Das Thema ist in vielen Communities tabu. | Die Beratungsstellen sind kaum sensibilisiert. | Wien. Wenn von der homosexuellen erwachsenen Bevölkerung die Rede ist, dann wird dabei oft nicht bedacht, dass darunter auch viele Migranten sind. Als Minderheit in einer Minderheit seien homosexuelle Migranten häufig Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt, meint Ewa Dziedzic, Obfrau von Migay, einem Verein zur Integration und Förderung von homosexuellen Migranten. Sehr spezifisch seien dabei die Herausforderungen.
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"Es geht nicht nur um das Coming-out, oft steht viel mehr auf dem Spiel", betont Dziedzic. So könne ein Selbst-Outing um einiges existenzieller sein, wenn die Herkunftscommunity Denkweisen aus dem Ursprungsland übernimmt, in denen Homosexualität verschwiegen, ausgegrenzt oder bestraft wird. Dann drohe etwa der Bruch mit der Familie und damit verbunden der Verlust von Infrastruktur und wichtigen soziokulturellen Verbindungen. Ebenso sei Homosexualität auch unter jugendlichen Migranten immer noch tabu und eine feindliche Haltung gegen Homosexualität stark verankert.
In iranischer Community tabu
"In Österreich leben genügend homosexuelle Iraner, die sich nie outen würden", meint Negar Roubani, Mitbegründerin des Vereins Orqoa (Oriental Queer Organization Austria), der sich wie Migay für die Belange dieser "unsichtbaren" Bevölkerungsgruppe verantwortlich fühlt. Seit dem Frühjahr 2010 setzt sich der Verein für die Interessen homosexueller Iraner in Österreich ein, betreibt Bewusstseinsbildung zu diesem Thema in der iranischen Community und versucht so die vorherrschende Tabuisierung aufzubrechen. Gleichzeitig ist vor allem die Unterstützung von homosexuellen Iranern auf der Flucht, die in Transitländern wie der Türkei auf Einreise in ein anderes Land warten, zentraler Bestandteil der Arbeit von Orqoa sein.
Die Internationale Lesben und Schwulen Assoziation schätzt, dass im Iran seit der islamischen Revolution mehr als 4000 homosexuelle Menschen hingerichtet worden sind. Homosexualität gilt als eine Form dekadenter Kriminalität. Bei Geschlechtsumwandlungen ist der Iran dafür Weltspitze: Jährlich wechseln ungefähr 450 Iraner das Geschlecht. Nur in Thailand sind es noch mehr. Transsexualität gilt als Krankheit, die durch eine Operation geheilt wird. Viele Schwule werden zur Geschlechtsumwandlungen getrieben.
"50 Prozent von denen, die fliehen, haben einen Selbstmordversuch hinter sich", erzählt Roubani, die selbst iranische Wurzeln hat. Dabei werden die betroffenen Menschen, zu denen Kontakt meist nur über E-Mail und Telefon besteht, oft auch in den Transitländern diskriminiert und müssen unter unwürdigsten Bedingungen leben. Die benötigte Hilfestellung reiche von so existenziellen Dingen wie Essen, Kleidung und medizinischen Gütern bis zur juristischen Betreuung.
Doch auch in Österreich würden LGBT-Communities (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) homosexuelle Migranten oft außer Acht lassen, berichtet Ewa Dziedzic. "Viele fühlen sich so weder in der einen noch in der anderen Community so richtig angenommen. Oder sie fühlen sich nur als jeweils das eine oder andere willkommen", erläutert Dziedzic, die selbst homosexuell ist und einen polnischen Migrationshintergrund hat. Somit seien weder die migrantischen noch die LGBT-Beratungsstellen auf die spezifischen Themen und Problematiken dieser Bevölkerungsgruppe sensibilisiert.
Vernetzung mit Communities
Adäquate Beratung bei Fragen zu HIV- und Aidsprävention bräuchte vor allem die Gruppe männlicher Migranten in Wien, die aus Ländern wie der Türkei, Rumänien und Bulgarien kommen. Gegen homosexuelle - vor allem männliche - Migranten richte sich häufig der Vorwurf der Prostitution, der sich etwa in Form von Eintrittsverboten zu den Szeneclubs äußern kann.
Ein weiterer Schwerpunkt von Migay ist die Vernetzung und Kooperation mit relevanten LGBT- und migrantischen Vereinen. Damit einher gehen die Förderung fachspezifischer Kompetenzen bei den jeweiligen Beratungsstellen sowie die Sensibilisierung der betroffenen Communities. "Inzwischen ist aber unser Team auch selbst zu einer wichtigen Anlaufstelle für viele homosexuelle Migranten geworden", erläutert Dziedzic ergänzend.
Neuigkeiten aus aller Welt beinhaltet die im März 2009 gegründete gleichnamige Zeitung von Migay. Der Inhalt der Zeitung reicht von Beiträgen zu Integration, Religion, Familie, Coming-out, Gesundheit bis zur Szeneberichten und aktuellen Neuigkeiten aus den jeweiligen Herkunftsländern. Dass die Polizei etwa in Peking den ersten chinesischen Schönheitswettbewerb für Schwule verhindert hat, kann man dort erfahren. Oder dass die Polizei in Istanbul seit einigen Monaten Geldstrafen gegen Männer in Frauenkleidern auf den Straßen verhängen kann. In einem Interview spricht die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger darüber, dass im Falle eines EU-Beitritts der Türkei oder einige Balkanländer auch auf die Gleichstellung von Homosexuellen geachtet werden müsse.
Es ist das erste österreichische Informationsmedium und mit der Website auch die erste Vernetzungsplattform von und für bi- und homosexuelle Migranten. Gruppenspezifische Interessen erscheinen in der jeweiligen Muttersprache. Migay und Orqoa streben künftig Kooperationen an, um sich für die gemeinsamen Anliegen besser einsetzen zu können
Am 2. Dezember um 19 Uhr 30 veranstaltet Migay im Gugg, dem Café der Hosi (Homosexuelleninitiative) Wien, bei freiem Eintritt eine Lesung mit anschließender Podiumsdiskussion zum Thema "Religion und Homosexualität". Die Wiener Autorin Ulrike Karner liest aus ihrem Erstlingswerk "Allah und der Regenbogen".