Zum Hauptinhalt springen

Als es Argentinien wie Griechenland ging

Von Alexander U. Mathé

Politik

Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen führte in Argentinien zu Ausschreitungen, | leitete letztlich aber die Erholung von der Finanz- und Wirtschaftskrise ein.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Buenos Aires/Athen. Das Vertrauen der Argentinier in ihre Banken und ihre Währung war mit der Krise Anfang des Jahrtausends nachhaltig erschüttert. So wie in Griechenland waren Kapitalverkehrskontrollen eingeführt worden, die die Bankkunden daran hinderten, an ihr Geld zu kommen. Das trieb sonderliche Blüten. Etwa beim Immobilienkauf. Niemand vertraute mehr dem Peso oder der Bank. Wenn jemand versucht hätte, per Banküberweisung eine Wohnung zu kaufen, hätte sich der Verkäufer entweder kaputtgelacht oder zumindest einen strengen Blick zugeworfen, bevor er den Kopf schüttelte. Immobilien wurden seit der Krise nur mehr bar und in Dollar gehandelt. Zum Hauskauf erschien man mit dem sprichwörtlichen Geldkoffer - die Konsequenz aus Zeiten, in denen manch einer, der auf eine Großinvestition gespart hatte, zusehen musste, wie sein Geld auf der Bank Tag für Tag weniger wert wurde.

Kapitalverkehrskontrollen - in Argentinien hat man sich dafür einen gewissen Galgenhumor bewahrt. "Corralito" nennt man das im Land der Gauchos - "Gehschule". So wie Babys nur einen sehr begrenzten Bewegungsfreiraum von ihren Eltern erhalten, so schränkte die Regierung finanziell ihre Bürger ein.

Als das mit 132 Milliarden Dollar verschuldete Argentinien Ende November 2001 erklärte, das vom Internationalen Währungsfonds (IWF) vorgegebene Haushaltsziel nicht zu erreichen, führte dies zur Weigerung des IWF, die anstehende nächste Kredittranche in Höhe von 1,25 Milliarden Dollar an Argentinien zu überweisen. Das verstärkte die schon seit Monaten anhaltende Kapitalflucht nur weiter. Die Regierung zog die Notbremse und führte den Corralito ein. Nur noch 250 Pesos konnten die Argentinier pro Woche abheben.

Die Entmündigung schmeckte der Bevölkerung gar nicht. Im Dezember kam es zuerst zu einem Generalstreik und wenig später zu Demonstrationen, Plünderungen und gewalttätigen Ausschreitungen, die 28 Menschen das Leben kosteten. Der Präsident flüchtete im Hubschrauber, nachdem der Andrang der Demonstranten vor dem Regierungsgebäude bedrohliche Ausmaße angenommen hatte. Das Bruttoinlandsprodukt setzte zum Sturzflug an. Mitte 2002 betrug die Armutsrate 57 Prozent und die Arbeitslosenrate 23 Prozent.

Erst 2005 begann Argentinien, die Krise zu überwinden. Es folgte eine "Umstrukturierung", bei der ein Schuldenschnitt ausgehandelt wurde, den 97 Prozent der Gläubiger nolens volens akzeptierten. Die reduzierte Schuld bediente Argentinien dann stets pünktlich, auch die Schulden mit dem IWF wurden beglichen.

Im mit rund 320 Milliarden Euro verschuldeten Griechenland sind nun auch Kapitalverkehrskontrollen eingeführt worden und Szenarien wie in Argentinien dräuen am dunklen Finanzhorizont. Doch hat das Land gegenüber Argentinien ein paar Nachteile, aber auch einen entscheidenden Vorteil. Der Vorteil ist die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die Athen bisher einen schier unerschöpflichen Kreditfluss beschert hat, unabhängig davon, ob damit verbundene Wünsche und Forderungen erfüllt wurden. In Argentinien haben die strikten Sparauflagen, die mit den IWF-Krediten verbunden waren, die Rezession nicht nur nicht gebremst, manch einer hatte sogar die Vermutung, dass diese eher kontraproduktiv waren. Das EU-Sicherheitsnetz Griechenlands ist gleichzeitig aber auch ein Fluch, macht es doch einen Neuanfang unmöglich (siehe oben stehenden Artikel).

Argentinien war zwar im Gegensatz zu Griechenland nicht Teil einer Währungsunion, befand sich aber durch die gesetzliche Koppelung des Pesos an den US-Dollar im Verhältnis 1:1 in einer ähnlichen Situation. Eine beträchtliche Erleichterung brachte erst die Entscheidung, eine Abwertung des Pesos einzuleiten, was in Griechenland nur durch einen Euroaustritt und der Rückkehr zur Drachme zu bewerkstelligen wäre. In Argentinien befeuerte die Abwertung die Exporte. Industrie und Agrarsektor erlebten einen Aufschwung und der Staat naschte durch Ausfuhrsteuern zusätzlich noch mit. In Griechenland ist die Situation anders gelagert. Die Hellenen stützen sich zu mehr als 80 Prozent auf Dienstleistungen, verfügen aber weder über eine nennenswerte Industrie (16 Prozent, zum Großteil kleine und mittelständische Unternehmen) noch über einen dynamischen Agrarsektor (etwas mehr als drei Prozent). Es ist also niemand da, der durch sinkende Produktionskosten Geld aus dem Ausland nach Griechenland fließen lassen könnte. Die mancherorts geäußerte Theorie, dass ein Grexit und eine niedrig bewertete Währung zu einem rettenden Exportschub führen könnte, ist da verfehlt. Der protektionistische Weg, den Argentinien durch Importbeschränkungen beschritt, bleibt Griechenland verwehrt, das als EU-Mitglied selbst im Falle eines Austritts aus dem Euro dem freien Warenverkehr weiter verpflichtet wäre.

Letztlich macht aber die Argentinien-Krise direkt einen Schuldenschnitt und Neuanfang Griechenlands zu einem wenig zukunftsträchtigen Modell. Das Problem sind jene drei Prozent der Gläubiger, die seinerzeit die Umstrukturierung der argentinischen Schuld nicht akzeptiert haben. Sogenannte Geierfonds kauften argentinische Anleihen in Höhe von hunderten Millionen Pesos Nominalwert kurz vor und angeblich auch nach der Zahlungsunfähigkeit um ein Butterbrot auf. Dann klagten sie Argentinien auf die Rückzahlung von hundert Prozent der Schuld und erhielten von US-Gerichten recht. Argentinien verweigert sich nach wie vor dem Urteil, weil die übliche Gleichbehandlungsklausel dazu führen würde, dass alle Gläubiger, auch jene, die den Schuldenschnitt mitgemacht haben, ihr Geld in vollem Umfang zurückerhalten müssten.

Unter solchen Voraussetzungen ist es für Gläubiger denkbar unattraktiv, eine Umschuldung zu akzeptieren. Immerhin besteht die Aussicht, mit etwas Geduld doch in den Genuss der vollen Zahlung zu gelangen. Der argentinische Ministerpräsident Anibal Fernández warnte bereits, er sehe "die Schatten der Geierfonds" über Griechenland.