5000 Senioren an Wiener Unis. | Sinnvolles Lernen in der Pension. | Mit Freude und Fleiß bei der Sache. | Wer kennt sie nicht? Sie sitzen im Hörsaal wie aufgefädelt in der ersten Reihe, schreiben eifrig mit, melden sich bei jeder Gelegenheit zu Wort und verwickeln die Vortragenden in heftige Diskussionen. Sie haben mindestens dreimal so viele Jahre am Buckel wie ihre Studienkollegen, und das Grau ihrer Haare unterscheidet sich deutlich von den Farben mit denen modebewusste Twens ihre Frisuren aufpeppen.
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Gemeint sind Seniorenstudenten, die meist in der Pension ihr Glück auf der Uni versuchen. Sie sind allgegenwärtig und ständig werden es mehr. - Glaubt man zumindest!
Gleichbleibender Anteil
Tatsächlich ist der Anteil der Seniorenstudenten gemessen an der Gesamtzahl aller Studierenden in Wien über die letzten fünf Jahre hinweg etwa gleich geblieben - bei knapp unter vier Prozent.
Insgesamt gibt es heute in Wien rund 5000 Seniorenstudierende. Das sind um 500 mehr als im Jahr 2001. Auffallend ist, dass fast doppelt so viele Frauen wie Männer die Chance zur Weiterbildung auf Hochschulniveau ergreifen. Die Motive für diesen Schritt sind unterschiedlich. "Ich habe mich von klein auf für Geschichte interessiert", erklärt Franz Kotrba, der 1999 als Vorstand der Flughafen Wien AG in den Ruhestand getreten ist und im Oktober das elfte Semester seines Geschichtestudiums an der Universität Wien in Angriff nimmt.
Nach der Matura habe er sogar Geschichte zu studieren begonnen, sei dann aber wegen der besseren Berufsaussichten auf Jus umgestiegen. Der 1940 geborene Manager hat sich das Geschichtestudium für die Pension aufbewahrt.
Neben der Zuwendung zu im Berufsstress vernachlässigten Interessen, kann auch der Wunsch nach einer spannenden Beschäftigung im Ruhestand Motivation für ein Studium sein.
"Das ist eine sinnvolle Tätigkeit für die Pension und gleichzeitig eine Gelegenheit, mein Hobby - das Hornspielen - theoretisch zu durchleuchten", antwortet Wolfgang Schubert (63), ehemaliger Wirtschaftschef der niederösterreichischen Landeskrankenhäuser, auf die Frage, warum er Musikwissenschaft zu studieren begonnen hat. Die "Aufklärungsarbeit" - etwa in Bezug auf Anmeldungsmodalitäten - habe ihm seine Tochter abgenommen.
Lebenslanges Lernen
Lebenslanges Lernen ist eines der bildungspolitischen Paradigmen der Europäischen Union. Mitunter scheitern Studien-Ambitionen älterer Menschen jedoch an den auf junge Studenten ausgerichteten Voraussetzungen an den Unis. Dr. Eckart Rusch mann ist Gründer und Leiter der "Innsbrucker Akademie für wissenschaftliche Erwachsenenbildung". Hier werden eigene Lehrgänge - etwa in Archäologie, Philosophie oder Soziologie - angeboten, die speziell auf die Bedürfnisse von Seniorenstudenten ausgerichtet sind. Institutionelle Barrieren sollen - laut Ruschmann - dadurch vermieden werden.
In Wien gibt es solche Lehrgänge nicht, weshalb ältere Studenten am ganz normalen Uni-Betrieb teilnehmen müssen. Die organisatorischen Tücken des Uni-Lebens stellen für Wolfgang Schubert aber mittlerweile kein Problem mehr dar. Am Beginn seines nunmehr fünften Semesters ist er in den Hörsälen und Seminarräumen wie zuhause und fühlt sich auch von den jüngeren Studienkollegen gut angenommen. "Die anderen Seniorenstudenten sitzen immer in der ersten Reihe und reden überall mit. Ich bemühe mich, mich da zurückzunehmen", erklärt Schubert. Er arbeite ganz normal mit den jungen Kollegen zusammen, tausche Mitschriften aus und bekomme sogar Urlaubsgrüße per E-mail zugeschickt. Das Studentenleben macht ihm Spaß.
Freude im Vordergrund
Spaß am Studium hat auch Franz Kotrba. Wenn er an das bevorstehende Semester denkt, schnalzt er genüsslich mit der Zunge: "Ich lese das Vorlesungsverzeichnis so wie die Speisekarte eines Haubenrestaurants!"
Meist bürde er sich zunächst immer viel zu viele Lehrveranstaltungen auf, die er dann nach und nach auf ein bewältigbares Maß von zehn bis zwölf Wochenstunden reduzieren müsse. Hierbei gilt Qualität als oberstes Gebot. Studiert wird, was sowohl inhaltlich als auch vom Vortrag her entspricht. Auch Kotrba pflegt einen guten Umgang mit den jüngeren Studenten. Zunächst seien diese zwar eher reserviert, meint er, wenn man dann besser bekannt sei, werde man aber ganz normal akzeptiert.
Kotrba ergänzt: "Ich bemühe mich auch, nicht der Besserwisser zu sein." Besonders wichtig ist für den Geschichtestudenten, dass er keinen der jungen Kollegen in seinem Fortkommen behindert. In diesem Sinne habe er auch schon das eine oder andere Mal auf einen Seminarplatz verzichtet.
Abschluss angestrebt
Daraus darf man allerdings nicht schließen, dass Seniorenstudenten keinen Wert auf das Erlangen von Zeugnissen oder auf das rasche Fortkommen im Studium legen würden. Wolfgang Schubert hat allein im letzten Semester zehn Prüfungen absolviert. Die "Wiener Zeitung" hat ihn zwar im Urlaub überrascht, aber von reiner Entspannung kann ohnehin keine Rede sein. Der Laptop ist dabei, zwei Seminararbeiten harren der Vollendung.
In punkto Zielstrebigkeit ortet der fleißige Student bei sich einen gewissen altersbedingten Vorteil. "In der Jugend ist man halt mehr abgelenkt", meint er verschmitzt. Ein ordentlicher Studienabschluss gilt für Schubert als Muss.
Franz Kotrba ist bereits mit sämtlichen Pflichtvorlesungen und -seminaren fertig. Konkretes Diplomarbeitsthema gibt es noch keines, aber es soll etwas über österreichische Afrikareisende werden. Das Studienende plant Kotrba für 2008. Was er danach machen wird, weiß er noch nicht, bis dahin ist Kotrba auf alle Fälle mit Freude und Eifer Student.