Chinas geopolitische Strategie der Neuen Seidenstraße in Lateinamerika.
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Lateinamerika steht seit Jahren im Fokus konkurrierender wirtschafts- und sicherheitspolitischer Ziele internationaler Akteure: der alten Hegemonialmacht der USA, der expandierenden EU und der sich als neue Weltmacht positionierenden Volksrepublik China.
Diese neue Rolle Chinas nimmt spätestens mit der von Staatspräsident Xi Jinping 2013 proklamierten Wirtschaftsordnungskonzeption der Neuen Seidenstraße auch klare geostrategische Strukturen an. Neben der verkehrs- und kommunikationspolitischen Einbindung der für die expandierende Wirtschaftsmacht relevanten Ressourcenzonen Lateinamerikas stehen speziell die die beiden Ozeane verbindenden Verkehrswege in Zentralamerika im strategischen Interesse Chinas. Dies gilt für den erweiterten und privatisierten Kanal in Panama (Kapitalmehrheit von Aktionären aus Taiwan) als auch für das Megaprojekt eines von einem Konsortium in Hongkong zu finanzierenden interozeanischen Kanals in Nicaragua sowie verschiedene Projekte panamerikanischer Eisenbahnverbindungen zwischen der Pazifik- und der Atlantikküste.
Eine rein geopolitische Bewertung blendet jedoch einen Aspekt aus, nämlich den der ideologisch-kulturellen Legitimierung der Expansionspolitik Chinas mit dem Anspruch, den Ländern der Dritten Welt im Gegensatz zur "asymmetrisch-kapitalistischen" okzidentalen Wirtschaftsordnung ein alternatives "symmetrisches Entwicklungsmodell" zu geben. Damit knüpft China an die Tradition der maoistischen Volksrepublik China an, die nach der Übernahme der Position eines ständigen Mitglieds im UN-Sicherheitsrat 1973 die Führungsrolle der entkolonialisierten Entwicklungsländer beanspruchte.
In dem Maße, in dem diese Dritte-Welt-Ideologie Chinas angesichts
der Realität seiner geopolitischen Strategie nach ökonomischer Weltherrschaft abnahm, stieg die Bedeutung einer zweiten Legitimationswurzel, nämlich der Doktrin des Neokonfuzianismus. Ein Instrument der Akkulturation stellt dabei das System der Konfuzius-Institute dar. Diese an großen Universitäten etablierten Sprach- und Kulturvermittlungseinrichtungen umfassten seit der Erstgründung im Jahr 2006 in Peru 2016 bereits 30 Institute in 16 Ländern Lateinamerikas mit rund 150.000 Studierenden. In den vergangenen Jahren wurden von den weltweit hunderten Instituten (allein in den USA waren 161 gegründet worden) dutzende wieder geschlossen beziehungsweise der Universitäten verwiesen, da man durch die direkte Unterstellung der Institute unter die Kommunistische Partei Chinas die akademische Freiheit bedroht sah.
In diesem Kontext erscheint die weltweite Einschätzung Chinas als "Partner" oder "Feind" interessant: Lateinamerika positioniert sich mit 54 Prozent "Partner" im Mittelfeld, wesentlich positiver ist die Einschätzung Afrikas (68 Prozent) und deutlich negativer die der EU (37 Prozent "Partner" vs. 53 Prozent "Feind"). Dem entspricht auch die pragmatische Haltung der Regierungen der meisten Länder Lateinamerikas, die trotz zunehmender innergesellschaftlicher Kritik in China noch mehr den "friedlichen Panda" als den "aggressiven Drachen" sehen.
Gernot Stimmer hat Rechtswissenschaften, Kultursoziologie und Politikwissenschaft in Wien und Salzburg studiert. Er war Generalsekretär des Rings Österreichischer Bildungswerke und ist Dozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Eine Langfassung des Textes ist als "Policy Brief" der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) erschienen: www.oegfe.at/policybriefs