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Alte Grenzen neu gezogen

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Mit der Wiedereinführung von Passkontrollen machen Berlin und Wien Druck in der Debatte um die Flüchtlingsverteilung.


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Brüssel. Jean Asselborn fasste es knapp zusammen. "Dann können wir Schengen vergessen", befand der luxemburgische Außen- und Immigrationsminister, als er die neuen Grenzkontrollen in mehreren europäischen Ländern kommentieren sollte. Schon zuvor hat der Politiker, dessen Land derzeit den EU-Vorsitz innehat, davor gewarnt, dass das Schengen-Abkommen für Reisen ohne Passkontrollen in Gefahr sei, wenn die Mitgliedstaaten auf die Flüchtlingskrise mit Abschottung reagieren.

Doch als Asselborn in Brüssel mit den Innenministern der EU in einer Sondersitzung zusammensaß, hatten einige Länder schon diese Maßnahme ergriffen. Nach der Wiedereinführung der Grenzkontrollen durch Deutschland kündigte auch Österreich dies an. Stichprobenartige Kontrollen planen die Niederlande. Der tschechische Präsident Milos Zeman plädiert für den Einsatz der Armee an der Grenze. Die Slowakei will die Übergänge zu Ungarn und Österreich überwachen, und Polen ist zur verstärkten Sicherung seiner Grenzen ebenfalls bereit. Was den drei osteuropäischen Ländern noch gemein ist, ist die Ablehnung eines festen Schlüssels zur Verteilung der Flüchtlinge in der EU.

Beim Ministertreffen haben Prag, Bratislava und Warschau klargemacht, dass sie eine fixe Quote nicht akzeptieren würden. Diese Haltung nimmt auch die Regierung in Budapest ein. Auf der anderen Seite plädieren Länder wie Deutschland, Frankreich und Österreich für einen Schlüssel, der für eine gerechtere Verteilung der Asylwerber sorgen soll.

Genau damit argumentiert die EU-Kommission, die in der Vorwoche einen Plan zur Umsiedlung von 120.000 Flüchtlingen vorgelegt hat. Dadurch sollen Ungarn, Griechenland und Italien entlastet werden. Dies kommt zu dem Vorschlag hinzu, der eine Verlegung von 40.000 Menschen von Griechenland und Italien aus vorsieht. Die Kriterien für die Berechnung der Plätze in den einzelnen Ländern waren unter anderem die Bevölkerungszahl, die Wirtschaftskraft und die Arbeitslosenquote.

Aber erst nach monatelangem Ringen konnten sich die Mitgliedstaaten nun auf die Aufnahme der 40.000 Schutzsuchenden einigen, wobei sie auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt und in Brüssel gemeldet haben, wie viele Asylwerber sie übernehmen könnten. Bis zuletzt wurde dabei um 8000 Plätze gefeilscht. Gefunden sind diese zwar noch nicht, doch läuft der Umsiedlungsplan zwei Jahre.

Dennoch forderte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Länder dazu auf, zusätzliche 120.000 Flüchtlinge - vor allem Syrer, Iraker und Eritreer - aufzunehmen. Wieder sollte die Grundlage dafür ein fixer Verteilungsschlüssel sein. Und wieder war der Widerstand dagegen allzu groß.

Ringen um Plätze für160.000 Schutzsuchende

An der Zahl selbst sollte trotzdem nicht gerüttelt werden, und nur darauf konnten sich die Minister verständigen - mit Mehrheit. Einstimmigkeit konnte nämlich nicht erreicht werden. Eine Einigung auf die Quote gibt es nicht; und die Details der Umverteilung sind auch noch offen.

Nach den Vorgaben der Kommission müsste sich Österreich um 3640 von den 120.000 Menschen kümmern. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat auch schon die Bereitschaft dazu bekundet - anders als noch vor wenigen Monaten. An den Plänen zur Umsiedlung von 40.000 Menschen wollte sich Wien nämlich, wie Budapest, nicht beteiligen. Doch die aktuellen Vorschläge zur Verteilung von 120.000 Schutzsuchenden würden auch Ungarn umfassen - und damit gleichzeitig eine Entlastung für Österreich bedeuten, meinte Mikl-Leitner.

Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen verteidigte die Ministerin. Sie bezeichnete es als Signal, damit es "eine große gemeinsame europäische Antwort gibt". Diese sind die Mitglieder aber lange Zeit schuldig geblieben. Und auch wenn Deutschland, Österreich und andere Quoten-Befürworter durch die verstärkte Sicherung ihrer Grenzen den Druck auf zögerliche Staaten verstärken wollen, ist ein Meinungsumschwung noch nicht in Sicht. Daher kam auch immer wieder der Ruf nach einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs.

In der Zwischenzeit beschied die EU-Kommission Deutschland, dass die vorübergehenden Grenzkontrollen mit den europäischen Regeln vereinbar seien. Auch Österreich informierte die Brüsseler Behörde über die Maßnahme. Das Schengen-Abkommen sieht vor, dass ein Mitgliedsland "im Falle unvorhersehbarer Ereignisse" seine Grenzen absichern darf. Die Kontrollen dürfen zunächst zehn Tage lang aufrechterhalten werden, danach können sie jeweils um zwei Wochen verlängert werden. Ihre maximale Dauer beträgt nach Angaben aus der Kommission zwei Monate.

Die Zahl der Einreisenden soll ebenso dadurch begrenzt werden, dass schneller zwischen Flüchtlingen und Migranten aus wirtschaftlichen Gründen unterschieden werden kann. Zu dem Zweck soll die Liste sicherer Herkunftsländer erweitert werden - um Albanien, Montenegro, Mazedonien, Serbien, Bosnien und das Kosovo. Weitere Staaten können hinzukommen. Bisher hat jedes EU-Land eine eigene Liste erstellt. Bürger der darauf befindlichen Staaten können zwar weiterhin einen Asylantrag stellen. Doch müssen sie mit einem schnelleren, meist negativen Bescheid und Abschiebung rechnen.