Berlakovich fürchtet den Verlust eines Teils der österreichischen Landeskultur.
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Wien. Knollenziest, Bittergurken, Flamentiner Kirschen und Graue Herbsrenetten: Gemüse- und Obstsorten wie diese sind alt, selten - und vom Aussterben bedroht. Sieht doch der Entwurf der neuen EU-Saatgutverordnung vor, dass künftig sämtliche Sorten demselben Zulassungsverfahren unterzogen werden müssen wie Industriesorten, um sie weitergeben zu dürfen.
Ein wesentliches Entscheidungskriterium dabei: Die Pflanzen müssen möglichst uniform sein - was seltene und bäuerliche Sorten, die sich durch ihre Vielfalt auszeichnen, nicht sind. Die Arche Noah, die sich für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt einsetzt, und die Umweltschutzorganisation Global 2000 schlagen daher Alarm. In einer am Dienstag online gestellten Petition (www.freievielfalt.at) machen sie gegen die neue EU-Saatgutverordnung mobil.
Doch nicht nur Umweltschützer protestieren, auch Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich sagte auf Nachfrage der "Wiener Zeitung": "Die geplante EU-Saatgutverordnung gefährdet genetische Ressourcen. Mit dem Verlust der alten Sorten würde ein Teil unserer Landeskultur verloren gehen. Die geplante Verordnung wird keine bessere Qualität von Saatgut mit sich bringen, dafür aber mehr Bürokratie."
"Seltene Sorten können die Zulassungsverfahren aus biologischen Gründen nicht bestehen und wären von der Weitergabe ausgeschlossen. Es handelt sich klar um eine unzulässige Diskriminierung", betonte auch Iga Niznik von der Arche Noah am Dienstag. Bauern und Gärtnern, die selbst vermehrtes Saatgut ohne Sortenzulassung trotzdem weitergeben wollen - und sei es auch nur via Tauschhandel -, drohe ein Verwaltungsstrafverfahren.
"Die Nutznießer sind wieder einmal die Agrarkonzerne"
Der Großteil der rund 6500 seltenen Sorten der Arche-Noah-Saatgutsammlung sei somit vom Aussterben bedroht. Wie viele alte Sorten es österreichweit gibt, kann Niznik nicht sagen, weil viele gar nicht erfasst seien. Für kommendes Wochenende sei jedenfalls ein Workshop mit 45 Teilnehmern aus 18 EU-Ländern geplant, um das weitere Vorgehen im Kampf für den Erhalt der alten Sorten und gegen den Verordnungsentwurf zu besprechen.
"Die Nutznießer sind wieder einmal die Agrarkonzerne", resümiert Heidemarie Porstner, Agrarsprecherin von Global 2000. "Vier große Konzerne, die das Saatgut weltweit in der Hand haben." Das sowie die Intensivierung der Landwirtschaft, die mit Monokulturen und intensiver Düngung einhergeht, hätten zum Verschwinden von 75 Prozent aller Sorten innerhalb der vergangenen 100 Jahre geführt. Für die großindustrielle Verarbeitung brauche man idente Früchte.
Doch noch sei es nicht zu spät: Über den Entwurf soll Ende April in der EU-Kommission abgestimmt werden - wann die Verordnung im EU-Parlament behandelt wird, hängt vom Ausgang der Abstimmung ab. "Da es schon jetzt viele kritische Stimmen gibt, werden die Verhandlungen wohl mindestens zwei Jahre dauern", heißt es dazu aus dem Büro von Elisabeth Köstinger, ÖVP-Europaabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.
In den Chor der EU-Verordnungsgegner stimmten am Dienstag auch die Grünen mit ein. Landwirtschaftssprecher Wolfgang Pirklhuber verkündete, dass die Grünen an einer gemeinsamen österreichischen Position arbeiten, "die eindeutig klarmacht, dass die neue Saatgutverordnung nicht die Vielfalt der Pflanzen gefährden darf". Ein diesbezüglicher Antrag soll im kommenden Nationalrat eingebracht werden. "Es wäre absurd, wenn wir einerseits Biodiversitätsziele formulieren und dann auf der anderen Seite Pflanzenvielfalt torpedieren."