Migranten helfen Asylwerbern - in die Herbergssuche kommt Bewegung: die andere Seite des "Asyl-Notstandes".
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Wien. Anfangs zögerten sie noch, die jungen Männer aus Afghanistan und Syrien im Asyl-Notquartier in Wien-Erdberg. Aus sicherer Distanz verfolgten sie, wie sich am Platz vor dem Quartier eine lange Tafel mit dutzenden Säckchen füllte. Darin ein sehr österreichischer Willkommensgruß aus Almdudler, Manner-Schnitten und Steirer-Äpfeln. Einen ebenfalls sehr österreichischen, aber weniger freundlichen, Willkommensgruß bescherten den Asylwerbern vor zwei Wochen eine Handvoll FPÖler, die mit Tafeln gegen das Asylheim protestierten.
An diesem Freitag zeigten Passanten, darunter auffallend viele Musliminnen mit Kopftuch, demonstrativ ihre Solidarität mit den Verfolgten und legten Balisto und Energy-Drinks neben die Säckchen. Erst als ein paar Männer die ersten Säckchen zur Tür brachten, trauten sich die Asylwerber aus der Deckung. In wenigen Minuten waren die Tische leergeräumt, und es entwickelten sich Gespräche zwischen den Beschenkten und den Passanten.
Szenenwechsel. In Wiener Neustadt füllt sich die Arena Nova mit Feldbetten für 400 Flüchtlinge. Sie sollen das völlig überfüllte Erstaufnahmezentrum Traiskirchen entlasten.
Mitarbeiter des Roten Kreuzes und Freiwillige, die sich über eine Facebook-Gruppe organisiert haben, stellen die Betten auf. Auch Menschen aus der bosnischen Community beteiligen sich als freiwillige Helfer. Azra Hodic arbeitete gestern bis in die Abendstunden hinein, um die neuen Flüchtlingsquartiere vorzubereiten. Die Bosnierin war in den 1990er Jahren selbst als Flüchtling nach Österreich gekommen. "Wir waren auch einmal Flüchtlinge", sagt Hodic gegenüber dem Balkan-Magazin "Kosmo". Und fügt hinzu: "Das sollten wir nicht vergessen."
Derzeit sammeln die freiwilligen Helferinnen und Helfer Kleidung für die Flüchtlinge und planen auch schon Deutschkurse anzubieten. "Wir wollen den Menschen eine Beschäftigung geben, damit sie nicht den ganzen Tag dort herumsitzen und sich nutzlos vorkommen", so Hodic laut "Kosmo". In Lauf des Samstags sollen die ersten 250 Flüchtlinge eintreffen. Die Muslimische Jugend kocht für mehrere Flüchtlingsheime und macht Ausflüge mit Kindern. Doch auch in Wiener Neustadt gibt es eine andere - kritische Seite. "In unserer Verantwortung wird es kein Massenlager in Wiener Neustadt geben", betonte Bürgermeister-Stellvertreter Michael Schnedlitz von der FPÖ. Die Partei bildet mit Grünen und der ÖVP die Stadtregierung. Auf Druck der FPÖ wurde die Zahl der Plätze von 400 auf 250 gesenkt. Außerdem gibt es eine Deadline bis Ende August.
Am Tag zuvor hatte ÖVP-Bürgermeister Klaus Schneeberger als Vorsitzender der Veranstaltungshalle diese für Asylwerber geöffnet und sich den Protest der Blauen ("Vertrauensbruch") zugezogen.
Erdberg, Wiener Neustadt: Nach Wochen des scheinbaren "Asyl-Chaos" kommt Bewegung rein. Täglich suchen zwar noch immer bis zu 300 Menschen um Asyl an, allerdings scheint die Suche nach echten Quartieren als Alternative zu Zelten, Kasernen und Turnsälen zu fruchten.
Am Freitag endete das Ultimatum von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner an sechs Bundesländer, die ihre Quoten nicht erfüllten und so zur Ausnahmesituation in Traiskirchen beitrugen.
Wien, Niederösterreich und die Steiermark erfüllen die Quote schon jetzt. Wien hat nicht nur Erdberg verlängert. Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) hat außerdem am Freitag 200 Plätze für unbegleitete Minderjährige zugesagt. Tirol und Salzburg wird eine Gnadenfrist gesetzt, weil diese passende Quartiere außerhalb der Kasernen angeboten haben, die nun geprüft werden. Das heißt, dass die Kasernen vor Ort vorerst nicht geöffnet werden müssen.
Besonders umstritten war die Kaserne Bleiburg in Kärnten. Eine Delegation reiste extra zum Asyl-Treffen in St. Pölten, um Mikl-Leitner von der Umwidmung in ein Asylquartier abzubringen. Mit Erfolg. Die Innenministerin akzeptierte die alternativen Quartiere für 100 Asylwerber.
In den restlichen vier Bundesländern sieht sie keine Chance auf Quotenerfüllung und sucht selbst geeignete Quartiere des Bundes inklusive Tour zu den betroffenen Bürgermeistern. Die fürchten den Unmut der Bürger, wenn sie Quartieren zustimmen, welche die Ortsidylle stören.
Geht es nach einer Umfrage, sind die Österreicher Flüchtlingen gegenüber aber hilfsbereiter, als vielleicht so mancher Bürgermeister glaubt. Zu diesem Schluss kommt zumindest die Volkshilfe anhand einer Umfrage zum Thema Asyl. Demnach ist die deutliche Mehrheit der Befragten dafür, dass Österreich "schutzbedürftigen Menschen Asyl gewähren" soll. Von der Regierung fordert die NGO unter anderem einen sofortigen Abbau der Zeltlager.
64 Prozent der rund 1000 Umfrageteilnehmer waren "sehr" oder "ziemlich" dafür, dass Österreich Asyl gewährt. Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger appelliert folglich an die österreichischen Ortschefs, beherzter bei der Flüchtlingsunterbringung vorzugehen. "Zwei Drittel der Gemeinden haben keinem einzigen Flüchtling Herberge gegeben", sagte er. Dabei zeige die Erfahrung der Volkshilfe, dass die Bevölkerung auf Quartiere für Schutzsuchende mit einer "Welle von Solidarität" reagiere. Kein Grund zum Fürchten also für die Lokalpolitik, meint die NGO.
Allerdings sind es auch die NGOs selbst, die mittelgroße Quartiere für 20 bis 50 Personen einer extrem kleinteiligen Zuteilung auf alle Gemeinden vorziehen. Das erleichtert ihnen die Betreuung. Bundeskanzler Werner Faymann hat angekündigt, künftig verstärkt die Bezirke zu betrachten und auf entsprechende Solidarität bei der Aufnahme von Asylwerbern zu drängen.