahrt. Tito und jetzt Shuttleworth haben jeweils über 20 Millionen Euro für ihre Ambitionen bzw. Erfüllung ihrer Wunschträume berappt.
Auch wenn die Alltouristen große mediale Aufmerksamkeit erhalten - das wirklich große Geschäft ist anderswo und wird von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. Und gerade da zeigt sich, dass Russlands Raumfahrt durchaus wettbewerbsfähig ist, was nur einige der Abschlüsse der letzten Zeit durchaus eindrucksvoll belegen.
Ein Konsortium, zusammengesetzt aus zwei russischen Unternehmen und einer französischen, deutschen und schwedischen Firma wird etwa die "Wolga" entwickeln und bauen, eine bis zu 50 mal wiederverwendbare Trägerrakete, die mit flüssigem Treibstoff betrieben werden wird. Die europäische Weltraumbehörde ESA, die den Auftrag erteilt hat, will in den nächsten zehn bis 15 Jahren eine Milliarde Euro in das Projekt investieren.
Die russische Firma Vedomosti Kosmicheskaya Svyaz und ein belgisch-kanadisches Unternehmen haben ein satellitengestütztes Zweiweg-Hochleistungssystem für die Übermittlung von Daten entwickelt - zum Diskontpreis von 2 Millionen Dollar. "Spacechecker", so der Name des Systems, bietet ein Satellitenmodem und ein dazugehöriges Satellitenterminal für den Preis von 500 Dollar pro Stück ein. Es war ursprünglich dafür gedacht, um den 89 Regionen Russlands (mit ihrer weitgehend fehlenden Telekom-Infrastruktur) den "Anschluss an die Welt" zu ermöglichen. Mittlerweile zeichnet sich freilich eine weitergehende kommerzielle Verwertung ab. Vor allem russische und europäische Versicherungen und Transportunternehmen haben bereits Kaufinteresse angemeldet.
Laut einem Bericht der russischen Tageszeitung "Kommersant" haben die russischen Raketenstreitkräfte von 1997 bis 1999 an die 100 Millionen Dollar durch kommerzielle Aktivitäten eingenommen, indem für Privatunternehmen aus aller Herren Länder Satelliten mit so bewährten Trägerraketen wie der "Sojus U" and "Tsiklon" in eine erdnahe Umlaufbahn geschossen wurden. Heute ist die Lage anders - denn die russischen Raketenstreitkräfte sind unter dem neuen Verteidigungsminister Sergei Ivanov voriges Jahr wieder ausgegliedert worden und es ist (wie schon einmal) ein eigenes Kommando für Weltraumtruppen (dem auch nunmehr die Raketenstreitkräfte unterstehen) geschaffen worden.
Die Zusammenarbeit zwischen Amerikanern, Europäern und Russen in der Raumfahrt vertieft sich von Jahr zu Jahr. Einer der wichtigsten amerikanischen Lieferanten, die Firma Boeing, hat beispielsweise eine eigene Niederlassung in Russland und arbeitet eng mit Rosaviakosmos zusammen. Boeing beschäftigt übrigens Hunderte russische Experten inner- und außerhalb Russlands. Es gibt auch eine enge Kooperation zwischen der "European Aeronautic Defense and Space" (EADS) und "Arianespace", der französischen Weltraumfirma. Gemeinsam mit den Russen wird gegenwärtig am französischen Weltraumbahnhof in Korou (Französisch-Gyuana) an einem Startplatz gebaut, der über das joint venture "Starsem" im gemeinsamen Besitz Russlands und der Europäer sein wird. Russland verhandelt auch darüber in das gegenwärtig auf Eis liegende europäische Weltraumprojekt RLV ("Reusable Launch Vehicle") eingebunden zu werden, wo es um die Entwicklung wiederverwendbarer Trägersysteme geht.
Die grundsätzliche Entscheidung der Europäischen Union, die am Frühjahrsgipfel dieses Jahres in Barcelona gefällt wurde, nämlich das europäische Projekt "Galileo" voranzutreiben, wird ebenfalls ohne russische Beteiligung gar nicht umzusetzen sein. Bei "Galileo" geht es darum für ca. 3 Milliarden Dollar das europäische Äquivalent für das amerikanische GPS-Netzwerk zu schaffen, also ein satellitengestütztes weltweites Ortungs- und Navigationssystem. Dies hat nicht nur mit dem Willen nach europäischer Unabhängigkeit zu tun, sondern wird sich auch langfristig rechnen. Am Rande des Gipfels in Barcelona war zu hören, dass russische Technologie, russische Abschussrampen und Trägersysteme und auch russische Ingenieure und Wissenschafter beteiligt werden sollen. Von den Gesamtkosten von 3 Milliarden Dollar könnten die Russen bis zu 2 Milliarden Dollar an Aufträgen lukrieren.
Aber auch in anderen Weltgegenden ist die russische Raumfahrt aktiv und erfolgreich. Laut "Stratfor", einem Consulting-Unternehmen, konnte das russische Ministerium für Industrie, Wissenschaft und Ressourcen und die russische Weltraumbehörde Rosaviakosmos mit dem australischen Industrieministerium im Mai vergangenen Jahres handelseins werden: Australischen Firmen wurde das exklusive Recht eingeräumt, die russische Trägerrakete "Aurora" außerhalb Russlands zum Einsatz zu bringen. Als Gegenleistung erhält Rosaviakosmos die Erlaubnis den Raketenstartplatz auf den Christmas Islands im Indischen Ozean zu benützen. Um das Exklusivrecht für die "Aurora" hatten sich übrigens auch Indien, Südkorea, Japan, China und Brasilien bemüht.