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Als hätte St. Pölten keinen Straßenanschluss

Von Rudi Schicker

Gastkommentare
Rudi Schicker ist Universitätslektor an der TU Wien und Ingenieurkonsulent für Raumplanung und Raumordnung. Er war Wiener Stadtrat der SPÖ für Stadtentwicklung und Verkehr.
© SPÖ

Nicht nur die Bewohner der Seestadt Aspern, sondern noch viel mehr Anrainer im 22. Bezirk brauchen die geplante Stadtstraße.


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In der Donaustadt sind Wohnungen für rund 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner geplant beziehungsweise in Bau. Die Flächenwidmungen, die Einreichplanungen sind bei den meisten Projekten abgeschlossen. Bei den anderen Vorhaben sind Widmung, Architekturbewerbe, Einreichplanung und Auslobung der Gewerke im Gange.

Das ist gut so, denn Wirtschaft und Bevölkerung in Wien wachsen. Die Stadt hat aktuell 1,95 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und dürfte die 2-Millionen-Grenze bald überschreiten. Alle, ausnahmslos alle Menschen, die schon länger in Wien leben oder gerade erst hier angekommen sind, erwarten sich qualitativ hochwertigen Wohnraum zu erschwinglichen Preisen. Deshalb ist der überwiegende Teil der in der Donaustadt gerade entstehenden Wohnungen gefördert. Diese Wohnungen werden von der Wiener Wohnbauförderung so unterstützt, dass die Menschen sie sich auch leisten können. Es handelt sich weder in der Seestadt Aspern noch am Hausfeld oder im Stadtentwicklungsgebiet Berresgasse um freifinanzierte, teure, eher als Anlegerwohnungen geeignete Objekte.

Diese Konzentration der Stadterweiterung auf den 22. Bezirk ist wohlüberlegt. Der Bezirk ist eine der wenigen Regionen der Stadt, wo großzügig gebaut werden kann. Die Stadtplanung hat zunächst die innerstädtischen Konversionsflächen (alte Bahn-, Militär- oder Industrieareale, die neuen Nutzungen zugeführt werden, wie Nordbahnhof, Hauptbahnhof, Kasernenareale im Westen Wiens oder Leberberg) genutzt. Damit werden keine neuen Areale versiegelt. Will man den wohnungsuchenden Wienerinnen und Wienern rasch gute erschwingliche Wohnungen bieten - und dafür ist Wien bekannt -, dann muss man in die Fläche gehen und dort kompakt, verdichtet und durchmischt bauen. Auch im 22. Bezirk reicht die Konversionsfläche Flughafen Aspern nicht mehr aus.

Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel

Was bedeutet das? In der Donaustadt wird eine Stadt mit mehr Einwohnerinnen und Einwohnern als St. Pölten neu errichtet. Selbst die Seestadt Aspern wird so viele Menschen beherbergen wie Wiener Neustadt. Das sind ordentliche Dimensionen. Die Stadt Wien hat daher für den Personenverkehr die U2 in diese Gebiete verlängert, bevor die neuen Wohnungen bezogen wurden und werden. Auch die Straßenbahnen werden gerade verlängert und das Busnetz verbessert. All diese Verkehrsmittel kommen am Bahnhof Aspern Nord zusammen - gemeinsam mit der Schnellbahn S80 beziehungsweise der Regionalbahn in Richtung Bratislava.

Wesentlich für die "Stadt der kurzen Wege" ist es auch, dass Beschäftigungsmöglichkeiten und Erholungsräume, Schulen und Kindergärten bei den Wohnsiedlungen angelagert sind, sonst entstehen große Pendlerbewegungen. Auch Unternehmen ziehen gerade in diesen Teil des 22. Bezirkes zu. Dafür braucht es aber auch Straßen, für die Linienbusse, die Lieferfahrzeuge (Auto oder Rad), die Lkw und die Einsatzfahrzeuge von Rettung, Feuerwehr und Polizei.

Wenn man schon Straßen bauen muss, dann aber so, dass die alten Siedlungen im 22. Bezirk ebenfalls davon profitieren können. Eßling, Aspern, Breitenlee, Stadlau, Hirschstetten und die Siedlungen entlang des Biberhaufenweges gehören verkehrsberuhigt. Außerdem sollen neue Straßen auch dazu anregen, die nächstmögliche Chance zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Die Stadtstraße entspricht diesen Anforderungen. Sie erlaubt es, den Verkehr aus den neu entstehenden Siedlungen, aber auch aus dem Siedlungsbestand zu bündeln. Völlig im Einklang mit dem Fachkonzept Verkehr - Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs auf 20 Prozent Anteil am Gesamtverkehr - wurde die Straße so dimensioniert, dass der Verkehr aus den alten Siedlungsgebieten herausgenommen werden kann. Schließlich wurde die Stadtstraße in der Ära der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou geplant.

Nur noch Anrainerverkehr in den alten Siedlungen

Das Narrativ, wonach jede neue Straße mehr Verkehr erzeuge, ist falsch. Nicht jede neue Straße generiert neuen Verkehr. Neuer Verkehr in der Donaustadt entsteht durch neue Bewohnerinnen und Bewohner sowie Betriebe. Das Aufkommen des motorisierten Individualverkehrs wird durch die Zuwanderung und durch die gleichzeitig erfolgende Verlagerung das Personenverkehrs auf den ausgebauten öffentlichen Verkehr trotzdem gleich stark bleiben. Immerhin zieht eine Stadt wie St. Pölten zu, ohne dass die Verkehrsleistung im motorisierten Individualverkehr steigt. Daher kann der Verkehr in den alten Siedlungen auf den Anrainerverkehr eingeschränkt werden, die Straßenflächen können zum Beispiel zu Begegnungszonen rückgebaut werden. Wo das geschieht, nimmt der Verkehr nicht zu, sondern ab. Genauso wird in der Donaustadt vorgegangen werden.

Professor Hermann Knoflachers Milchmädchenrechnung, wonach faktisch alle Wohnungen in der Seestadt Aspern mit den für die Stadtstraße eingesetzten Mitteln errichtet werden könnten, richtet sich von selbst. Er geht von Errichtungskosten von 1.500 bis 2.000 Euro pro Quadratmeter aus. Tatsächlich jedoch liegen sie bei neuen Projekten bei 3.100 bis 3.200 Euro. Die Stadt Wien ist bekannt dafür, dass der geförderte Wohnbau hervorragende Qualität bietet, oft bessere als der freifinanzierte Wohnbau. Mit den von Knoflacher genannten Zahlen könnte man gerade bessere Notquartiere errichten. Sorry, aber das darf und wird es in Wien nicht spielen.

Nicht schneller als Tempo 50 auf der Stadtstraße

Viele sind gegen die Stadtstraße und wollen die Lobau retten. Nur: Die Lobau ist von der Stadtstraße weiter weg, als diese lang ist! Hier sitzen viele einem falschen Narrativ (der Baustellenbesetzerinnen und -besetzer) auf. Auch ein anderes in der Debatte um die Stadtstraße gerne verwendetes Argument, nämlich dass der Autoverkehr auf der Stadtstraße beschleunigt würde, ist nicht stichhaltig. Der Verkehr auf der Stadtstraße wird gegenüber dem Stadtverkehr nicht beschleunigt, das wäre auch wirklich nicht sinnvoll. Die Stadtstraße wird auf Tempo 50 ausgebaut, mit entsprechend engen Kurvenradien. Schneller wird’s da nicht gehen.

Die Stadtstraße ist beides: eine Umfahrungsstraße für die vielen alten Ortskerne der Donaustadt und eine Erschließungsstraße für die neuen Siedlungsgebiete. Die Verkehrsberuhigung der Ortskerne und des Biberhaufenweges wird erst durch die Stadtstraße möglich und muss zeitgleich mit der Inbetriebnahme der neuen Straße erfolgen. Somit ist diese Straße in Wien nichts anderes als die auch von Verkehrsministerin Leonore Gewessler positiv eingeschätzte Umfahrung von Mühlviertler Dörfern. Die dortige S10 betrifft drei Gemeinden mit einer Siedlungsdichte von unter 100 bis um die 500 Einwohner je Quadratkilometer - in Wien sind es mehr als 5.000 Einwohner je Quadratkilometer.

Bei allen Vorbehalten gegen neue Straßenbauten ist im Fall der Stadtstraße doch zu berücksichtigen, dass es unvorstellbar wäre, dass Städte wie St. Pölten oder Wiener Neustadt ohne Straßenanschlüsse blieben. Damit wäre auch im Jahr 2022 keine Stadt zu machen.