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Als Asylanten keine Feinde waren

Von Ania Haar

Politik
Aus dem Wien-Besuch wurde mehr: Georg Motylewicz kam 1981 - und blieb.
© Milagros Martinez-Flener

Zwei ehemalige Polen-Flüchtlinge erzählen.


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Wien. "Um einen Pass zu bekommen, musste ich fast zwei Wochen Tag und Nacht lang Schlange stehen", erinnert sich Georg Motylewicz. Das war 1981. Die, die einen Pass ergatterten, verließen schnell das Land. Eine der größten Flüchtlingswellen der Nachkriegszeit brach in Polen aus, laut Schätzungen gingen mehr als eine Million Menschen ins Exil. Österreich war für viele aber nur ein Transitland. Bis zu 150.000 - auch wieder nur Schätzungen - polnische Flüchtlinge kamen, und 33.000 suchten um Asyl an.

"Flüchtlinge, die das kommunistische Regime verlassen haben, wurden als Helden der Freiheit gefeiert", erzählt Anny Knapp von der Asylkoordination Österreich, "und sie waren auch ein Beweis dafür, dass der Westen und die westlichen Werte besser als die kommunistischen waren."

Heute ist das anders: Flüchtlinge werden häufig als Feinde angesehen. Warum das früher anders war, sieht Anny Knapp in der historischen Verbindung zu den damaligen Kronländern. Und weil die Menschen damals noch selbst Krieg und Elend, Not und Vertreibung erlebt haben, war das Zugehörigkeitsgefühl noch viel stärker vorhanden.
<br style="font-weight: bold;" /> "Weiß, christlich und antikommunistisch"
Seit den 1990er Jahren hat sich der Umgang mit den Flüchtlingen dann grundsätzlich verändert, meint Knapp. Die Gesetzgebung wurde immer restriktiver. Hinzu kam die mediale Kriminalisierung der Asylwerber und die Verbreitung des Gedankens: Österreich hätte zu viele, die das Land überfluteten. Michael Genner, vom Verein Asyl in Not, fügt hinzu: "Der Flüchtling von damals war: weiß, christlich und antikommunistisch und deshalb willkommen." Aber die Fluchtgründe seien heute nicht schlechter oder besser als zur Zeit des Kalten Krieges, betont Genner. Allerdings: Schon in den Siebzigern kamen viele Polen nach Österreich. Man hielt sie für Wirtschaftsflüchtlinge und führte eine rassistische Hetzkampagne gegen sie. Diese hörte mit der Verhängung des Kriegszustands auf.

Der Germanist Motylewicz, der 1981 nach Wien kam, arbeitete zuvor als Fremdenführer für verschiedene Reisebüros. Stets bekam er von den Touristen mündliche Einladungen: "Wenn du mal da bist, kannst du dich ja melden und vorbeikommen." Also notierte er sich die Kontaktdaten. Regelmäßig belauert ihn aber der Geheimdienst. Als er 1981 endlich seinen Pass bekam, fuhr er für einen Auftraggeber nach Ungarn und später nach Wien.

"Wollte nur schauen, wie man hier so lebt"
"Ich war nicht drauf vorbereitet, hier zu bleiben", erzählt er. "Ich hatte nur ein paar Sachen dabei, wollte ein paar Leute besuchen und schauen, wie man hier so lebt." Er stattet seine Besuche ab, merkt aber schnell, dass er nicht willkommen ist. Schließlich landet er in einer Substandardwohnung, wohnt mit zwei weiteren Menschen in einem Zimmer. "Es war ein Schock", sagt er, "es war alles anders, als ich mir das vorgestellt habe." In Polen hatte er besser gewohnt.

Dann kam die Nachricht über den Kriegszustand. "Ich wusste nicht, was ich damit anfangen soll und was es bedeutet", erzählt der 58-Jährige. "Ich war damals erst 26." Von einem Münztelefon ruft er seine Familie an und erfährt, dass seine Frau bereits vom Geheimdienst besucht wurde, der sich nach seinem Verbleib erkundigte. Also beschließt er, in Wien zu bleiben. Mit Gelegenheitsjobs hält er sich über Wasser. Das Geld reicht gerade mal für die Miete, billiges Brot, Margarine und Kaffee-Ersatz aus. Nur sonntags wird eine Suppe gekocht.

"Was ich als Fremdenführer in Polen am Tag verdient habe, soviel kostete hier eine Fahrkarte", sagt er. Also viel zu teuer. Er geht zu Fuß, manchmal drei Stunden lang. Viele Polen machen sich bereits auf den Weg in das Flüchtlingslager in Traiskirchen, um dort zu bleiben und um Asyl anzusuchen. Aber Motylewicz hat kein Geld für eine Fahrkarte und landet auf dem Arbeiterstrich in der Herbststraße. Da tut sich eine Chance auf. "Ich habe immer viel geredet, und da sagte jemand zu mir, du müsstest zum Radio gehen." Sein Glück. In Wien entsteht gerade die Organisation "Polenhilfe", die sich aus staatlichen und privaten Unterstützern zusammensetzt. Der ORF hilft der "Polenhilfe" mit Sondersendungen und Spendenaufrufen. Motylewicz geht wieder zu Fuß, stellt sich beim ORF vor und wird Journalist.

Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist sehr groß. Es wird gespendet und geholfen. Und unter dem eigenen Dach aufgenommen. Daran kann sich auch Janina Kuc erinnern. "Mit Offenheit, Herzlichkeit und viel Wärme sind wir von den Österreichern empfangen worden", sagt die 69-jährige Pensionistin, die Mitte der 1980er Jahre ihrem Mann nach Wien folgte. Für den Umgang mit polnischen Flüchtlingen hat sie "die Österreicher sehr bewundert". Egal, was die sechsköpfige Familie brauchte, ob eine neue Wohnung, Möbel oder Arbeit, schnell kamHilfe.

Ihr Mann war schon vor dem Kriegszustand regelmäßig zur Weinernte nach Österreich gekommen und hatte genügend Kontakte, um bleiben zu können. Sie selbst entkam in Polen knapp einer Internierung, hatte aber keine Angst, dass ihr etwas Schlimmes passieren könnte. Sie sei eine sehr gläubige Frau, und der Glaube habe ihr geholfen. Die Entscheidung, Polen zu verlassen, hatte für sie mehr ökonomische als politische Gründe gehabt. "Es gab kaum etwas in den Geschäften, nicht mal Toilettenpapier", erinnert sie sich. "Wenn etwas geliefert wurde, war es schnell wieder ausverkauft." Mit vier Kindern war man auf verlorenem Posten. Also kam sie nach. "Am Anfang habe ich meine Heimat sehr vermisst", betont sie. Als ihr Vater stirbt, traut sie sich nicht zur Beerdigung nach Polen zu fahren, zu groß war die Angst, nie mehr zurückzukommen. Erst Jahre später betritt Janina Kuc das Land wieder. Dann ist es auch schnell mit der Sehnsucht vorbei, als sie die polnische Realität sieht. In Wien ließ sich die Lehrerin zur Altenpflegerin umschulen.

In der Zwischenzeit wird Motylewicz als Journalist immer erfolgreicher. Für das Buch "In Finsternis und Todesnacht. Notizen und Briefe aus der Gefangenschaft des polnischen Kardinals Stefan Wyszynski" erhielt er 1984 die österreichische Ehrenstaatsbürgerschaft. Weitere Preise und Auszeichnungen folgen. 2008 erleidet er auf dem Weg zu einer Reportage einen Unfall und wird berufsunfähig - ein schwerer Schlag. Motylewicz aber bleibt aktiv und stellt künstlerische Arbeiten aus.

Wenn er über seine Anfänge in Wien nachdenkt, wundert er sich über seinen Überlebenswillen. "Der war so stark, dass ich nicht mal die Zeit hatte, krank zu werden." Dass der Umgang mit den Flüchtlingen heute ein anderer ist, hat etwas mit den gesellschaftlichen Veränderungen zu tun, meint er. Jeder sei für sich alleine. Mit ihren Helfern von damals steht Janina Kuc noch heute in Kontakt. Die stolze zehnfache Oma ist inzwischen österreichische Staatsbürgerin geworden: "Hier ist meine Familie und meine Zuhause."