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Ein sonniger Herbsttag. Das Gras im Garten ist bereits mit einer Schicht Laub überzogen. Die Äste des Apfelbaumes sind leer geerntet. Darunter im Laubbett aber liegt noch einer. Ein kleiner, gelber, etwas runzeliger Apfel. Unansehnlich nach gängigen Kriterien. Schwarze Punkte, die Schale ledrig. Sogar ein Vogelbiss.
Vom Geschmack jedoch lässt er aber auch jeden Hochglanz-Apfel hinter sich. Und das mit Abstand. Unter seiner welligen Hülle verbirgt sich der Fruchtfleisch gewordene Apfel an sich. Die Süße des heißen Sommers, die Konzentration der warmen Herbstsonne, die Geduld des späten Frostes. Ja selbst die Frische des Frühlings trägt er noch in sich. Die Vitamine, die in ihm stecken, kann man förmlich schmecken. Diese Paradiesfrucht muss pure Medizin sein.
Parallel dazu arbeiten Chemiker der Uni Wien gerade daran, Äpfel so zu bearbeiten, dass sie nach dem Aufschneiden nicht braun werden. Haltbar gemacht wird der Apfel längst durch Bestrahlung und Kühlung, ansehnlich durch Normierungen und die drastische Reduktion der Sorten. Jetzt soll er auch nicht mehr braun werden! Was für ein Gewinn. Für die Lebensmittelindustrie.
Sie lässt sich offenbar auch auf Äpfel anwenden, die Knödeltheorie von Nikolaus Harnoncourt: Man kann nur etwas dazugeben, was man woanders wegnimmt. Jeder Gewinn hat seinen Preis. Zuwachs gibt es nicht. Die Brillanz der Geige geht auf Kosten der Klangfarben. Der schöne Schein des Apfels auf Kosten des Geschmackes. Bis nach dem Abflauen der Begeisterung über so viel Fortschritt nur eine Frage offen bleibt: War es das wert?