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Als ein erfolgreiches Währungssystem zerstört wurde

Von Franz Nauschnigg

Gastkommentare
Franz Nauschnigg war bis zu seiner Pensionierung im Mai 2019 Abteilungsleiter für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). In den 1990er Jahren beriet er die Finanzminister Andreas Staribacher, Viktor Klima und Rudolf Edlinger.
© Christine Weinberger

Die Abkehr vom Brettons-Woods-System und der Übergang zum Neoliberalismus.


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Vor genau 50 Jahren, am 14. August 1971, leitetet US-Präsident Richard Nixon mit der Aufhebung fester Wechselkurse und der Goldbindung des Dollar (1 Unze Gold = 35 Dollar) den Anfang vom Ende des Bretton-Woods-Systems ein. Es war der sogenannte Nixon-Schock. Es folgte eine beispiellose Dollarabwertung, durch die die westeuropäischen Länder und Japan hohe Verluste mit ihren riesigen Dollarwährungsreserven und Wettbewerbsverluste erlitten. US-Finanzminister John Connally entgegnete seinen westeuropäischen Antskollegen, als sie sich darüber beklagten: "The Dollar is our currency but your problem." Connally sah, wie später US-Präsident Donald Trump, nur die US-Interessen, die er brutal, auch gegenüber Verbündeten, durchsetzte.

Die EU lernte daraus und startete eine monetäre Integration, die über das Europäische Währungssystem durch den Euro im Jahr 1999 gekrönt wurde. Mit dem Euro, der die größte monetäre Veränderung im Internationalen Währungssystem seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems brachte, wurde Europa vom Dollar unabhängiger, der jedoch die erste Weltwährung blieb. Der Nixon-Schock war der Anfang vom Ende des erfolgreichsten Internationalen Währungs- und Wirtschaftssystem der Geschichte. Es war schon 1944, also vor Weltkriegsende, in Bretton Woods als Reaktion darauf gegründet worden, dass man die Fehler der 1930er mit der Weltwirtschaftskrise nicht mehr wiederholen wollte. Geprägt war es wesentlich durch die wirtschaftspolitischen Ideen des großen Ökonomen John Maynard Keynes, der es auch verhandelte.

Wie der Ökonom Hyman Minsky feststellte, war Keynes der Erste, der die Instabilität der Finanzmärkte in seiner "General Theory" als systemische Eigenschaft des Kapitalismus erkannte: "The General Theory is thus consistent with the wide spread view in the early 1930s: that what had gone wrong had its roots in the imperfections of the monetary-financial system. The greatness of the General Theory was that Keynes visualized these as systemic rather than accidental or perhaps incidental attributes of capitalism." (Minsky, 1975, 143) Die Finanzmärkte müssten daher durch den Staat reguliert werden.

Umfassende staatliche Regulierungen und Eingriffe

Das Bretton-Woods-System war durch umfassende staatliche Regulierungen (feste aber anpassungsfähige Wechselkurse, Gold- und Dollarkonvertibilität) sowie ein hohes Maß an staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft (Kapitalverkehrskontrollen, strikte Regulierung des Finanzsektors, staatliche Steuerung der Konjunktur durch Defizit Spending, hohe Steuern, staatliche Unternehmungen, Industriepolitik usw.) gekennzeichnet. Der Wiederaufbau und die günstige Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in den 1950ern und 1960ern konnten auf diesem damals noch voll funktionierenden internationalen Währungssystem aufbauen. Es gab hohes Wachstum, niedrige Arbeitslosigkeit und Inflation, die hohen Staatsschulden wurden abgebaut, und die Ungleichheit sank.

Ab Mitte der 1960er kam es zu zunehmenden Spannungen im Bretton-Woods-System, die vor allem durch hohe US-Zahlungsbilanzdefizite, verursacht durch hohe Ausgaben für Kriege, die zu einem Dollar-Überangebot führten, hervorgerufen wurden. Auch von neoklassischer und monetaristischer Seite wurde es immer stärker angegriffen. Man hegte die Erwartung, dass die Märkte die Wechselkurse (also die Preise für die Währungen) besser im Gleichgewicht halten würden als das Bretton-Woods-System. Das Argument: Die Märkte wüssten es besser. Dies war auch einer der Gründe, warum die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher sich so lange weigerte, dem Europäischen Währungssystem beizutreten.

Anfang der 1970er Jahre brach das Bretton-Woods-System zusammen, und die Wechselkurse wurden frei gegeben, sie floateten. In der Wissenschaft wurde das Keynes’sche Paradigma von Milton Friedmans Monetaristischer Schule und vom Neoliberalen Paradigma abgelöst. Diese betonten, dass es praktisch keine destabilisierende Spekulation gebe, Märkte rational agierten und Probleme nur durch die Eingriffe des Staates aufträten.

Anders als von neoklassischer und monetaristischer Seite erwartet, führten die Märkte die Wechselkurse allerdings nicht zu einer ruhigen Entwicklung entlang der jeweiligen Kaufkraftparitäten, sondern es kam zu massiven Wechselkursschwankungen mit massiven Über- und Unterbewertungen. Die Notenbanken sind immer wieder gezwungen, durch verbale, aber gelegentlich auch direkte monetäre Interventionen einzugreifen, um extreme Ausschläge zu verringern. Zum Beispiel gab es im Jahr 2001 eine konzertierte Interventionen, um eine zu starke Unterbewertung des Euro gegenüber dem Dollar zu verhindern.

Monetarismus und Neoliberalismus als neues Paradigma

Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems mit seinen relativ festen Wechselkursen und Kapitalverkehrsbeschränkungen wurden Monetarismus und Neoliberalismus zum neuen Paradigma in der Wirtschaftspolitik. Da die Märkte rational und effizient waren, wurden die Regulierungen abgebaut, und der Staat zog sich zunehmend aus der Wirtschaft zurück. Von den Marktfundamentalisten (Monetaristen, Neoklassiker) wurde seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971 bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, insbesondere auch aus dem Finanzsektor, weiter betrieben. Zusätzlich wurden von ihnen Marktelemente auch in die Bankenaufsichtsregeln (Basel II) und in die Rechnungslegungsvorschriften (mark to market - Bewertung zu Marktpreisen) eingebaut und weite Bereiche der Finanzmärkte der staatlichen Aufsicht entzogen. Dies führt, da Märkte zum Überschießen im Boom nach oben und in der Krise nach unten neigen, zu massiven prozyklischen Auswirkungen und hat die Finanzkrisen verstärkt. Zu diesen ist nach einer relativ stabilen Phase im Bretton-Woods-System, das sich durch stark regulierte Finanzmärkte auszeichnete, aufgrund der danach betriebenen Deregulierung der Finanzmärkte wieder verstärkt gekommen.

Deregulierte Finanzmärkte sind instabil und entwickeln immer wieder Boom/Bust-Zyklen, die zu Finanzkrisen führen. Wie ich schon 2003 in einem Beitrag zum Sammelband "Alternativen zum Neoliberalismus im Zeitalter der Globalisierung" feststellte, verursachen neoliberale Reformen wie Deregulierung des Finanzsektors, Liberalisierung des Kapitalverkehrs, verbunden mit großen Kapitalflüssen, Finanzkrisen. Ich stellte schon damals fest: "Die Frage ist nicht ob, sondern wann die nächste Krise, der nächste Crash kommt und wie wir darauf vorbereitet sind."

Österreich hielt an Bretton-Woods-Prinizipien fest

Der Internationaler Währungsfonds (IWF) hat von 1970 bis 2011 insgesamt 431 Finanzkrisen - 218 Währungskrisen, 147 Bankenkrisen und 66 Staatsschuldenkrisen - verzeichnet. Sie alle haben hohe wirtschaftliche Kosten verursacht. Es gab jedoch Länder, die weiter an den Prinzipien des Bretton-Woods-Systems - große staatliche Rolle in der Wirtschaft - festhielten und damit erfolgreich waren, darunter Österreich bis zum Jahr 2000 und China bis heute.

Österreich folgte bis 2000 dem sogenannten Austro-Keynesianismus mit einer starken Rolle des Staates: feste Wechselkurse, vorsichtige graduelle Liberalisierung des Kapitalverkehrs erst in den 1990ern, anti-zyklische Fiskalpolitik, Industriepolitik und ein starker staatlicher Unternehmenssektor. Es war damit erfolgreich und wuchs von 1970 bis 2000 immer rascher als der EU-Durchschnitt und konnte auch die niedrigsten Arbeitslosenraten im EU-Vergleich erreichen. Die Staatsverschuldung blieb unter dem EU-Durchschnitt. Auch China hat mit einer starken Rolle des Staates - Kontrolle des Wechselkurses, Kapitalverkehrskontrollen, große Staatsunternehmen dominieren die Wirtschaft, eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung mit sehr hohen Wachstumsraten erreicht.

Erst mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise kommt es seit 2008 wieder zu einem Paradigmenwechsel, und der Staat greift wieder verstärkt in das Wirtschaftsgeschehen, insbesondere in das Finanz- und Bankensystem ein.