Iranerin im Wiener Exil kämpft gegen das Mullah-Regime.
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Wien.
Über Teheran schweben bunte Ballons zum Himmel. Was auf den ersten Blick nach kindlichem Vergnügen aussieht, ist in Wirklichkeit Symbol des politischen Aufbegehrens. An den Gasballons hängen Flugzettel mit politischem Menetekel: "Dictator say hello to the end". Es sind Aktionen wie diese, mit denen sich Irans Oppositionelle bemerkbar machen. Sie sind vorsichtig geworden, seit das Regime die "Grüne Revolution" nach den Präsidentschaftswahlen 2009 niederwarf. "Wir legen keine Bomben", erklärt Sogol Arthunis, die Aktionen wie die eingangs erwähnte zusammen mit anderen ausheckt, "wir betreiben zivilen Ungehorsam. Das geht vom Nicht-Bezahlen von Stromrechnungen bis hin zu politischen Graffiti oder künstlerisch-kreativen Aktionen."
Arthunis, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sitzt in der Starbucks-Filiale in der Wiener Millennium-City. Die dunkelhaarige Frau arbeitet als Office-Managerin eines Autozulieferunternehmens. Seit sie im Alter von 18 Jahren aus dem Iran floh, verfolgt sie die Ereignisse in ihrem Herkunftsland.
In Haft misshandelt
Gewalt erlebt Arthunis bereits in ihrer Jugend. Als nach der islamischen Revolution 1978 die Gesellschaft restriktiver wird, muss sie wegen ihres Einsatzes für zwei Mitschülerinnen, die wegen ihres unschicklichen Kleidungsstils "diszipliniert" werden sollten, sieben Tage in einer Zelle in einer Polizeistation verbringen, wo sie mit Stockhieben misshandelt wird. Mit Beginn des Krieges gegen den Irak wird die Lebenssituation für Arthunis’ Familie unerträglich: Viele ihrer Verwandten werden eingesperrt, verschwinden. Arthunis verlässt das Land, um in Paris Kunst zu studieren. Dort freundet sie sich mit einer Salzburgerin an und beschließt 1991, diese nach Österreich zu begleiten. Die Präsidentschaftswahlen 2009 markieren schließlich jenen Punkt, an dem Arthunis politisches Interesse in aktiven Widerstand umschlägt. Als Mahmoud Ahmadinejad am 12. Juni 2009 die Präsidentschaftswahlen zum zweiten Mal gewinnt, lösen Vorwürfe über Wahlfälschungen landesweite Unruhen aus. Der Zorn der Aufständischen erreicht seinen Höhepunkt, als auf YouTube ein Video öffentlich wird, das zeigt, wie eine junge Frau bei einer Demonstration am Karekar-Boulevard in Teheran erschossen wird. "Als ich diese Brutalität der Regierung gesehen habe, wurde ich radikal", sagt Arthunis.
Arthunis organisiert Demonstrationen und wird in einem Netzwerk von Oppositionellen aktiv. Über geschlossene Online-Chaträume, etwa auf Beyluxe Messenger, halten die Exil-Iraner Kontakt zu Widerständischen im Land. Um Aktionen zu planen, setzen sie auf One-to-one-Kommunikation über "sichere Kanäle", wo Informationen nur in kleinen Häppchen weitergegeben wird. "Jeder Mensch hat zwei, drei Menschen, denen er wirklich vertrauen kann, und jeder von diesen kennt wieder drei", sagt Arthunis. Erst bei Massenmobilisierungen, etwa bei einer Wasserschlacht in Teheran Anfang September, kommen Facebook und Twitter ins Spiel.
Dass es im Zuge des Arabischen Frühlings nicht auch in Iran zu großen Protesten kam, führt sie auf die Zersplittertheit der Regimegegner zurück. In Ägypten hätten sich alle darauf geeinigt, Mubarak von der Macht zu vertreiben. Im Iran hätte man hingegen zu lange auf eine Reform von innen gehofft. "Die Menschen haben sich an dieses seltsame Leben gewöhnt", sagt sie, "es braucht sehr viel, damit sie sich auflehnen." Allerdings sollten sich die Mullahs nicht zu sicher fühlen: "Die Grüne Revolution ist nicht zu Ende."
Dieser Text ist Teil einer "Wiener Zeitung"-Serie mit Kurzporträts von "neuen Revolutionären", die ihre Anliegen mit Hilfe von sozialen Netzwerken, digitalen Technologien und neuen Denkansätzen vorantreiben. Die Porträts sind Auszüge aus Matthias Bernolds und Sandra Larrivas Buch "Revolution 3.0 – Die neuen Rebellen und ihre digitalen Waffen", das kommenden Dezember im Schweizer Verlag Xanthippe erscheinen wird.