Die Augen und Ohren der Staatssicherheit sind überall. Diesen Eindruck haben viele Tschechen nach der jüngsten Abhöraffäre gewonnen, von der auch das Staatsoberhaupt Václav Klaus betroffen ist. Und viele haben das Gefühl, dass das schwere Erbe des Kommunismus noch lange nicht überwunden ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am Vorabend des tschechischen Staatsfeiertages am 28. Oktober brachte die tschechische Tageszeitung "Lidove Noviny" eine Karikatur, die einen etwas töricht wirkenden Moderator sagen lässt: "Wir leben in der festlichen Atmosphäre der Erwartung eines weiteren Skandals."
Damit spielte die Zeitung auf einen Konflikt zwischen dem Staatspräsidenten Václav Klaus und dem Regierungschef Stanislav Gross über die Praktiken der Staatssicherheit an, von denen auch das Staatsoberhaupt nicht verschont blieb, dessen Telefonate mit einem Freund abgehört wurden. Klaus hatte daraufhin die Abberufung des obersten Sicherheitschefs Jiri Kolar verlangt, die aber Gross und auch Innenminister Bublan abgelehnt hatten. Gross hatte lediglich eine Untersuchung des Falles bis Weihnachten zugesagt.
Was den Präsidenten und auch die Öffentlichkeit am meisten empört war die Äußerung Kolars, das Abhören sei eine normale Sache. "Wer nichts Ungesetzliches verbrochen hat, braucht sich ja vor dem Abhören nicht zu fürchten", erklärte er.
Reminiszenz an KP-Diktatur
Die Affäre bekam noch dadurch Auftrieb, weil in ihrem Zuge bekannt wurde, dass in den letzten fünf Jahren die Zahl der Fälle, in denen die Staatssicherheit abhörte, von 2.000 auf 10.000 gestiegen ist. Das aber musste die Tschechen an die Praktiken des kommunistischen Regimes erinnern. Und diese Erinnerungen sind immer noch wach, auch wenn demnächst der 15. Jahrestag des Sturzes der kommunistischen Herrschaft gefeiert werden wird.
Aber offensichtlich sind Restbestände dieser Herrschaft noch immer vorhanden, auch wenn Staatspräsident Klaus in seiner Ansprache zum Nationalfeiertag zur nationalen Versöhnung aufgerufen hatte. "Eine Reihe unserer Mitbürger hat das Gefühl", so sagte er, "dass wir mit dem Kommunismus noch nicht zur Rande gekommen sind". Man dürfe aber einem Menschen für seine Ansichten nicht für alle Zeiten ein Kainszeichen aufprägen. Das bedeute aber nicht eine Aufforderung zur Entschuldigung menschlichen Versagens oder eine Versöhnung mit dem Bösen und seinem Urhebern und Exekutoren. "Es ist die Aufforderung zur Versöhnung mit uns selbst, zur Versöhnung mit unserer Vergangenheit .Wenn wir nicht in der Lage sind, uns mit unserer Vergangenheit zu versöhnen, werden wir es nicht mit unserem Heute und Morgen, werden wir nicht mit uns selbst in Einklang kommen. Unsere heutige Neurose wird andauern."
Aus den Ausführungen des Staatspräsidenten ging eindeutig hervor, dass er unter "Versöhnung mit der Vergangenheit" die Zustände in den Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg versteht. Also mit der Ära, die vor 15 Jahren zu Ende gegangen ist.
15 Jahre nach Umbruch
So wird man am Staatsfeiertag des 17. November nicht nur der brutalen Unterdrückung der Studenten-Proteste und der Schließung der Hochschulen durch die deutschen Protektoratsbehörden 1939 bedenken, sondern auch der Niederwerfung der machtvollen Kundgebungen gegen die kommunistischen Eliten im November 1989, denen keine 14 Tage später der Zusammenbruch der kommunistischen "Herrschaft" folgte.
Aber es sind nicht nur die Jahrzehnte dieser Herrschaft, die das öffentliche Leben der Tschechischen Republik noch immer belasten. Es ist auch die noch immer offene Wunde der Vertreibung der über drei Millionen ehemaliger sudetendeutscher Staatsbürger nach dem Zweiten Weltkrieg. Darüber hat Klaus in seiner Aufforderung zur Versöhnung mit der Vergangenheit nicht gesprochen.
Damit befindet er sich zweifellos im Einklang mit der Mehrheit seiner Mitbürger, die dieses Kapitel in ihrer Geschichte für abgeschlossen halten. Aber auch da wird man irgendwann und irgendwie zu einem Ausgleich gelangen müssen, schon im Interesse des eigenen Selbstverständnisses. Und der Versöhnung weniger mit den Sudetendeutschen als mit der eigenen Geschichte.