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Alt, älter, erfahren

Von Brigitte Suchan

Reflexionen
© Corbis

Die Vorstellung, das Alter würde mit einem bestimmten Lebensjahr beginnen, hat mittlerweile aber ausgedient. Die Medien tun sich zunehmend schwer damit, jene Bevölkerungsgruppe zu etikettieren, die sich jenseits der für die Werbeindustrie interessanten 14 bis 49 Jahre befindet.


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Oma und Enkelin sitzen gemütlich bei einem Kaffee und plaudern. Die Enkelin erzählt von einem Rockkonzert und wie sie sich dabei ihre Kleider versaut hat. Die Oma mit fescher Kurzhaarfrisur und lässig elegant gekleidet, grinst verschmitzt. Sie hätte sich seinerzeit beim Jimmy Hendrix-Konzert die Kleider nicht ruiniert, denn sie hätte keine angehabt. Wohltuende Abwechslung im Werbealltag. Frauen dürfen Omas sein und müssen trotzdem nicht strickend und mit weißem Haar begütigend gute Ratschläge erteilen oder böse und verbittert die Nachbarn ärgern. Dass die Generation der Studentenbewegung der 1960er und 70er Jahre ins Pensionsalter kommt, könnte der Anlass für einen Paradigmenwechsel sein, meinen Medienexperten. Schwer vorstellbar, dass diese Gruppe nach einem selbstbestimmten Berufs- und Privatleben jenseits ihres Erwerbslebens in ruheständlerische Lethargie verfällt und sich im Gasthaus Seniorenteller bestellt oder wegen Gratiskaffee und Kuchen zur Seniorenfahrt mit dem Bus aufbricht. Noch vor einigen Jahren erregte das kanadische Seniorenministerium mit einem Fernsehspot internationales Aufsehen, in dem zwei 70-Jährige sich ihren Kindern und Enkelkindern zuliebe in die strickende Oma und den klapprigen Opa verwandeln, Computer und Lippenstift wegräumen und die modernen Bilder von den Wänden nehmen. "Haben Sie sich jemals gefragt, wieso manche Leute mit 65 plötzlich alt werden? Vielleicht deshalb, weil Sie es von ihnen erwarten", heißt es zum Schluss.

Kaum mehr als Stereotype

Die Darstellung älterer Menschen und des Alterns in den Medien ist von Stereotypen geprägt, wie eine Analyse der Universität Wien unter der Leitung von Eva Flicker ergeben hat. Ältere Menschen sind in Medien nicht nur stark unterrepräsentiert im Vergleich zu ihrem demografischen Anteil an der Bevölkerung, sie kommen auch selten außerhalb üblicher Klischees vor. Graue Haare, faltige Haut, gebückte Haltung und ohne soziale Kontakte - so sieht das Bild aus, das man sich gemeinhin von älteren Menschen macht. Die Oma wird zum Synonym für die ältere Frau, egal ob sie nun Kinder und Enkelkinder hat oder nicht. Ihr zur Seite steht der gütige, Zuckerl verteilende Opa. Genauso unerträglich seien aber auch die vor Vitalität strotzenden 80-Jährigen, die braungebrannt und ungeachtet ihres fortgeschrittenen Alters ewige Jugend signalisieren. Dabei hat sich der Werberat 2004 freiwillig dazu verpflichtet, ältere Menschen nicht diskriminierend darzustellen.

Die Auseinandersetzung mit dem Alter geschieht überhaupt oft über den Körper und das Aussehen. Der Körper wird zur Projektionsfläche für den Jugendkult. Alt werden und dabei jung aussehen - mit diesem Versprechen ist Anti-Aging zu einem boomenden Wirtschaftsfaktor geworden. Während Fachleute vor den Folgen ästhetischer Medizin warnen, werden die kosmetischen Tricks zur Erlangung scheinbar ewiger Jugend immer variantenreicher. Die Kosmetikindustrie fokussiert sich auf Frauen, die jung und aktiv sein wollen. Die subtile Diskriminierung erfolgt im Detail: Frauen gelten zum Teil schon ab 40 als alt, Männer in diesem Lebensabschnitt werden auf dem Höhepunkt ihrer Attraktivität dargestellt. Während sich Hollywoodschauspielerinnen ab 40 plus auf einen Fachwechsel vorbereiten müssen, dürfen ihre männlichen Kollegen bis weit über die 50 die begehrenswerten Liebhaber spielen.

In Printmedien kommen ältere Menschen überdurchschnittlich oft als Last für die Gesellschaft vor im Zusammenhang mit Überalterung, Pflege oder der Pensionsdebatte. Doch eine ältere Gesellschaft ist nicht automatisch eine kränkere

oder pflegebedürftigere Gesellschaft. Dank der Fortschritte der modernen Medizin schiebt sich die Pflegebedürftigkeit altersmäßig weit nach hinten. Und eine positive Einstellung zum Altern erhöht Studien zufolge die Lebenserwartung überdies um bis zu acht Jahre.

Wann beginnt man alt zu sein?

Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilt wie folgt ein: Ältere Menschen sind zwischen 60 und 75, alt ist man zwischen 75 bis 90, noch ältere gelten als sehr alt beziehungsweise als hochbetagt. Doch auch diese Einteilung ist relativ. Bis ins Jugendalter hinein erlaubt das kalendarische Alter gute Rückschlüsse.

Im Erwachsenenalter vergrößern sich die Unterschiede zwischen den Individuen zunehmend und sind abhängig von persönlichen Entwicklungen und Lebenswegen. Im Alter sind die Unterschiede zwischen Menschen gleichen Alters dann so groß, dass ein 70-Jähriger geistig ebenso leistungsfähig sein kann wie ein 50-Jähriger, aber es kann auch ein 70-Jähriger aussehen und sich fühlen wie ein 90-Jähriger.

Laut einer Studie des Berliner Max Planck Instituts for Human Developement fühlen sich Menschen über 50 heute mindestens um 12 Jahre jünger als sie tatsächlich sind. Aushängeschilder wie Niki Lauda, den mit seinen 60 Jahren wohl niemand zum alten Eisen zählen würde, oder die Schauspielerin Christiane Hörbiger, die mit 70 in ihren Filmen locker als 50-Jährige durchgeht, sind Vorbilder einer Generation, die sich nicht ins Senioreneck schieben lassen will. Das stellt die Marketingleute vor eine große Herausforderung. Wie benennt man die Zielgruppe, mit der man es zu tun hat? Begriffe wie "die neuen Alten" oder "ältere Youngster", "Generation Happy End" oder "Best Ager" sind wenig mehr als hilflose Versuche. "Ich möchte einfach als Erwachsene bezeichnet werden", meinte eine etwa 60-jährige Frau unlängst in einer Diskussionsrunde.

Mit der allgemein üblichen Definition 50 plus zur Beschreibung fortgeschrittenen Lebensalters haben viele, die knapp davor oder darüber sind, allerdings so ihre Probleme. Frauen und Männer, die in dieser Phase ihres Lebens voll im Berufsleben stehen, die Karriereleiter vielleicht endlich hinaufgeklettert sind oder sich aus beruflichen oder privaten Gründen völlig neu positionieren müssen, empfinden es als diskriminierend, ins Alteneck geschoben zu werden. Zwischen 40 und 50, so berichtete Edeltraud Glettler vom Sozialministerium anlässlich eines Workshops, machten sich laut einer Erhebung der Wirtschaftskammer Österreich besonders viele Frauen selbständig, weil sie aus dem Arbeitsmarkt herausfallen. Sie gelten zwar für viele Tätigkeiten als unselbständig Erwerbstätige als zu alt, sind dafür dann aber Jungunternehmerinnen. In welche Marketingschublade sie wohl hineinpassen?

Die Mehrheit 50 plus

Die Generation 50 plus wird auch in den nächsten Jahren die Mehrheit der Bevölkerung stellen, wie demografische Zahlen belegen. Einer der Gründe, weshalb Sozialwissenschafter Bernd Marin die Bezeichnung 50 plus keineswegs als diskriminierend empfindet. Drei Millionen über 50-Jährige machen schon jetzt über ein Drittel der Bevölkerung Österreichs aus. In 20 Jahren werden laut Berechnungen der Statistik Austria 45 Prozent der Österreicher, das sind rund vier Millionen, ihren 50. Geburtstag bereits gefeiert haben. Europaweit sind derzeit etwa 150 Millionen Menschen über 50 Jahre alt. In Österreich stehen den über 50-Jährigen an die 30 Milliarden Euro Vermögen zur Verfügung, die jährliche Kaufkraft überschreitet 18 Milliarden Euro. Eine wichtige Marktmacht also. Die Zielgruppe der Männer und Frauen 50 plus ist jedoch so inhomogen wie kaum eine andere. Lebenswandel und Einstellungen definieren die einzelnen Gruppen viel stärker als das Alter.

Um dieser für die Werbewirtschaft bedeutenden Gruppe eine Bezeichnung zu verpassen, an der sich niemand stoßen kann, hat eine Plattform deutscher Unternehmen aus Markt- und Werbungsforschung, das ReifeNetzwerk, ein Kunstwort geschaffen und bezeichnet Menschen zwischen 50 bis 75 als PEGGIs. P steht für ausgereifte Persönlichkeit, E für Erfahrung - als Verbraucher und als Arbeitnehmer -, G für Geschmack, der in diesem Alter umfassend entwickelt ist, Geld definiert das wirtschaftliche Potenzial, I schließlich steht für vielfältige Interessen.

Schön, dynamisch, flexibel, leistungsfähig - das sind Attribute, die gemeinhin nur der Jugend zugeschrieben werden. Es wird Zeit, dass sie für Menschen aller Altersstufen verwendet werden. Dass der Zwang, alles zu schubladisieren, nicht zu notwendiger Differenzierung beiträgt, ist ein Fakt. Und bei aller berechtigten Medienschelte: Medien schaffen die Realität nicht, sie (be)werten sie nur.