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Alma hat den Durchblick

Von Eva Stanzl

Wissen
Alma eröffnet einen Blick auf einen Teil des Universums, das für Teleskope im sichtbaren und infraroten Lichtbereich völlig verborgen bleibt.
© Alma (ESO/NAOJ/NRAO)

Die Geburtsstätten neuer Sterne werden erstmals sichtbar im Kosmos.


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Santiago de Chile/Wien. Mit dem Weltraum-Teleskop "Alma" (Atacma Large Millimeter/Submillimeter Array) wird am Mittwoch in den chilenischen Anden das derzeit größte Astronomieprojekt eröffnet. Als größtes seiner Art gilt Alma, weil es die am schwächsten leuchtenden Himmelsobjekte mit der bisher höchsten Auflösung erspähen kann, somit besser "sieht" als andere Teleskope. Es eröffnet einen Blick auf einen Teil unseres Universums, das Teleskopen im sichtbaren und infraroten Lichtbereich verborgen bleibt.

Unter dem Motto "Auf der Suche nach unseren kosmischen Ursprüngen" werden 66 Parabol-Antennen mit sieben und 12 Meter Durchmesser in der Atacama-Wüste in mehr als 5000 Meter Höhe das Licht der kältesten Objekte im All und von Galaxien aus der Frühzeit des Universums einfangen.

Auch Staubwolken leuchten

Die Objekte, die das Auge am Himmel leuchten sieht - unsere eigene und andere Sonnen -, sind heiß. Doch grundsätzlich leuchtet jeder Körper, wenn seine Atome in Bewegung sind - auch Gas- und Staubwolken, deren Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius liegen. Allerdings ist ihr Strahlen für das Auge und für Teleskope, die den sichtbaren Lichtbereich beobachten, nicht erkennbar. Denn die Wellenlänge der emittierten elektromagnetischen Strahlung, also des Lichts, nimmt nach dem Planck’schen Strahlungsgesetz mit steigender Temperatur ab. Ausschließlich spezielle Augen, wie jene von Alma, können das kalte Leuchten wahrnehmen.

Was erhofft sich die Menschheit vom Blick in den kalten Staub? Ein Stern, dem der Treibstoff ausgeht, verliert Masse. "In einem Jahr fliegt in einem Ausmaß Gas weg, das der Masse unserer Erde entspricht - oft über hunderttausende Jahre", erläuterte Franz Kerschbaum vom Institut für Astrophysik der Universität Wien jüngst im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Das sich ausdehnende Gas kühlt ab, erste Moleküle können sich bilden - Kohlenmonoxid, Wasser, Siliziumoxide. Senkt sich die Temperatur weiter, kondensieren erste Verbindungen: Es entstehen kleine Festkörper - Sternenstaub. "Sterbende Sterne sind die Brüter jener Materie, aus der wiederum neue Sterne entstehen", so Kerschbaum: "Das ist die Basis des kosmischen Materiekreislaufs."

Wenn solche Gaswolken auf ihrem Weg durch den Kosmos zusammentreffen, kann sich die Materie an verschiedenen Stellen verdichten. Die Schwerkraft kann einen Prozess auslösen, der Material ansammelt und zur Entstehung eines neuen Sterns führt. Genau diesen Masseverlustprozess und den Einbau des Materials in neue Sterne könne Alma in bisher unerreichter Qualität beobachten. Um allerdings einem neuen Stern bei der Geburt zusehen zu können, reicht Alma nicht. Hierfür sei das Weltrauminfrarotteleskop James Webb geplant, sagt Wolfgang Baumjohann, Direktor des Space Research Institute der Akademie der Wissenschaften. Denn Infrarotteleskope beobachten die Entstehung von Sonnensystemen. Röntgen- und Gammateleskope fangen hochenergetische Vorgänge ein, wie schwarze Löcher. Teleskope wie "Hubble", die sichtbare Wellen im All aufspüren, finden Planeten. "Die Astrophysik nützt unzählige Teleskope gleichzeitig", so Baumjohann: "Denn was passiert, wenn eine kalte Staubwolke in ein Schwarzes Loch fällt?"

Alma ist in diesem Mosaik für Wellenlängen im Millimeterbereich zuständig. Menschen sehen Licht im Spektrum von 380 bis 780 Nanometer. Alma will Lichtwellen von 0,3 bis 9,6 Millimeter beobachten. Die 66 Präzisionsantennen bilden ein Verbundtele-skop, oder Interferometer. Die Empfangsschüsseln sind transportabel und können in Abständen von 150 Meter bis 16 Kilometer angeordnet werden. Eine Veränderung des Abstands lässt quasi zoomen, es entstehen Bilder zehnmal schärfer als jene von "Hubble". Wo herkömmliche Fernrohre dunkle Wolken zeigen, leuchten diese Gebiete auf Alma-Bildern hell und geben einen Blick auf das Innere dieser Gas- und Staubwolken frei.

Eintrittsgebühr an die ESO

Da das Tageslicht die Beobachtungen nicht stört, arbeitet Alma rund um die Uhr. Allerdings absorbiert die Erdatmosphäre, vor allem ihr Wasserdampf, dieser Lichtwellenlängen stark. Aus diesem Grund fiel die Wahl auf den lebensfeindlichen Standort in den Höhen einer der trockensten Gebiete der Erde.

An dem eine Milliarde Euro teuren Radioteleskop sind die europäische Astronomieorganisation ESO (European Southern Observatory) und Partner aus Nordamerika, Ostasien und Chile beteiligt. Die ESO verfügt heuer über ein Budget von 150 Millionen Euro. Österreich ist 2008 beigetreten. Als Eintrittsgebühr, mit der Investitionen in die Teleskope anteilsmäßig abgelöst werden, bezahlt die Republik über 15 Jahre hinweg 24 Millionen Euro. Hinzu kommt ein jährlicher Mitgliedsbeitrag von 3,35 Millionen Euro.

Im Gegenzug haben heimische Astronomen Zugang zu Spitzenteleskopen - derzeit für eine Beobachtungszeit von 40 Nächten. 35 Astronomen der Universitäten Wien, Graz und Innsbruck nutzen in 40 Projekten die ESO-Teleskope. Speziell europäische Astronomen stöhnen allerdings unter der starken Konkurrenz um die Beobachtungszeit. Kerschbaum zufolge wird jedes fünfte nordamerikanische, aber nur jedes zehnte europäische Projekt angenommen.