Wissenschaftliche Studien aus fünf Ländern zeigen eine enorm hohe Letalität in Betreuungseinrichtungen für Alte und Pflegebedürftige.
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Wien. Die "Pio Albergo Trivulzio" ist mittlerweile ein Fall für die Polizei. Am Dienstag durchsuchten zahlreiche Beamte die Büros des Mailänder Altersheims, das mit 350 Bewohnern zu den größten derartigen Einrichtungen in Italien zählt. Ermittelt wird vor allem gegen die Führungsebene des Hauses, in dem in den vergangenen Wochen fast 100 alte Menschen verstorben sind. Sie soll zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen missachtet haben, mit denen verhindert werden sollte, dass sich das Coronavirus ungehemmt unter den betagten Bewohner ausbreitet.
Die Todesrate in den italienischen Alters- und Pflegeheimen ist allerdings auch dann enorm, wenn die Vorschriften, so gut es eben geht, eingehalten werden. Im Altersheim der kleinen Gemeinde Mediglia sind 62 der 150 hier lebenden Senioren der Lungenkrankheit Covid-19 erlegen. In Merlara in der Region Venetien haben sich alle 73 Pensionisten der dortigen Seniorenresidenz mit Sars-CoV-2 angesteckt, bereits 22 von ihnen sind gestorben.
Knapp 60 Prozent in Spanien
Wie stark alte und teilweise geschwächte Menschen durch das Coronavirus gefährdet sind, zeigen aber nicht nur derartige Einzelfall-Beschreibungen. Knapp zwei Monate nach dem Auftreten der ersten Corona-Fälle in Europa gibt es nun auch zunehmend wissenschaftliche Studien, die die Todesfälle in den Alten- und Pflegeheimen in Relation zum gesamten Epidemie-Geschehen setzen.
So haben Adelina Comas-Herrera von der London School of Economics und ihr Kollege Joseba Zalakain Untersuchungen aus fünf europäischen Ländern zusammengetragen, die allesamt von einem sehr hohen Anteil der Altersheim-Todesfälle an der Gesamtzahl der Corona-Toten ausgehen. In Belgien lebten von den 3346 bis zum 11. April Verstorbenen knapp 42 Prozent in einer Betreuungseinrichtung für alte oder pflegebedürftige Menschen. Knapp 90 Prozent der belgischen Heime verzeichneten zudem mindestens einen Corona-Fall.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in Frankreich, wo die Altersheimbewohner knapp 45 Prozent der insgesamt verzeichneten Corona-Todesfälle ausmachen. Und auch hier ist das Virus weit vorgedrungen. Von den 93.790 gemeldeten Infizierten zum Stichtag 11. April lebten 35.864 in einem Heim.
Noch höher fallen die Raten allerdings in den bisher in Europa am schwersten getroffenen Ländern Italien und Spanien aus. Hier gehen die Untersuchungen sogar davon aus, dass Todesfälle von Altersheimbewohnern 53 beziehungsweise 57 Prozent aller Corona-Toten ausmachen.
Dass es in Ländern mit besonders vielen Toten wie Frankreich, Spanien, Italien und Belgien extrem viele Tote im Altersheim gibt, dürfte im Umkehrschluss auch Thesen stützen, warum es in Ländern wie Deutschland und Österreich eine bisher vergleichsweise geringe Letalitätsrate gibt. Denn nach bisherigem Wissensstand dürfte der Ursprung vieler Infektionskette hier in den Tiroler Bergen liegen, wo sich vor jüngere und körperliche fitte Skifahrer mit dem Virus angesteckt haben, während die Alten vergleichsweise gut abgeschottet wurden.
Wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Dienstag auf Anfrage der "Wiener Zeitung" bei der Regierungspressekonferenz erklärte, gibt es in Österreich keine Daten dazu, wie viele Covid-19-Tote in Pflegeheimen gewesen sind. Hierzulande wird lediglich das Geschlecht und das Alter erfasst, nicht jedoch der letzte Aufenthalts- bzw. Wohnort. Eine entsprechende Gesamtstudie sei jedoch in Auftrag gegeben worden, sagte Anschober.