Krise in wenigen Jahren Geschichte, Wachstumsmotor Osteuropa bleibt. | Auch Österreich ist in den Sog negativer CEE-Berichte geraten. | "Wiener Zeitung": Österreich hat einen neuen Finanzminister. Hat Josef Pröll in einer für die Wirtschaft und die Banken heiklen Phase zu wenig Erfahrung? | Herbert Stepic: Nicht alle politischen Jobs benötigen Expertentum. Gerade der Finanzminister hat ein großes Maß an insgesamt gesellschaftspolitischer Verantwortung. Das nötige wirtschaftliche Verständnis hat Josef Pröll auch als Absolvent der Universität für Bodenkultur.
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Ich habe keine Angst, dass er seinen Job nicht gut macht, eher habe ich Bedenken wegen der Vielzahl von Funktionen, die er ausübt.
Die Verhandlungen über das Bankenhilfspaket stocken gerade. Ein Grund zur Sorge?
In Österreich sind die nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schon da, die Politiker haben sich sachkundig und kompromissbereit gezeigt. Ich sehe die Verzögerungen eher auf EU-Ebene. Sie will, dass es zu keinen Marktverzerrungen kommt.
Das kann natürlich passieren, wenn jedes Land sein eigenes Paket schnürt. Mittwoch hätte alles schon fertig sein sollen, jetzt nützt Brüssel die Verschnaufpause bis Anfang Dezember, bis zum nächsten Finanzministerrat.
Raiffeisen International (RI) hat seinen Schwerpunkt in Osteuropa. Dort gibt es noch Wachstumsraten, trotzdem sind die Analysten misstrauisch. Warum?
In den letzten Monaten hat sich eine "Haltet den Dieb"-Mentalität besonders in anglo-amerikanischen Medien gezeigt. Sie wollen davon ablenken, dass die gegenwärtige Krise von den USA ausgegangen ist.
Natürlich sind diese Volkswirtschaften verletzlich. Aber in den letzten 17 Jahren waren sie Wachstumsmotor Nummer eins. Für Österreich hat das einen zusätzlichen Wachstumsschub von einem halben bis zu einem Prozentpunkt beim BIP bedeutet, und 120.000 bis 130.000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Österreichs Banken waren die Voraussetzung für den rasanten Transformationsvorgang. Tschechien und die Slowakei haben ihr BIP in den letzten 17 Jahren verdreifacht. Der interregionale Handel ist immens gestiegen, der Aufholbedarf bei Konsum und Investitionen ist nach wie vor vorhanden. Es gibt keine Immobilienblase, der neue Mittelstand hat Bedarf an Wohnungen.
Die Krise wird in wenigen Jahren ein Punkt in der Geschichte sein; der Wachstumsmotor wird im Herzen Mitteleuropas bleiben.
Und das glauben die internationalen Investoren so nicht?
Natürlich haben wir es mit einer Vertrauenskrise zu tun, und wenn Märkte negativ reagieren, dann werden eben Investitionen zurückgestellt.
Was ich aber kritisiere, ist, dass Osteuropa völlig undifferenziert schlechtgeredet wird, als ob wir noch im Kalten Krieg wären. Es gibt keinen Ostblock mehr. Es wird völlig übersehen, dass viele dieser Länder sich unter dem Dach der EU befinden.
Und es ist bedenklich, dass auch Österreich in den Sog dieser negativen Medienberichte geraten ist. Es wäre eine dringende Aufgabe auch der neuen Regierung, dieses Bild zurechtzurücken.
Aber Ungarn und die Ukraine haben die Investoren doch zu recht verschreckt?
Verständlich, Ungarns Probleme sind hausgemacht. Die Ungarn haben zu viel konsumiert und zu wenig investiert und produziert. Die Fehlentscheidungen der letzten Regierung haben der jetzigen ein schweres Erbe beschert. Aber Ungarn wird mit Hilfe des 20-Milliarden-Euro-Hilfspaketes von EU und Internationalem Währungsfonds die Krise sicher meistern. In der Ukraine fällt das Überschwappen der Krise aus dem Westen zusammen mit der Gegnerschaft zwischen Präsident Juschtschenko, Oppositionsführer Janukowitsch und Ministerpräsidentin Timoschenko. Eine politische Stabilisierung ist dort sicher nötig.
Und Russland? Investoren haben sich reihenweise verabschiedet, aber RI ist nach wie vor engagiert.
Im Jahr 2007 wurden mehr als 50 Milliarden Dollar vom Ausland investiert, heuer wird es weniger sein. Aber Russland ist durchaus in der Lage, die Krise aus eigener Kraft zu meistern.
Auch wenn der Ölpreis auf 50 Dollar abgesackt ist?
Im russischen Budget ist ein Richtwert von 65 Dollar je Fass Rohöl zugrunde gelegt. Aber die Produktionskosten liegen bei nur 15 Dollar, und vor allem darf man die Gasexporte nicht außer Acht lassen. Dazu kommen komfortable Finanzpolster: fast 460 Milliarden Dollar an Währungsreserven, in diversen Staatsfonds liegen 160 Milliarden Dollar, und der Budgetüberschuss beträgt rund 100 Milliarden Dollar. Russland hat genug Geld, um die Krise zu meistern.
Trotzdem hat RI in Russland öffentliche Hilfe in Anspruch genommen.. .
Nein, ganz im Gegenteil, wir helfen dem russischen Finanzsystem. Lassen Sie mich erklären: Wir sind in Russland unter den Top 10. Die russische Zentralbank hat uns und andere Großbanken ersucht, Geld an andere russische Geschäftsbanken zu vergeben, also die Liquidität zu steuern, weil - wie überall - die Kreditströme ins Stocken geraten sind. Wir tun das unter Garantiezusagen des Staates und nützen die Refinanzierung durch die russische Zentralbank.
Es ist eine sehr ehrenwerte Sache, wir sind damit eine systemrelevante Bank in Russland, ohne Rücksicht darauf, dass wir eine ausländische Bank sind.
Ihre Expansionspläne haben Sie aber zurückgefahren.. .
Für 2009 haben wir den weiteren Ausbau von Filialen auf Eis gelegt, es werden nur mehr die 40 bis 50 fertig gestellt, die schon in Bau sind. Mit rund 3170 Filialen sind wir in Osteuropa ohnehin sehr gut aufgestellt.
Was kann man das Vertrauen der Investoren in Osteuropa wieder herstellen ?
Es muss zweierlei passieren: Die Länder Osteuropas müssen ihre Hausaufgaben machen, sie müssen Hilfspakete schnüren, in erster Linie für die Banken, damit die normalen Investitionen getätigt werden können, damit die Leute wieder was kaufen.
Und zweitens muss die EU anerkennen, dass Osteuropa ein geopolitischer Teil Europas ist, der die Transformation nach dem Kommunismus gerade erst geschafft hat, dass es der vollen Unterstützung der EU wert ist. Es sind kleine Volkswirtschaften, bei denen mit geringen Mitteln viel zu bewegen ist.