Gregor Schusterschitz, Österreichs Stimme bei den Brexit-Verhandlungen, über die heimische Position und den Ablauf der Verhandlungen.
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"Wiener Zeitung": Am Montag haben die Brexit-Verhandlungen begonnen. Was ist in den ersten Tagen zu erwarten?Gregor Schusterschitz: Erst müssen sich die EU-Kommission und die Briten über die Organisation der Verhandlungen einigen: In welchen Rhythmus wird verhandelt, wann besprechen wir welche Themen? Der erste Tag drehte sich hauptsächlich um diese Fragen. Es war sicher auch ein erstes inhaltliches Abtasten.
Sie sitzen für Österreich in der Ratsgruppe, die die Positionen der EU-27 koordiniert. Wie vertreten Sie Österreich konkret?
Es gibt eine Tagesordnung mit Themen. In Wien wird geschaut, welche Punkte uns besonders wichtig sind. Ich bekomme dann eine Weisung mit der österreichischen Position, die ich in der Arbeitsgruppe vertrete und dort möglichst durchbringen muss. Zurück in Wien berichte ich an das Außenministerium und das Bundeskanzleramt, die eine gemeinsame Federführung für dieses Dossier haben.
Welche besonderen Interessen verfolgt Österreich beim Brexit?
Als Nettozahler sind uns die finanziellen Fragen wichtig. Das gilt natürlich auch für die anderen Staaten - unsere Punkte fallen nicht aus dem Rahmen. Für uns ist wichtig, dass es kein Rosinenpicken der Briten gibt. Wie Außenminister Sebastian Kurz gestern gesagt hat, wollen wir gleichzeitig ein gutes Verhältnis zu den Briten bewahren.
Bis Herbst 2018 sollen die Verhandlungen mit den Briten beendet sein, dann bleibt Zeit bis März 2019, um das Abkommen zu ratifizieren...
Im Oktober 2018 sollte fertig verhandelt sein, damit das Europäische Parlament Zeit hat, das Abkommen zu genehmigen. Auch das britische Parlament muss es ratifizieren. Das Europaparlament wird im Mai 2019 neu gewählt, davor sollte das Abkommen genehmigt werden.
Das bedeutet, für die Verhandlungen bleiben nur rund 15 Monate?
Das ist nicht viel Zeit, dieses Bewusstsein haben aber auch alle - dass man das effizient und gut verhandeln muss.
Ist es überhaupt möglich, in 15 Monaten bei rund einer Woche Gespräche pro Monat ein Verhandlungsergebnis zu erzielen?
Es ist realistisch, das zu schaffen. Viele Ressourcen werden darauf verwendet, und etliche Bereiche sind auch nicht kontrovers. Häufig geht es darum, vernünftige Lösungen zu finden, mit denen beide Seiten gut leben können. Ich gehe davon aus, dass ein guter Teil der Dossiers nicht kontrovers ist: Was machen wir mit der Verwaltungszusammenarbeit? Was machen wir mit Waren, die bereits zirkulieren? Was geschieht mit den Bürgern? Es sind ja auch viele Briten in der EU.
Über allem schwebt aber der böse Geist eines möglichen "harten Brexit" mit dem Verlassen des EU-Binnenmarktes.
Artikel 50 besagt, dass man zwei Jahre Zeit hat, um die Union zu verlassen. Das kann verlängert werden - wir werden sehen, ob das nötig ist. Ich habe den Eindruck, dass beide Seiten einen Brexit ohne Abkommen verhindern wollen.
Die britische Premierministerin Theresa May hat gesagt, kein Deal sei besser als ein schlechter Deal.
Das wird sich zeigen. Für uns ist klar, dass wir ein Abkommen wollen. Wir haben alles getan, Brüssel bereitet sich seit Wochen intensiv auf die Verhandlungen vor. Und beim Festlegen unserer Positionen denken wir natürlich auch daran, wie die Briten darauf reagieren könnten.
Laut Berichten ist die Regierung in London nicht gut vorbereitet. Es fehlten Papiere für die Verhandlungen, Brüssel sei wenig erfreut, heißt es.
Es gab ja zuvor noch keine Verhandlungen. Wir werden sehen, wie gut die Briten vorbereitet sind.
Zur Person
Gregor Schusterschitz
ist österreichischer Botschafter in Luxemburg. Zuvor war der 47-Jährige jahrelang in Brüssel. Als Leiter der Rechtsabteilung der Ständigen Vertretung Österreichs in der EU hat er unter anderem die Medizinerquote und die AUA-
Privatisierung mit der EU-
Kommission verhandelt.