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Als Sylvère das Töten lernte

Von WZ-Korrespondent Philipp Hedemann

Politik
Sylvère ist heute 22 Jahre alt. Seine Zukunft hat er auf den Schlachtfeldern Burundis gelassen.
© © Philipp Hedemann

36 Menschen hat der Kindersoldat ermordet. Schwer fiel ihm nur der erste.


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Bujumbura. "Er starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an und schrie um Gnade. Dann rammte ich ihm das Messer ins Herz. Das war mein erster Toter. Es folgten ungefähr 35 weitere. Aber die durfte ich mit der Kalaschnikow erschießen. Das war nicht so schlimm." Mit von vielen Joints getrübtem Blick starrt Sylvère Ndayishimiye ins Nichts und erzählt. Die Drogen sollen ihm helfen zu vergessen, doch sie sind nicht stark genug. Immer wieder holt ihn seine Vergangenheit ein. Der 22-Jährige war wie tausende andere Burschen und Mädchen Kindersoldat im burundischen Bürgerkrieg zwischen Hutus und Tutsi, Rebellen und Regierung. Über 250.000 Menschen starben.

"Wir hatten den Soldaten der Regierungstruppen gefangen genommen. Er war ein Tutsi. Vier Männer hielten ihn am Boden fest. Dann drückten sie mir das Messer in die Hand und sagten: Jetzt bist du dran!", erinnert sich Sylvère an den Tag, an dem er das Leben eines Mannes beendete und sein eigenes zerstörte. "Er war ungefähr 35, ich war 15. Ich sagte: Ich kann das nicht! - Töte ihn, oder wir töten dich, sagten meine Männer. Sie hielten Kalaschnikows im Anschlag. Da habe ich zugestochen", berichtet der Hutu Sylvère mit müder Stimme.

Als das Blut an der Hand des Burschen kalt wurde, hatten die Kämpfer der Hutu-Rebellenorganisation Forces Nationales de Libération (FNL) ihr Ziel erreicht. Sylvères Seele war so tot wie der von ihm erstochene Soldat, der 15-Jährige war zu einer Tötungsmaschine geworden. "Die nächsten Männer zu erschießen fiel mir leicht. Ich musste ihnen nicht in die Augen sehen. Nur der Mann, den ich erstochen habe, verfolgt mich in meinen Träumen", sagt der ehemalige Kindersoldat.

Das rohstoffarme Burundi ist das drittärmste Land der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 50,4 Jahren, rund zwei Drittel der Bevölkerung müssen von weniger als einem Euro pro Tag leben, nur zwei Prozent haben zu Hause Strom. Der von 1993 bis 2005 tobende Bürgerkrieg ist die Hauptursache für die katastrophalen Lage in der ehemaligen deutschen Kolonie, in der die Tutsis jahrzehntelang die politische und wirtschaftliche Elite bildeten, obwohl 85 Prozent der Bevölkerung Hutus sind. Als 1993 erstmals durch demokratische Wahlen ein Hutu-Präsident an die Macht kam, wurde er nach nur 100 Tagen im Amt ermordet - der Bürgerkrieg brach aus.

Der Glaube an das Gute

Bauernsohn Sylvère, der nie eine Schule besuchte, wurde in diesem Krieg unfreiwillig zum Mörder. Er arbeitete als Koch, als 13 bewaffnete FNL-Kämpfer ihn entführten. Noch am gleichen Tag schnitten sie ihm mit einem schmutzigen Messer einen Code in den linken und seinen zukünftigen Dienstgrad - Späher - in den rechten Arm. Sein ganzes Leben lang werden die schwulstigen Narben den ehemaligen Kindersoldaten an die schlimmsten zwei Jahre seines Lebens erinnern. Zwei Monate lang musste Sylvère Munition und Proviant für die Rebellen schleppen, immer auf der Flucht vor den Regierungstruppen, immer in Todesangst, dann begann sein militärisches Training. Kung Fu, Pistole, Kalaschnikow, Handgranate, Granatwerfer - dann der erste Mord als Abschlussprüfung.

"Von meinem Hauptmann habe ich immer Drogen gekriegt, nachts haben wir Dörfer geplündert und alles geraucht und getrunken, was wir in die Hände bekamen. Die Drogen haben die Angst vor dem Töten genommen", erinnert sich der stockend sprechende Mann. Jetzt muss Sylvère sich die Drogen, die die Angst vor den Träumen nehmen soll, selbst kaufen. Ein paar Krümel Haschisch hat er neben sein Bett gelegt. Für die kommende Nacht reicht es. Wie Sylvère die übernächste Nacht überstehen soll, weiß er nicht.

Neben den Drogen sollte die politische Indoktrination Sylvère zu einem bedingungslosen Killer machen. "Sie haben mir gesagt, dass wir für das Gute und die Freiheit kämpfen. Sobald wir an die Macht kämen und unser Anführer Präsident wäre, sollte jede Familie eine Kuh und eine Ziege bekommen. Irgendwann habe ich das geglaubt", gibt Sylvère zu. Heute schämt er sich dafür.

"Kinder sind leicht zu manipulieren, können oft noch nicht genau zwischen Gut und Böse unterscheiden, streben nach Anerkennung und sind sich der Finalität des Todes nicht bewusst. Sie werden deshalb oft besonders brutale Soldaten", sagt Théodora Nisabwe. Die Psychologie-Professorin an der Université du Burundi hat für die UNO eine Studie zu Kindersoldaten verfasst. Einige ihrer Erkenntnisse: "Kindersoldaten waren billiger als reguläre Soldaten, besonders oft wurden Straßenkinder zwangsrekrutiert. Sie wurden oft an vorderster Front als Kanonenfutter verheizt oder als unverdächtige Kundschafter missbraucht. Mädchen dienten oft als Sexsklaven der Soldaten. Die, die überlebt haben, sind meist schwer traumatisiert." Weil Kindersoldaten im Krieg gelernt haben, sich mit Gewalt zu nehmen, was sie wollen, rutschen sie, wenn sie sich wieder in die Zivilgesellschaft eingliedern sollen, oft in die Kriminalität ab.

Ein Fremder in der Heimat

Offiziell ist die Rekrutierung von Kindersoldaten auf der ganzen Welt verboten, ein entsprechendes Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention trat vor genau zehn Jahren, am 12. Februar 2002, in Kraft. Doch Schätzungen zufolge kämpfen weltweit immer noch 250.000 Minderjährige, die meisten von ihnen für Rebellen in Afrika, jeder dritte Kindersoldat soll ein Mädchen sein. Die UNO geht davon aus, dass zwischen 1990 und 2000 etwa zwei Millionen Kinder gefallen sind, sechs Millionen zu Invaliden wurden und zehn Millionen schwere seelische Schäden erlitten.

"Wir waren gute Soldaten", sagt Sylvère noch heute. "Wir waren viel weniger, aber wir haben die Regierungstruppen immer wieder in Hinterhalte gelockt." In seiner 200 Mann starken Einheit waren sieben weitere Minderjährige. Vier von ihnen sah er sterben, und auch ihn hätte es beinahe erwischt. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, schlich sich heimlich davon. "Hätten sie mich erwischt, hätten sie mich erschossen. Aber ich wäre lieber getötet worden, als weiterhin töten zu müssen", erzählt der junge Mann. Als er zwei Jahre nach seiner Entführung plötzlich wieder in seiner Heimatstadt auftauchte, hatten selbst seine Eltern Angst vor dem totgeglaubten Sohn. "Alle fürchten sich vor mir, niemand will mir Arbeit geben, kein Mädchen will mit mir zusammen sein, obwohl ich nie eine Frau vergewaltigt habe", erzählt der 22-Jährige. Offiziell ist der Bürgerkrieg seit über sechs Jahren vorbei, doch in Sylvères Kopf geht der Krieg weiter. Jeden Tag und jede Nacht.