Angeklagt wegen Spionage sind in Deutschland derzeit zwei Russen mit österreichischem Pass.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es klingt wie eine Spionage-Persiflage der übelsten Sorte: Unter dem Decknamen "Alpenkuh1" sendet eine russische Agentin in Deutschland verschlüsselte Botschaften an ihren Führungsoffizier beim Geheimdienst in Moskau. Inhalt: die neuesten Erkenntnisse über die Vorhaben der Nato, die sie von einem Informanten im holländischen Außenministerium erhalten hat. Schund à la Hollywood? Angstvisionen aus der Zeit des Kalten Kriegs? Nein – dieser Fall wird derzeit in Stuttgart verhandelt; es ist der spektakulärste Spionageprozess in Deutschland seit dem Mauerfall. Im Zentrum steht ein Ehepaar, das seinen Pässen zufolge aus Österreich ist.
Spione sind Menschen wie du und ich. Kein geschüttelter Martini, kein schnittiger Aston Martin, keine Models in den Armen eines attraktiven Charmeurs. Andreas Anschlag – so der in seinem österreichischen Pass verbriefte Deckname – sieht aus wie eine fleischgewordene Loriot-Figur. Das Gesicht ist fleischig, bieder, der Blick gutmütig, leicht naiv, die Haare grau meliert. Seine Frau Heidrun ist blondiert, um die 50, Marke Muttertag. Er ist Ingenieur bei Autozulieferbetrieben, sie Hausfrau und Mutter. Als Geburtstage sind der 6. Dezember 1959 und der 4. Dezember 1965 eingetragen – doch wer soll das glauben?
Das Erste, was auffällt, ist die ähnliche offizielle Biografie: Andreas soll in Argentinien geboren sein, Heidrun in Peru – beide als Kinder emigrierter Österreicher. Diese Geschichten könnten dazu gedient haben, leichter an die Pässe auf dem steierischen Amt zu gelangen, an dem sie ihre Anträge stellten. Die spanischsprachigen Herkunftsländer sollten wohl den offensichtlichen Akzent erklären, den die beiden bis heute nicht ablegen konnten. Das war 1984.
1988 taucht Andreas Anschlag wieder auf dem Radar der Behörden auf: Mit seinem österreichischen Pass reist er aus Mexiko nach Deutschland ein, Heidrun folgt ihm zwei Jahre später. Sie heiraten in Altaussee – so sie nicht ohnedies längst verheiratet sind. Denn in Wirklichkeit sollen sie Sascha und Olga Rost heißen, ihre Codenamen beim sow-jetischen Geheimdienst KGB waren laut dem deutschen Bundesnachrichtendienst Pit und Tina. 1990/91 bricht die Sowjet-union zusammen, doch der Nachfolger des KGB, der Auslandsgeheimdienst SWR, übernimmt die Agentennetze und führt sie weiter. Vorerst wird es ruhig. Andreas studiert Maschinenbau, das junge Paar bekommt ein Kind. Als Andreas nach absolviertem Studium in die Berufswelt einsteigt, wird er geheimdienstlich aktiv. 1998 erhält er einen Job bei einem Autozulieferer, die Familie zieht nach Meckenheim bei Bonn. Er reist viel, wechselt von einer Firma zur anderen und leitet dort gewonnenes vertrauliches Know-how an Russland weiter. Doch im großen Geschäft landen Pit und Tina für den SWR ab 2008, erklären die Ankläger.
Im Oktober 2008 sei es den beiden gelungen, einen verschuldeten holländischen Diplomaten als Informanten anzuheuern. Dieser habe bis zur Verhaftung des Spionagepärchens im Herbst 2011 regelmäßig streng geheime Dokumente über politische und militärische Angelegenheiten von EU und Nato geliefert. Darunter angeblich auch Interna über das geplante Raketenabwehrsystem der Nato, das Russland lange Zeit als Bedrohung der eigenen Sicherheit sah, und Militäroperationen des Bündnisses in Libyen und Afghanistan. Dafür soll der Diplomat insgesamt 72.000 Euro eingestreift haben.
Während dieser Zeit stehen Andreas und Heidrun den Sicherheitsbehörden zufolge in engem Kontakt mit der 2010 in den USA aufgeflogenen russischen Agentin Anna Chapman. Durch die großen Schlagzeilen über den Einsatz ihrer weiblichen Reize und diverse Nacktfotos ist sie auch heute noch als Agentin "00-Sex" bekannt. Das Duo und Chapman belegen einen Kurzwellen-Kanal, heißt es. Per Satelliten-Telefon wird mit Moskau kommuniziert, aber auch via eines Accounts bei Youtube. Als "Alpenkuh1" postet das Duo scheinbar harmlose Videos über Fußball-Meistertrickser Ronaldo. Doch in den Kommentaren tauschen sie mit dem SWR verschlüsselte Botschaften aus, ist sich die Anklage sicher. Schlecht lebt es sich so nicht: 8300 Euro erhalten die Agenten laut Generalbundesanwaltschaft im Monat für ihre Dienste.
Doch andere Geheimdienste werden auf das Pärchen aufmerksam. Die deutschen Behörden erhalten einen Tipp von Kollegen aus Osteuropa und der amerikanischen Bundespolizei FBI. Das Pärchen wird genauer unter die Lupe genommen, da verdichten sich auf einmal die Zeichen, dass die mutmaßlichen Agenten ihrerseits bereits ahnen, dass sie aufgeflogen sind. Andreas kündigt seinen Job, das Pärchen kündigt den Mietvertrag und beginnt den Haushalt aufzulösen.
Am 18. Oktober 2011 nimmt die GSG-9 – das deutsche Gegenstück zur österreichischen Antiterroreinheit Cobra – Andreas in der Zweitwohnung des Paares fest. Wenige Stunden später, um sechs Uhr Früh, stürmt sie das Haus der Familie in Marburg. Da sitzt Heidrun Anschlag gerade am Kurzwellenempfänger. Es gelingt ihr noch, den Netzstecker zu ziehen. Wer ihr Partner auf der anderen Seite war, ist nicht mehr zu eruieren.
In einer ersten Reaktion gesteht Heidrun, dass sie entschlüsselte Nachrichten gelöscht habe, die ihr Mann zuvor gelesen habe. Sie versucht ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen und erklärt, sie sei nur für die Technik zuständig gewesen. Die inzwischen 20-jährige Tochter bleibt unbehelligt. Sie habe von der Tätigkeit ihrer Eltern nichts gewusst, sagt sie – die Beamten glauben der Medizinstudentin. Am liebsten wären Pit und Tina mit einem Agentenaustausch längst wieder zurück in Russland. So wie Anna Chapman, alias "Agentin 00-Sex", die es in ihrer Heimat inzwischen zu einer beliebten Moderatorin geschafft hat.
An Deutschland soll es dem Vernehmen nach nicht gelegen haben. Man habe das Spionagepärchen gegen Russen austauschen wollen, die für einen westlichen Dienst spioniert hatten, heißt es. Der SWR lehnte ab. Der Prozess, der noch einige Monate dauern kann, verspricht eine einseitige Sache zu werden. Andreas und Heidrun, Sascha und Olga, Pit und Tina, oder wie auch immer sie heißen mögen, verweigern nämlich die Aussage und haben noch kein Sterbenswörtchen von sich gegeben. James Bond hätte wohl auch nichts gesagt.
Erschienen im "Wiener Journal" vom 22. Februar
Mehr zum Thema im Dossier "Spione"
Kurzwelle:
Kurzwellenfunk ermöglicht es, Informationen über große Reichweiten zu senden und mit einfachen technischen Mitteln zu empfangen. Seit der Verbeitung des Internet und der Einführung der Satellitentelefonie ist jedoch die Bedeutung der Kurzwelle in zivilen Bereichen wie der Seefahrt zurückgegegangen. Es gibt aber immer noch spezielle Anwendungen.