OLG Wien: Die Razzia im Verfassungsschutz war größtenteils rechtswidrig. Was bedeutet das?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Ein Amtshilfe-Ersuchen hätte es auch getan. So könnte man unterm Strich den am Dienstag veröffentlichten Entscheid des Oberlandesgerichts Wien (OLG) zusammenfassen. Die im Februar erfolgte, hochumstrittene Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) war demnach größtenteils rechtswidrig, die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat mit dem bei einem Journalrichter auf recht kurzem Wege erwirkten Durchsuchungsbeschluss zu einem "nicht verhältnismäßigen" Mittel gegriffen. Die OLG-Beschwerde hatten betroffene BVT-Mitarbeiter angestrengt. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht zuvor die Suspendierung von BVT-Chef Peter Gridling und anderen Verfassungsschützern aufgehoben hatte, bedeutet die gerichtliche Entscheidung nun vor allem einen weiteren Rückschlag FPÖ-Innenminister Herbert Kickl - in politischer Hinsicht, weniger in juristischer. Aber der Reihe nach.
Aus der vorliegenden Stellungnahme des OLG Wien geht hervor, dass es dem Innenministerium und damit Herbert Kickls Behörde selbst oblegen hätte, einem Amtshilfe-Begehren der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten. Schließlich ist das BVT dem Innenministerium untergeordnet. Das OLG unterstreicht aber auch, dass der vorliegende Spruch die "Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts" betrifft, nicht aber die Arbeit der ermittelnden Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Allerdings: Was im Juristendeutsch "erstinstanzliche Entscheidung" genannt wird, ist faktisch nicht mehr als eine simple Unterschrift. Diejenige des Journalrichters nämlich, der das von der WKStA verfasste Begehren bewilligte.
Kurz gesagt: Der Journalrichter hätte ablehnen und die Staatsanwälte auf den Weg der Amtshilfe verweisen sollen. Das betrifft die gesamte Razzia in den Räumlichkeiten des BVT sowie drei von vier Hausdurchsuchungen in den Privatwohnungen der betroffenen BVT-Mitarbeiter. Nur in einem Fall habe man davon ausgehen können, dass ein Verfassungsschützer tatsächlich Beweise, in dem Fall Datenmaterial, bei sich zu Hause aufbewahrt haben könnte.
WKStA: "Auswirkungen prüfen"
Prinzipiell schließe das Gesetz auch eine Durchsuchung bei einer "mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten Behörde" nicht aus, schreibt das OLG. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Journalrichter habe es aber an "aktenkundigen Anhaltspunkten" gemangelt, aus denen hervorgegangen wäre, dass die Behörde einem Amtshilfeersuchen nicht nachgekommen wäre. Legitim wäre eine Durchsuchung auch gewesen, wenn im Falle eines Amtshilfe-Gesuchs dieses von genau den Beamten geleistet werden hätte müssen, gegen die ermittelt wird - die Beamten hätten sich in diesem Fall möglicherweise selbst belasten können, was von Rechts wegen ausgeschlossen ist. Das wäre im gegenständlichen Fall nicht möglich gewesen: Das BVT untersteht wie gesagt dem BMI, das Ministerium selbst als übergeordnete Organisationseinheit hätte die Amtshilfe zu leisten gehabt.
Die WKStA regierte ihrerseits mit einer Aussendung auf die höchstgerichtliche Entscheidung. Sie sieht die von ihr "den Anordnungen zu Grunde gelegte Verdachtslage gegen insgesamt 4 Beschuldigte" bestätigt, akzeptiert aber den OLG-Spruch - und kündigt an, die "unmittelbaren Auswirkungen" auf das noch laufende Ermittlungsverfahren (das übrigens berichtspflichtig gegenüber dem Justizministerium ist) zu prüfen. Man werde sich fragen, wie mit den durch die rechtswidrige Durchsuchung ermittelten Erkenntnissen "umzugehen ist". Genaueres war der Sprecherin der WKStA am Dienstag nicht zu entlocken.
An anderer Stelle wirkt die Stellungnahme der Staatsanwälte wie eine Rechtfertigung. Rund 50 Zeugen und Beschuldigte seien inzwischen einvernommen worden. "Weitere Beweismittel" seien beigeschafft worden. "Aufgrund dieser Ermittlungsergebnisse hat sich auch der von der WKStA ursprünglich angenommene Tatverdacht gegen einzelne Beschuldigte deutlich manifestiert, sodass die Ergebnisse nunmehr im weiteren Verfahren ausgewertet und geprüft werden." Ein für eine Behörde, die ansonsten wortkarg auf das noch laufende Verfahren verweist, doch recht vielsagendes Statement.
Was genau aber könnte der OLG-Spruch für die durch die rechtswidrige Razzia erworbenen Beweise künftig bedeuten? Nicht besonders viel, glaubt man Juristen wie dem Verfassungsrechtsexperten Bernd-Christian Funk. Zwar hält auch das OLG fest, dass nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (OGH) "kein Gebot" bestehe, "solche Beweismittel zu vernichten". Sollte es zur Anklageerhebung durch die WKStA kommen, sei "in der Hauptverhandlung zu entscheiden, ob die Beweise verwertet werden". Gegen diese Entscheidung wiederum können dann auch die Betroffenen BVT-Beamten Rechtsmittel ergreifen. "Hier gilt nach der ständigen Judikatur: Die Beweismittel dürfen verwendet werden." Als definitiv ausgeschlossen gelten wörtlich nur über Folter erpresste Beweise.
Moser will Konsequenzen
Es herrsche, so fasst Funk zusammen, "eine erhöhte Sorgfaltspflicht": Die Beweise müssen bekanntgemacht werden, Beschuldigte müssen Gelegenheit bekommen, Stellung zu nehmen. Die Beweise sind also nur unter Wahrung aller Verfahrensinstrumente zu verwenden, die für den Schutz der Betroffenen sorgen. Im österreichischen Recht werden Beweise "von Fall zu Fall" bewertet, sagt Funk. "Einen Grundsatz wie beispielsweise im US-Recht, in dem rechtswidrig beschaffte Beweise nach dem Grundsatz the fruit of the poisonous tree (Die Frucht des vergifteten Baumes, Anm.) nicht für eine erweiterte Verwertung herangezogen werden dürfen, gibt es in unserem Recht nicht", erklärt der Verfassungsrechtler.
Rein rechtlich aber hat das Straflandesgericht Wien, dessen Journalrichter die Razzia genehmigte, die Möglichkeit, die sichergestellten Gegenstände nun zu beschlagnahmen. Weil dies unwahrscheinlich ist, bleibt der OLG-Spruch vor allem ein politisches Thema. Neos, Liste Pilz und die SPÖ - letztere forderten am Dienstag Herbert Kickl zum Rücktritt auf - haben nun im BVT-U-Ausschuss Extra-Munition erhalten. Neos-U-Ausschuss-Verantwortliche Stephanie Krisper will sich vor allem auf den Werdegang der "durch viel Agitation und Druck aus dem Kabinett Kickl erwirkten" Razzia konzentrieren. Noch immer fehlen jene Akten, die die Kommunikation zwischen Kabinett Kickl und WKStA dokumentieren, wie auch die SPÖ kritisiert. Besonders interessant könnte deshalb die U-Ausschuss-Befragung der führenden WStA-Beamtin Ursula Schmudermayr (2. Oktober) werden.
Bemerkenswert ist die Reaktion von ÖVP-Justizminister Josef Moser: Vor Journalisten warf er am Dienstag beim Europäischen Forum Alpbach sowohl der WKStA als auch dem Innenministerium vor, vor der Durchsuchung weder sein Kabinett, noch Generalsekretär Christian Pilnacek, noch die Fachsektion und auch nicht die Oberstaatsanwaltschaft informiert zu haben. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg werde nun "die gesamten Abläufe in jede Richtung überprüfen". Auch personelle Konsequenzen schloss Moser nicht aus, "Entscheidungsstrukturen" die zur "überschießenden Hausdurchsuchung" geführt hätten, werde man "näher bleuechten". Sollte die WKStA vor Gericht gehen, sei die Oberstaatsanwaltschaft zu befassen.