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Alte Seilschaften am Nil

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik
Wo alles begann: Im "Grand Net" bloggte Khaled Said am 6. Juni 2010. Zwei Polizisten verschleppten ihn und prügelten ihn zu Tode. Die Proteste danach führten schließlich zum Sturz Hosni Mubaraks.
© Svensson

Ägypten rehabilitiert die Schergen Mubaraks und bereitet Parlamentswahlen vor.


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Alexandria. "Bisher habe ich gedacht, dass das nur in Bagdad passiert oder in Syrien", sagt Tarek al-Masry in Ägyptens zweitgrößter Stadt Alexandria. "Doch jetzt ist der Terror auch hier angekommen." Sprengsätze detonieren nahezu täglich in der Mittelmeermetropole: vor öffentlichen Gebäuden, Polizeistationen, Feuerwehr und auch in der Straßenbahn. Dass es bisher nur wenige Tote und Verletzte gab, grenzt an ein Wunder. Erst vor wenigen Tagen konnte noch rechtzeitig ein Sprengsatz entschärft werden, der in einer Tasche in einem Waggon der Straßenbahnlinie deponiert war, die in den Stadtteil Sidi Gaber führt. Die Leute waren auf dem Nachhauseweg. Es war Feierabendzeit.

"Wenn der explodiert wäre", schätzt Tarek, "wären wohl Dutzende tot oder verletzt." Die Folge sind Straßenblockaden und Zementblöcke vor Regierungsgebäuden und Hauptquartieren der Sicherheitskräfte. Ein bisschen erinnert Alexandria jetzt an Bagdad in der Anfangszeit des Terrors. Für Tarek bedeuten die Hindernisse stundenlange Staus und viel Warten im Auto. Wenn der Händler jetzt seine Kunden besucht, muss er die doppelte Zeit für den Weg einplanen. Als er kürzlich die Abu-Irr-Straße entlangfuhr, flogen Steine aus dem Campus der Universitätsfakultäten für Ingenieurswesen und Medizin.

"Ich war froh, dass keiner meine Windschutzscheibe getroffen hat." An den beiden Fakultäten hätten die Muslimbrüder noch viele Sympathisanten, weiß der 28-jährige ehemalige Politikstudent, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Möbelstoffen verdient. Die Proteste gegen die Entmachtung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi gehen weiter, "die Szene radikalisiert sich", hat Tarek beobachtet.

Alexandria liegt traditionell im Spannungsfeld zwischen islamistischen und liberalen Kräften. Beide werden von der Regierung in Kairo derzeit bekämpft. Politisches Engagement wird im heutigen Ägypten mit Terrorismus gleichgesetzt. In den Medien erfährt man nichts, was in Alexandria geschieht. Weder die Proteste finden Eingang in die Berichterstattung, noch die Bomben, die hier weit häufiger explodieren als in Kairo. Wiederholte Appelle der Regierung, "verantwortlich" mit Nachrichten umzugehen und "dem Land nicht zu schaden", zeigen Wirkung. Einzig die unzulängliche Berichterstattung über die koordinierten Attacken gegen Sicherheitskräfte auf dem Sinai Anfang Februar, als mehr als 30 Soldaten und Polizisten getötet wurden, ist scharf kritisiert worden. Doch die ohnehin schon gleichgeschalteten ägyptischen Medien geraten noch weiter unter Druck.

Lückenloser Maulkorberlass

Seitdem Generalfeldmarschall Abdul Fattah al-Sisi Anfang Juni 2014 seine Uniform auszog und Ägyptens neuer Präsident wurde, sind Gesetze zur Einschränkung der Demonstrations-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit immer weiter verschärft worden und haben schon viele Journalisten hinter Gitter gebracht. Kürzlich verpasste der 60-jährige Staatschef seinem Land die Radikalkur. In einem Dekret wird nicht nur jede Gruppe als "terroristisch" eingestuft, die Sicherheit, Einheit und sozialen Frieden gefährdet. Auch jede Organisation, die "den öffentlichen oder privaten Verkehr stört oder gefährdet", gilt demnach als "terroristisch".

Damit will Sisi nicht nur den zunehmenden Terror im Land bekämpfen. Sondern er kann nun auch friedliche Proteste gegen ihn und das Regime strafrechtlich verfolgen lassen. Der Maulkorberlass gegen 83 Millionen Einwohner des Landes ist nahezu lückenlos. Derart weitreichende Repressionen hat selbst Langzeitdespot Hosni Mubarak nicht gewagt seinem Volk zu verordnen, als dieser in den 1990er Jahren mit einer ähnlichen Terrorwelle konfrontiert war.

In Sidi Gaber, einem Stadtteil Alexandrias, hat der Traum eines demokratischen Ägyptens begonnen. Nachdem der Blogger Khaled Said im Juni 2010 vor dem Internet-Café "Grand Net" von Sicherheitskräften verschleppt und zu Tode geprügelt wurde, brachen die Proteste nicht mehr ab. Am Ende stand die Entmachtung Hosni Mubaraks im Februar 2011, der Volkszorn gegen Polizei und Staatssicherheit und gegen den Innenminister, der deren Entgleisungen verantworten sollte. Habib al-Adly wurde Anfang Mai 2011 wegen Geldwäsche und illegaler Bereicherung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, später in einem Prozess zusammen mit Mubarak bekam er lebenslänglich für die Mittäterschaft an der Tötung von Demonstranten auf dem Tahrir-Platz.

Genau an dem Tag, als al-Sisi sein Radikaldekret verkündete, wurde der verhasste ehemalige Innenminister freigesprochen. Fast täglich werden derzeit verurteilte Mitglieder des Mubarak-Regimes freigesprochen, während ebenfalls fast täglich neue Verhaftungen und Verurteilungen von Muslimbrüdern, deren Sympathisanten oder von denjenigen, die dafür gehalten werden, von Aktivisten und Demonstranten erfolgen. Mit Ex-Innenminister al-Adly kann jetzt auch Ex-Premier Ahmed Nazif, der als einer der korruptesten Politiker in der Mubarak-Regierung galt, wieder unbehelligt durch Kairo spazieren.

Auch das Urteil gegen Ex-Ölminister Sameh Fahmy und fünf weitere Angeklagte wurde aufgehoben. Ahmed Ezz, Stahl-Tycoon und Freund Mubaraks, wurde schon im Dezember auf freien Fuß gesetzt. Auch Mubarak selbst erlebt derzeit einen Freispruch nach dem anderen. Seine Söhne sind ebenfalls gegen Kaution frei. Die Schergen des Regimes Mubarak sind fast alle rehabilitiert.

Mubarak-Freunde im Aufwind

Noch sitzen sie nicht an den Schaltstellen der Macht. Die von Sisi eingesetzte Regierung weist nur ein einziges bekanntes Gesicht auf: Fayza Aboul Naga. Die ehemalige Ministerin für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit ist die Sicherheitsberaterin des Präsidenten. Unmittelbar nach dem Sturz Mubaraks schreckte die 63-jährige Politikerin ausländische Organisationen auf und machte sie für die Umsturzbewegung verantwortlich. Die Gerichtsverfahren gegen acht westliche Organisationen, darunter die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung, gehen auf ihre Initiative zurück. Es wäre kaum verwunderlich, wenn bald weitere bekannte Gesichter erneut Einzug in Regierungsebenen fänden.

Die dieses Jahr geplanten Parlamentswahlen weisen in diese Richtung. Ein neues Wahlgesetz begünstigt Direktkandidaten, Parteien haben eine geringe Bedeutung. Auf den Kandidatenlisten finden sich immer mehr ehemalige Mitglieder von Mubaraks Nationaler Demokratischer Partei, die immer noch verboten ist. Auch der gerade aus der Haft entlassene Stahl-Tycoon Ahmed Ezz will sich um einen Sitz im künftigen Parlament bewerben.