Am 12. März 1938 wurde Österreich für sieben Jahre von der Landkarte gelöscht. | Spitzenpolitiker weisen auf Rolle Österreichs als Täter und Opfer hin. | Gusenbauer und Molterer mahnen zu mehr Miteinander. | Wien. Samstag, 12. März 1938. Deutsche Truppen überschreiten die Grenze zu Österreich - der "Anschluss" an Nazi-Deutschland ist vollzogen. Bereits in der Nacht hat Bundeskanzler Kurt Schuschnigg seinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufgegeben. Wenige Tage später, am 15. März, wird Adolf Hitler selbst auf dem Wiener Heldenplatz zur Bevölkerung seines Heimatlandes sprechen. Manche jubeln ihm zu, manche wenden sich in stummer Abscheu ab, manche leisten Widerstand und müssen dafür mit dem Leben bezahlen. Abertausende werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Abstammung, ihrer politischen Meinung, ihrer Sexualität verfolgt und ermordet.
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Mittwoch, 12. März 2008. 70 Jahre nach dem Anschluss haben sich die Spitzen des demokratischen Österreichs zur Gedenkveranstaltung im alten Reichsratssitzungssaal des Parlaments versammelt.
Kanzler Alfred Gusenbauer und sein Vize, ÖVP-Chef Wilhelm Molterer, erklären, dass man die Ereignisse des März 1938 als Warnung für heutige Generationen begreifen müsse. Die "innere Zerrissenheit" in der ersten Republik habe zum Ständestaat und dazu geführt, dass sich Österreich den Nazis "weitgehend widerstandslos ergeben" hat, sagt Gusenbauer. Er spricht von einer "tiefen inneren Spaltung" des Landes und prangert die damalige "Unfähigkeit der Politiker, dem Einhalt zu gebieten" an. An den "dunklen Phasen unserer Geschichte" könne man erkennen, wohin die Verrohung der Sprache führen könne, so der Kanzler, der zugibt, dass man in den vergangenen Monaten "nicht eben sorgsam" mit Worten umgegangen sei: "In dieser Beziehung sollten wir strenger zu uns sein - jede weitere Verschärfung der Tonart beschädigt die Glaubwürdigkeit der Politik."
"Unbedingte Pflicht zum Miteinander"
Auch Molterer spricht vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen der Ersten Republik von einer "unbedingten Pflicht zum Miteinander". Natürlich sei dies eine "schwierige Botschaft", hält er fest - aber man müsse auch dazu fähig sein, die "eigenen Lösungsmodelle mit den Augen des Anderen zu sehen". Weiters betont Molterer, dass "allzu viele Österreicher den Nationalsozialismus unterstützt" hätten und das Land "lange gebraucht hat, um sich einzugestehen, dass es nicht nur Opfer war".
An die Mitverantwortung einiger Österreicher an den Verbrechen der Nazis hatte zuvor bereits Barbara Prammer erinnert. Auch die Nationalratspräsidentin bezeichnete es als "Fiktion der Geschichte", dass Österreich das erste Opfer der Nazis gewesen sei - mit dieser These hatte am Montag, wie berichtet, Otto Habsburg für Aufregung gesorgt.
Prammer: Schlussstrich ist nicht möglich
Im Gegensatz zu einer Umfrage, wonach sich 60 Prozent der Österreicher ein Ende der wissenschaftlichen Aufarbeitung des NS-Regimes wünschen, sprach sich Prammer vehement dagegen aus, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Dies sei unmöglich, weil die "Ereignisse der Jahre 1938 bis 1945 vielfach bis in die Gegenwart reichen", sagte sie mit Verweis auf Umfragen, wonach sich auch heute noch ein Fünftel der 14- bis 24-Jährigen nach einen "starken Mann" sehnt.
Für eine Aufarbeitung der Geschichte - auch, was die Zeit kurz vor dem Anschluss betrifft - plädierte Bundespräsident Heinz Fischer. Zwar sei Österreich völkerrechtlich ein Opfer der "militärischen Aggression" der Nazis gewesen. Diese Aggression sei Hitler jedoch erst ermöglicht worden, weil es in Österreich "eine beträchtliche Anzahl von fanatischen Nationalsozialisten" gegeben habe.
Fischer: "Beträchtliche
Zahl fanatischer Nazis"
Fischer forderte die Regierung - indirekt - ebenfalls dazu auf, die Streitigkeiten der vergangenen Wochen und Monate aufzugeben: "Wir sollten weniger Energie für Konflikte und Konfrontation verwenden, weil wir damit mehr Energie für konstruktive Arbeit zur Verfügung haben."
ÖVP-Bundesratspräsident Helmut Kritzinger, der den Anschluss als Zehnjähriger miterlebt hatte, sprach sich für ein "klares Bekenntnis zu Österreich in einem vereinigten Europa" aus. Auch er erinnerte daran, dass "die Nazis nicht nur gleichsam von draußen kamen".
Die Grünen forderten derweil die Beseitigung der "Schandmale" des Nationalsozialismus - konkret den Erhalt jüdischer Friedhöfe durch den Bund, eine Anerkennungszahlung von 5000 Euro an alle noch lebenden NS-Opfer sowie die Pflicht zur Rückgabe von Raubkunst. Gegen einen Schlussstrich unter der Geschichte und für mehr Demokratiebewusstsein sprach sich auch BZÖ-Chef Peter Westenthaler aus.