Nicht nur das Mozartdenkmal musste seinen Standort wechseln. Ein Stadtspaziergang durch Wien auf den Spuren von "verrückten Figuren".
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Der Spruch Heraklits, "Alles fließt", der sich im Übrigen auf einem Brückenpfeiler der Stubenbrücke befindet, gilt auch für scheinbar feste Bauten. Frei nach dem Motto "Nix is fix" haben einige der bedeutendsten Denkmäler der Stadt ihren Standort verändert. Wir begleiten sie auf ihren Wegen von A nach B und werden Zeugen vergessener Ortsveränderungen.
Einmal mehr sind historische Ansichtskarten Belege dieser Veränderungsprozesse. Alte Ansichten von "Am Hof" zeigen das Denkmal des stolzen Strategen Radetzky. Johann Joseph Wenzel Anton Franz Karl Graf Radetzky von Radetz, 1766 in Böhmen geboren, war schon bei der Schlacht bei Wagram im Juli 1809 gegen Napoleon beteiligt. Er unterstützte dann Carl Fürst Schwarzenberg bei der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813, wurde 1831 zum Generalkommandanten der österreichischen Armee in Lombardo-Venetien ernannt und schlug 1848 in Italien die revoltierenden italienischen Truppen erfolgreich nieder.
Kaum ein Mann ist derart präsent wie der 1858 in Mailand verstorbene und in Kleinwetzdorf beigesetzte Radetzky, zumal ihm Johann Strauß Vater mit dem am 31. August 1848 uraufgeführten Radetzky-Marsch ein musikalisches Denkmal setzte, das in seiner Bekanntheit nur mit dem Donauwalzer (von Johann Strauß Sohn) mithalten kann.
Zwei Enthüllungen
Dass er bald ein repräsentatives Reiterdenkmal bekommen sollte, stand außer Zweifel, ab 1866 wurde seitens des Denkmalkomitees unter der Leitung von Erzherzog Albrecht eine Reihe von Standorten diskutiert. Die Entscheidung fiel, einer gewissen Logik folgend, auf den Platz vor dem damaligen Kriegsministerium. Dieses befand sich Am Hof (Nummer 2) neben der Kirche an der Ecke zur Bognergasse.
Das bronzene Standbild wurde am 24. April 1892 in Anwesenheit des Kaisers enthüllt. Selbstverständlich mit militärischem Pomp und zur Kaiserhymne. Der deutsche Bildhauer Prof. Caspar Zumbusch (1830-1915), der schon 1888 das Maria-Theresien-Denkmal geschaffen hatte, war der ausführende Künstler. Er stellte den Kriegsherrn in aufrechter Position sitzend dar, ähnlich den vier Reiterstatuen rund um das Maria-Theresien-Denkmal. Von der Elegance, die der Bildhauer Anton Dominik Fernkorn am Heldenplatz mit dem Denkmal von Erzherzog Karl gezeigt hatte, keine Spur.
Als das Kriegsministerium ein neues Gebäude am Stubenring bezog, das heutige Regierungsgebäude mit Sitz gegenüber der Postsparkasse Otto Wagners, wurde auch das Radetzky-Denkmal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion transferiert. Die "Neue Freie Presse" schreibt am 28. Juli 1912 über Radetzky: ". . . der um 1 Uhr nachts von seinem Platz Am Hof aufbrach und durch die Bognergasse über die Tuchlauben, die Brandstätte zum Riesentor der Stephanskirche zog, wo kurze Rast gehalten wurde. Die Ueberführung mußte geheimgehalten werden, da ein großer Menschenandrang gefährlich gewesen wäre."
Gott sei Dank ist alles gut gegangen, lediglich auf der Ringstraße musste die Oberleitung der Tramway gekappt werden, um der Statue Platz zu machen. Hier folgte die nunmehr zweite Enthüllung. Doch für die Zierde des architektonisch martialischen Kriegsministeriums mit den zahlreichen Soldatenköpfen über den Fenstern gab es auch andere Pläne. So präferierte Oberbaurat Ludwig Baumann (1853-1936), der Erbauer des Ministeriums, den von Fernkorn geschaffenen Löwen von Aspern hierher zu transferieren. Nachzulesen im "Neuen Wiener Tagblatt" vom 8. Mai 1912 unter dem Titel "Der Löwe von Aspern auf der Ringstraße".
Tatsächlich sollte es in diesem Grätzel nicht an Löwen als Symbole der Macht mangeln. So konnte man auch die Aspernbrücke bei der Urania damals im Grunde als Löwenbrücke bezeichnen. Bei der ersten, 1864 eröffneten Brücke befanden sich beiderseits der Brückenköpfe neben den allegorischen Figuren Krieg, Friede, Ruhm und Wohlstand des aus Böhmen stammenden Bildhauers Franz Melnitzky vier liegende Löwen.
Für mehr Wirkung
Auch die zweite Aspernbrücke (Eröffnung am 1. Dezember 1919) wurde noch von den vier Löwen Melnitzkys bewacht. Nach der Zerstörung des Bauwerks im Jahr 1945 folgte 1951 die dritte (und heutige) Aspernbrücke - allerdings ohne Löwen. Diese fanden in Niederösterreich ein würdiges Ausgedinge: zwei vor dem Schloss Hoyos in Horn, zwei weitere vor Schloss Gobelsburg. Die beiden Letzteren waren ursprünglich bei Schloss Haindorf bei Langenlois und kamen erst später nach Gobelsburg. Interessante Details enthüllte die Rathauskorrespondenz vom 3. März 1953. Demnach erbrachten 10.000 Kilo Weintrauben ein Löwenpärchen. Der Hintergrund dazu: Im Herbst 1945 hatte die Gemeinde Langenlois für Wiener Kinder Trauben gespendet, nun hatte sich die Stadt Wien ihrerseits mit zwei Löwen erkenntlich gezeigt.
Eine andere Denkmalverrückung befindet sich im Burggarten. Das Mozartdenkmal an dieser noblen Adresse korreliert mit der großen Bedeutung des Komponisten, und so würde man meinen, dass "Wolferl" schon immer hier stand. Von wegen! Die ersten Dekaden des Denkmaldaseins verbrachte der Komponist bei der Albertina, vor dem heutigen Café Mozart. Der Architekt des einst hier befindlichen Philipphofs, Karl König, entwarf auch das 7,5 Meter hohe Mozartdenkmal.
Die Figur Mozarts allerdings meißelte kein Geringerer als der bekannte Steinbildhauer Victor Tilgner aus weißem Marmor. Tilgner, 1844 in Wien geboren, schuf unzählige Bauplastiken, die heute alle wichtigen Gebäude der Ringstraße zieren. Darunter sind Naturforscher wie Alexander von Humboldt, Isaac Newton oder Carl von Linné am Naturhistorischen Museum ebenso wie William Shakespeare am Burgtheater oder Homer vor dem Parlament. Doch leider war dem großen Bildhauer die Eröffnung des Mozartdenkmals nicht mehr vergönnt. Er starb am 21. April 1896, wenige Tage vor der Enthüllung. Und kaum war die Hülle gefallen, gab es Stimmen für einen anderen Standort. Man plädierte für einen grünen Hintergrund mit Bäumen, um dem Denkmal mehr Wirkung zu verschaffen.
Wie so oft in Wien gab es Kritik, stellvertretend dafür sei die "Montags-Zeitung" vom 27. April 1896 zitiert, die einen gar nicht lobenden Artikel wie folgt schloss: "Aber vielleicht war es für den Meister ein Glück, daß er die Augen schloß, ehe er gewahr wurde, wie sehr man sein Werk durch die unglückliche Platzwahl geschädigt, und wie verhältnißmäßig wenig wahre Anerkennung er mit demselben bei seinem Volke gefunden hat." Der Standort sollte sich freilich ändern.
Das Denkmal, das beim Bombardement des Philipphofs am 12. März 1945 beschädigt worden war, wurde nach seiner Restaurierung am 17. Juni 1953 im Burggarten erneut der Öffentlichkeit präsentiert. Zudem hatte man vor dem Denkmal eigens einen neuen Eingang geschaffen, diesmal umgeben vom Grün der Bäume. Nicht unerwähnt soll ein Vorschlag des Architekten Hans Peschl bleiben. Er schlug vor, das Denkmal vor dem Kursalon des Stadtparkes zu positionieren und lieferte auf der Titelseite des "Illustrirten Wiener Extrablatts" vom 9. April 1903 eine Visualisierung. Doch daraus wurde nichts. Im Stadtpark - wenn auch nicht vor dem Kursalon - steht seit dem 26. Juni 1921 Johann Strauß, der Walzerkönig.
Eine weitere Verrückung, allerdings nur um wenige Meter auf die andere Straßenseite, betraf Ferdinand Raimund. Franz Vogl, ein wenig bekannter Bildhauer, schuf das Denkmal, das am 1. Juni 1898 vor dem Volkstheater enthüllt wurde. Im Jahr 1938 wurde der biedermeierliche Dichter in den Weghuberpark auf die andere Seite der Neustiftgasse transferiert. Die Versetzung im Oktober 1938 lief unter der Aktion "Kraft durch Freude" (KdF) der Deutschen Arbeitsfront.
Von Wien nach Singapur
Zur Entfernung schreibt das "Neue Wiener Tagblatt" vom 18. Oktober: "Die Verkehrstechniker behaupteten, daß es bei dem starken Verkehr, der an dieser Stelle während des ganzen Tages, insbesondere aber am Beginn und am Ende der Vorstellungen, zu verzeichnen ist, die Sicht behindert und daher zur Gefährdung der Straßenpassanten beitrage; die Baukünstler waren der Ansicht, daß durch das Denkmal die Architektonik des von Fellner und Hellmer geschaffenen Gebäudes beeinträchtigt wird. Andre wieder fanden es sonderbar, daß das Raimund-Denkmal vor dem Deutschen Volkstheater stehe, wo es doch in Wien ein Raimundtheater gebe (. . . )."
Zu guter Letzt gehen wir auf die Kärntner Straße. Als diese zur Fußgängerzone wurde, schuf 1974 der Architekt Wilhelm Holzbauer den Brunnen mit dem vielsagenden Titel "Nasser Stein". Über einen mannshohen grauen Granitblock floss Wasser. Böse Zungen sahen darin Ähnlichkeiten mit einem Pissoir, noch bösere Zungen behaupteten, dass der Brunnen sogar als solches verwendet wurde. Wer sich ein Bild machen will, findet ihn heute am Vorplatz des Sozialmedizinischen Zentrums Ost in Transdanubien.
1991 folgte an der Stelle des "Nassen Steins" der sogenannte Goldflussbrunnen, den Hans Muhr aus tauerngrünem Serpentin geschaffen hatte. Das ist das selbe Gestein, aus dem am Hauptbahnhof oder am Praterstern die Bodenplatten sind. Wer der Idee des Pissoirs verhaftet ist, würde auch bei dieser Brunnenskulptur Anklänge finden können. Auch hier fließt Wasser über breite, in Goldbronze ausgelegte Rinnen von oben nach unten.
2009 wurde auch dieser Brunnen entfernt. Er kam als Geschenk der Stadt Wien nach Singapur und ist somit - was die Distanz betrifft - eindeutig der Wiener Weltmeister in Sachen "Denkmalverrückungen".
Thomas Hofmann, geboren 1964, ist Bibliothekar und Autor. Zuletzt gab er im Löcker-Verlag das Buch "Altwiener Tiergeschichten" heraus.