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Alte und neue Antisemiten

Von Thomas Seifert

Leitartikel

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Wenn Rechtsradikale gegen Muslime hetzten, wenn es um das Recht auf Beschneidung als religiöses Ritual ging - stets solidarisierten sich Österreichs Juden mit Muslimen. Und jetzt, da die Kritik an Israels Militäroperationen gegen die Hamas in Gaza bei manchen in offenen Antisemitismus umschlägt, hätten auch Juden diese Solidarität nötig, klagte mir unlängst der Chefredakteur des jüdischen Kulturmagazins "Nu", Peter Menasse, sein Leid. Menasse hat recht: Wenn bei Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza Parolen gegen Juden gegrölt werden, wenn bei einem Testspiel des israelischen Spitzenklubs Maccabi Haifa Zuschauer das Spielfeld stürmen und Spieler tätlich angreifen, dann ist das skandalös, beschämend und völlig inakzeptabel. Und dass, wie Menasse weiter vermutet, ein neuer Antisemitismus von bestimmten muslimischen Migrantengruppen ausgeht, sollte zu denken geben. Denn der neue Antisemitismus ist nicht weniger gefährlich als der alte.

Wer in Wien und Österreich aufwächst und lebt, hat eine Verantwortung gegenüber Israel. Die Geschichte beider Länder ist auf tragische Weise verwoben. Wien war nicht nur die Stadt Theodor Herzls, dessen Buch "Der Judenstaat" als erste Vision eines Staates Israel gilt, sondern auch die Stadt, in der Adolf Hitler sich den Antisemitismus zueigen machte. Das Resultat: der Völkermord an rund sechs Millionen Juden. Diese Verbrechen dürfen nie in Vergessenheit geraten, und über diese schreckliche historische Schuld muss man auch mit jungen muslimischen Österreichern reden.

Deprimierend ist zudem, wenn junge aus der Türkei stammende Österreicher die dümmlichen Parolen des zunehmend autokratischen türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan einfach nachplappern. Wer den Frieden im Nahen Osten herbeisehnt, darf nicht nur gegen die Abschnürung Gazas durch Israel, sondern muss auch gegen den Hamas-Raketenterror demonstrieren.

Doch all das heißt keineswegs, dass man die Politik des israelischen Premiers Benjamin Netanyahu gutheißen muss. Und es gibt auch keinen Freibrief, all jene als "Pali-Versteher" zu verunglimpfen, die es wagen, die Tötung von Kindern in Gaza durch israelische Militäroperationen schockierend zu finden. Harte Kritik an Israels Gaza-Operation ist legitim und berechtigt. Doch wo diese Kritik als gar nicht so versteckter Antisemitismus daherkommt, ist Schluss.