Wie ein satirischer Twitter-Beitrag durchs Netz jagte.
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Wer eine Reise tut, hat was zu erzählen. Journalisten, die auf Dienstreise sind, müssen sogar etwas erzählen und bei Olympischen Spielen ist das besonders viel. In den kommenden zwei Wochen wird aus Sotschi von fast 100 Wettkämpfen zu berichten sein, dazu kommen noch Interviews, Porträts und Reportagen. Aber noch ist es ja nicht wirklich losgegangen. Mit dem Sport zumindest.
Die Journalisten haben nämlich längst den Berichterstattungsmodus aktiviert. Seit Tagen berichten sie auf den Sozialen Netzwerken aus ihren Hotelzimmern in Sotschi, von Baustellen in der Stadt, und vor allem: aus Toiletten. Der Sukkus der Berichte und Fotos auf den Sozialen Medien ist eindeutig und tendenziös. Sotschi sei nicht vorbereitet, es herrsche Chaos, Hotels und Klos seien eine Zumutung. Unter der Beschlagwortung "#SochiProblems" finden sich mittlerweile Dutzende Fotos und Beschreibungen des Entsetzlichen und Lustigen. Offenbar ist alles in Sotschi der reinste Wahnsinn gepaart mit Unsinn.
Da wären etwa Klomuscheln nebeneinander ohne Kabinen, Türklinken, die abbrechen, braunes Wasser aus der Leitung, aus der Wand hängende Installationen oder gebrochene Fliesen. Nun haben schon vor der Erfindung von Twitter und Facebook Journalisten gerne über ihre Unterkunft und landesspezifische Absurditäten berichtet, bisher aber eher gegenseitig. Es schickte sich nicht, die Leserschaft darüber zu informieren, dass das Hotelzimmer klein, kalt oder alt, das Klo schmutzig oder verbaut ist. Warum soll das die Leser auch interessieren?
Sotschi ist in dieser Hinsicht anders. Denn ist etwas kaputt, ist es das offenbar deshalb, weil Russland diese Spiele organisiert und es nicht kann. Aber war in Turin alles picobello? Oder in Vancouver? Wären beispielsweise die Shuttle-Busse in Sotschi die exakt selben wie jene in Vancouver, man würde sie sicher als Relikte aus der Sowjetunion bezeichnen. Dabei waren es nur uralte kanadische Busse.
Die geradezu hysterische Aufregung auf den Sozialen Netzwerken war Anlass für meinen satirischen Tweet am Donnerstagvormittag. Auf dem Weg zur Arbeit nahm ich auf dem Parkplatz ein Foto eines ramponierten Straßenbelags auf, im Hintergrund das Media Quarter Marx, meine Arbeitsstätte. Ich schrieb: "On the way to the media center. The street is not quite ready yet. #SochiProblems". Ist ja zumindest nicht komplett gelogen.
Schon am späteren Nachmittag hatten vielleicht 20 bis 30 Twitternutzer das Foto auf ihrem Profil geteilt, einige mitleidige Kommentare zwitscherten auch hinein. Dann ging ich schlafen. Freitagfrüh vermeldete Twitter, dass mein Beitrag 350 Mal geteilt wurde, vorzugsweise von US-amerikanischen Accounts. Ich erhielt zig Rückmeldungen, darunter von einer Mitarbeiterin des Nachrichtensenders CNN. Sie fragte um Erlaubnis, mein Foto für CNN verwenden zu können. Sie fragte freilich nicht, ob es denn tatsächlich ein Foto aus Sotschi sei.
Eine Google-Suche ergab, dass mein Beitrag mittlerweile auf etlichen Blogs und Internetseiten zu finden ist, neben den immergleichen Fotos aus den Hotels des Horrors. Sogar "USA-Today" berichtete über das Sotschi-Bashing aus der Twitterwelt und zitierte dabei ebenfalls meinen Tweet. Mein Foto zeigten sie nicht, beschrieben es jedoch.
Freitagfrüh stellte ich zwar klar, dass es sich dabei um einen satirischen Beitrag gehandelt hat, aber diesen Tweet teilte niemand. So reiht sich nun halt mein Foto in eine ganze Reihe von Bildern ein, die derzeit in den Sozialen Netzwerken den Schrecken aus Sotschi erzählen. Einige sind echt, zahlreiche nicht.
Wie etwa eine halb zugemauerte Klomuschel. Also bitte! Dass allerlei "SochiProblems", die in Wahrheit vor allem olympische Probleme sind, dokumentiert werden sollten, steht zwar außer Frage. Das Hysterielevel der vergangenen Tage hatte es aber in sich und war weit größer als vor vier oder acht Jahren. Wer suchet, der findet immer etwas, hätte auch in Vancouver und Turin viel gefunden. Durch die Verbreitung auf Twitter und Co. entsteht nun jedoch ein Eindruck aus Sotschi, der vermutlich sehr weit weg von der Wirklichkeit ist. Dabei ist es schon Aufgabe der Berichterstatter, die Realität abzubilden. Es ist jedenfalls Zeit, dass die Spiele beginnen.
@SimonRosner auf Twitter