Indien: Mord an Hinduführer führte zu Jagd auf Christen. | Vatikan-Dialog mit Islam: Benedikt XVI. verurteilt Gewalt. | Wien. Eine Woge der Gewalt brach in den vergangenen Wochen über Christen unterschiedlicher Konfessionen in Indien und im Irak herein. Die Lage ist nach wie vor angespannt.
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Denn im indischen Bundesstaat Orissa ist am 5. November wieder ein radikaler Hinduführer, Dhanu Pradhan, ermordet worden. Nach dem Mord am Hinduführer Swami Lakshmanananda Sarawati am 23. August - beide Morde dürften auf das Konto maoistischer Terroristen gehen - hatten radikale Hindus die Schuld den Christen gegeben und sie brutal verfolgt. Die Ausschreitungen griffen in der Folge auf weitere indische Bundesstaaten über, vor allem solche, in denen die nationalistische Hindupartei BJP an der Macht ist.
In Orissa hatten viele Christen bereits im Dezember 2007 vor den Hindus in die Wälder fliehen müssen. Laut indischem Innenministerium wurden zwischen Jänner und September 2008 in ganz Indien 695 ethnische Konflikte registriert, die meisten davon, 159, in Orissa. Das Problem sei, sagen indische Christen, dass die Schuldigen in der Regel nicht bestraft würden.
Die Aktionen dürften systematisch geplant und gesteuert worden sein. Berichten zufolge gingen die Gewalttäter nach einer detaillierten Liste christlicher Einrichtungen vor und zerstörten diese gezielt. Flüchtlinge berichteten von Morden, grausamen Misshandlungen und Vergewaltigungen. Man stellte Christen vor die Wahl, zu sterben oder sich zum Hinduismus zu bekehren, was etliche dann in ihrer Not taten.
Nannte eine vorläufige Bilanz der Organisation Christian Solidarity International (CSI) für Indien ab Ende August 2008 mehr als sechzig Tote, mehr als 800 Verletzte und rund 50.000 Vertriebene - praktisch alle Christen von Orissa -, so gaben Regierungsvertreter von Orissa inzwischen zu, dass mindestens 500 Menschen getötet wurden. Mehr als 6000 Häuser, etwa 200 Kirchen sowie zahlreiche Schulen und Sozialzentren in hunderten Dörfern wurden zerstört. Das lässt eine Rückkehr der Vertriebenen, von denen etwa ein Viertel, 13.000, in Lagern untergebracht ist, während die anderen noch in den Wäldern hausen, undenkbar erscheinen, zumal alle weiter um ihr Leben fürchten.
In Indien hat der religiöse Konflikt auch ethnische und soziale Faktoren. Die meisten der in Orissa verfolgten Christen sind laut Ulrich Delius von der "Gesellschaft für bedrohte Völker" (GfbV) verarmte und diskriminierte "Adivasi" - nichtarische Ureinwohner. Um diese Gruppe, die man auch um ihre Landrechte bringen will, und auch um die "Dalit" - die Kastenlosen - kümmere sich besonders die Kirche, erklärte Sarat Chandra Nayak, Bischof von Berhampur im Süden Orissas, kürzlich bei einem Europabesuch. Aus der Sicht von Nayak wollen die herrschenden Kasten den sozialen Aufstieg anderer Gruppen verhindern.
Irak: Terror gegen uralte christliche Gemeinden
"Wir sind friedliche Leute. Als mein Bruder hingerichtet wurde, hatte er keine Feinde. Warum wurde er getötet? Er war nicht Mitglied einer Partei. Es gab keinen Grund - außer dass er Christ war." So beklagte laut einem Bericht der "Times" eine 60-jährige Frau am 27. Oktober den Tod ihres Bruders in der nordirakischen Stadt Mossul. Dort wurden jüngst 2000 christliche Familien von fanatischen Muslimen gewaltsam vertrieben, auch dabei gab es viele Todesopfer. Im Irak begann der zunehmende Terror gegen die Christen bald nach dem Einmarsch der Amerikaner.
Bisheriger Höhepunkt der Entwicklung war die Entführung des chaldäisch-katholischen Erzbischofs von Mossul, Faraj Rahho, dessen Leiche am 13. März 2008 auf einer Müllhalde aufgefunden wurde. Die GfbV nannte diese Tat damals eine "klare Botschaft arabisch-islamistischer Terrorgruppen" an die Christen, die Region um Mossul für immer zu verlassen, obwohl dieses Gebiet seit dem 3. Jahrhundert christlich besiedelt war. Die abstrusen Forderungen der Entführer gipfelten darin, dass man von der chaldäisch-katholischen Kirche verlangte, Waffen für die Terroristen zu beschaffen und in ihren Gotteshäusern zu verstecken sowie christliche Selbstmordattentäter zur Verfügung zu stellen.
Der chaldäisch-katholische Bischof von Amadia und Arbil, Rabban Al-Quas, sah die Ereignisse im Gespräch mit der katholischen Nachrichtenagentur "AsiaNews" als "das Ergebnis eines langen Schweigens des Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki und seiner Regierung, die nicht im Stande ist, die Welle der Gewalt gegen die Christen zu bremsen". Auch die amerikanische Besatzungsmacht und UNO-Repräsentanten sähen dem Morden und der Vertreibung tatenlos zu. In Mossul sei die Zahl der Christen seit 2003 um 75 Prozent gesunken.
"Saddam Hussein bot mehr Schutz als USA"
Von den rund 1,5 Millionen Christen, die noch im April 2003 im Irak lebten, hatte im Frühjahr 2008 bereits etwa die Hälfte das Land verlassen. "Es ist auf beklemmende Weise grotesk, dass sie unter der Herrschaft des Diktators Saddam Hussein besser lebten als unter dem Schutz der Amerikaner", merkte dazu der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, an.
Papst Benedikt XVI. hat die Gewaltakte verurteilt und an die Regierungen betroffener Staaten appelliert, die Rechte der Christen zu schützen. Ein Dialog von jeweils 24 katholischen und islamischen Gelehrten im Vatikan endete am Donnerstag mit einer Schlusserklärung, die ein gemeinsames Bekenntnis zu Religionsfreiheit und Minderheitenschutz und eine klare Absage an Gewalt enthält.
Inzwischen sind Hilfsprojekte für die verfolgten Christen angelaufen, zum Beispiel von "Missio" in Wien (www.missio.at), dessen Chef, Leo-M. Maasburg jahrelang mit Mutter Teresa von Kalkutta gearbeitet hat.