Nach der jüngsten Eskalation verschärft die israelische Regierung die Maßnahmen gegen die arabische Bevölkerung von Jerusalem.
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Jerusalem. Straßensperren, Soldaten, Häuserabriss. Das israelische Kabinett hat nach einer Dringlichkeitssitzung die neuen Maßnahmen vorgestellt, mit denen die Regierung die ausufernde Gewalt eindämmen will. Beschlossen wurden sie nach dem bisher verheerendsten Tag der jüngsten Eskalation. Drei Israelis wurden bei zwei fast zeitgleichen Angriffen von Palästinensern in Jerusalem getötet, mindestens 15 weitere wurden dort und bei Messerangriffen in der Stadt Raanana nördlich von Tel Aviv verletzt. Ebenfalls erschossen wurden die palästinensischen Angreifer, zudem kam bei Zusammenstößen in Betlehem nahe dem Checkpoint nach Jerusalem ein Palästinenser ums Leben. Damit steigt die Zahl der Opfer der vergangenen vier Wochen auf acht Israelis und 29 Palästinenser, zwölf von ihnen nach Angriffen.
Die Verschärfungen, mit denen Israels Regierung darauf reagiert, betreffen vor allem die arabischen Viertel und Dörfer in Ostjerusalem. Dabei kommen Maßnahmen zum Zug, die Israel bereits während der zweiten Intifada, die vor 15 Jahren ausbrach, angewandt hat- und die auch innerhalb Israels nicht unumstritten sind. Von Kollektivstrafen wie Straßenblockaden in den arabischen Vierteln oder die Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Terroristen ist Israel bereits in früheren Gewaltwellen wieder abgekommen, weil sie gemäß Untersuchungen der Armee die Sicherheitslage nicht verändert hätten.
Das gilt auch für die aktuelle Eskalation: Die Altstadt von Jerusalem blieb tagelang für Palästinenser, die keinen festen Wohnsitz in der Stadt haben, abgesperrt - die Messerangriffe ebbten dennoch nicht ab oder haben sich an andere Orte verlagert. Zumindest den Rufen der RechtsaußenParteien, die sogenannte "Grüne Linie", die die Grenze zwischen dem international anerkannten Staatsgebiet Israels und den besetzen Gebieten bildet, für die arabische Bevölkerung komplett abzuriegeln, hat das Kabinett von Regierungschef Netanjahu nicht nachgegeben. 1400 einberufene Reservisten der Armee und 300 zusätzliche bewaffnete Wächter sollen jeden Eintritt aus Ostjerusalem und dem Westjordanland nach Westen umfassend kontrollieren - komplett abgewürgt wird der Verkehr jedoch nicht.
Strategie Israels fehlt
Das dürfte das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in und um Jerusalem, das in den vergangenen Tagen dramatisch gesunken ist und Aufrufe zur Bürgerwehr und zur Selbstjustiz zur Folge hatte, wieder leicht verbessern und das Leben in die zuletzt ausgestorben wirkenden zentralen Fußgängerstraßen von Jerusalem zurückbringen. Die restlichen, altbekannten Maßnahmen zeigen jedoch, dass die Regierung weiterhin keine erkennbare Strategie hat, wie sie dieser "Intifada der Jugend" begegnen soll.
Abgesehen von der Hamas-Führung, die zwar die dritte Intifada ausgerufen hat, jedoch weder im Westjordanland noch in den arabischen Gebieten Israels Bewegungsfreiheit genießt, üben die übrigen etablierten palästinensischen Organisationen einen Seiltanz zwischen emphatischer Anteilnahme mit den jugendlichen "Märtyrern", der scharfen Kritik an Israels "Staatsterrorismus" und der Zurückhaltung, selbst aktiv zu Gewalt aufzurufen. Dieser Balanceakt ist nicht ohne Risiko. In Israel wächst die Empörung, dass regierungsnahe Medien und Politiker in Ramallah die getöteten Angreifer als "Helden" preisen und unerwähnt lassen, dass sie bei Attacken auf Israelis erschossen wurden. Netanjahu hat gestern denn auch zum ersten Mal nach Tagen des Schweigens Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in die Kritik genommen und gewarnt, Abbas werde die Verantwortung tragen müssen, falls die Gewalt weiter zunehme. Viel wird Netanjahu trotz der martialischer Androhung "aller Mittel" nicht gegen die Palästinenserführung unternehmen können. Eine groß angelegte militärische Operation wie in den Jahren der zweiten Intifada ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht durchsetzbar.
Zudem nehmen die Solidaritätskundgebungen der israelischen Arabern zu, die sich trotz aller staatlichen Assimilationsversuche weiterhin zu großen Teilen selbst als Palästinenser verstehen. Am Dienstag demonstrierten 20.000 in der arabischen Stadt Sachnin im Norden Israels, in den vordersten Reihen die Abgeordneten der arabischen Parteien im Parlament. "Seit Monaten warnen wir vor den Funken, die Israels Regierung auf dem Al-Aksa-Areal schlägt", rief der Parlamentarier Ahmad Tibi, "und niemand hat hingehört."