Verschlafen liegt das kleine Örtchen Goseck im sachsen-anhaltischen Landkreis Weißenfels (Deutschland) da, auch hier treibt die Hitze die Menschen in den Schatten. Nichts deutet darauf hin, dass hier eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen aller Zeiten gemacht wurde: Luftbildaufnahmen halfen, das älteste Sonnenobservatorium Europas zu | finden. Auf rund 7.000 Jahre schätzt Francois Bertemes von der Universität Halle-Wittenberg das Alter der Anlage. "Sie ist eines der ersten ,Heiligtümer', die in Mitteleuropa entdeckt wurden", beschreibt er die Bedeutung des Fundes.
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Doch nicht nur ihr Alter macht die Anlage einzigartig: Während die etwa 180 Kreisgrabenanlagen, die man in Mitteleuropa kennt, zumeist vier Tore hatten, weist die Gosecker Anlage drei Tore auf. Dass dies kein Zufall ist, konnte Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum nachweisen. Der Astronomie-Experte zeigte auf, dass die südlichen Tore exakt den Sonnenauf- und -untergang zur Wintersonnenwende markieren. Dennoch macht er deutlich: "Es handelt sich hierbei nicht um ein Kalenderbauwerk, sondern es ist eindeutig ein Sakralbau." Dies unterstreicht auch Bertemes: "Solche Kultstätten waren Zentren des religiösen und gesellschaftlichen Lebens."
3.000 Jahre vor Stonehenge, viel älter als Nebra-Fund
Dennoch hatten die Anlagen auch einen wissenschaftlichen Zweck: Die Beobachtung astronomischer Phänomene. In Goseck errichteten frühe bäuerliche Gemeinschaften bereits 3.000 Jahre vor der letzten Ausbaustufe des englischen Stonehenge diese monumentale Anlage. Für die Forscher hat der Fund daneben aus einem weiteren Grund besondere Bedeutung: "Der Aufbau der Anlage, ihre Ausrichtung und die Markierung der Wintersonnenwende lässt sich auf der inzwischen weltberühmten Himmelsscheibe von Nebra wiederfinden - allerdings entstand diese etwa 2.400 Jahre später", so Schlosser. Für ihn ein Zeichen der Kontinuität, mit der die frühen Menschen die Gestirne beobachteten.
Nach der Entdeckung auf Luftaufnahmen von 1999 begannen die ersten Ausgrabungsarbeiten im vergangenen Jahr. Da die Arbeiten als Lehrgrabungen für Studenten der Universität Halle-Wittenberg und der Bergakademie Freiberg angelegt sind, kann immer nur wenige Wochen im Jahr gebuddelt werden. In diesem Sommer sind noch bis Ende August rund 30 Studenten bei den Grabungen dabei, im kommenden Jahr sollen zehn Studenten der University of California, Berkeley, hinzukommen.
Kreisgraben und Ringe
Schon jetzt wissen die Forscher auf Grund einer Rekonstruktion, wie die Anlage in Goseck vor 7.000 Jahren aussah: Sie hatte einen Kreisgraben von rund 75 Metern Durchmesser, der im Inneren mit zwei übermannshohen Palisaden gleichsam noch einmal nachgezogen wurde. Am äußeren Ring befanden sich drei aufwändig gestaltete Tore, während die Durchgänge in den hölzernen Palisaden immer enger wurden. "Wir haben auf einer Rekonstruktionszeichnung deshalb auch dargestellt, dass sich im Inneren der Anlage vermutlich nur einzelne Menschen aufhalten durften, während 'das Volk' vor den Toren lauschte, was sich im Zentrum tat", so Bertemes.
In der Anlage könnten demnach religiöse Zeremonien stattgefunden haben. Die Wissenschafter sind sich nach den Entdeckungen von Nebra und Goseck sicher, dass bereits für die ersten agrarisch geprägten Gesellschaften Europas die Festlegung markanter Fixpunkte der Jahreszyklen von größter Bedeutung war. Sowohl die Gosecker Kreisgrabenanlage als auch die Himmelscheibe von Nebra zeigen ihnen, dass astronomisches Wissen von Anfang an mit mythologisch-kosmologischen Vorstellungen verknüpft waren. Dadurch gewähren beide Funde Einblicke in die geistig-religiöse Welt der ersten Bauern Europas.
Dass sie das Entstehungsdatum der Gosecker Anlage so genau festlegen konnten, verdanken die Archäologen Fundstücken auf dem Gelände. So entdeckten sie Material aus der frühen stichbandkeramischen Kultur, die mit großer Sicherheit in die Zeit zwischen 5.000 und 4.800 vor Christus eingeordnet werden kann. Damit steht für sie auch fest, dass Goseck das älteste zweifelsfrei nachgewiesene Sonnenobservatorium Europas ist. So steht die Anlage am Anfang einer Reihe vergleichbarer gewaltiger Erdwerke der europäischen Jungsteinzeit und frühen Bronzezeit.
Zuschauen via Internet
Für den Landrat des Landkreises Weißenfels, Rüdiger Erben, haben sich aus der Entdeckung der Gosecker Anlage eher unwissenschaftliche Möglichkeiten ergeben. Er könnte sich vorstellen, dass die Anlage zu einem "Mekka für Hobbyarchäologen und -astronomen" werden könnte. Auch Bertemes denkt über den Tag hinaus: Bis 2007 sollen die Ausgrabungsarbeiten abgeschlossen sein, danach könnte er sich eine vollständige Rekonstruktion einschließlich der Palisaden gut vorstellen. Den Weg bis dahin können Interessierte im Internet verfolgen: Unter www.praehist.uni-halle.de werden Bilder direkt von der Ausgrabungsstätte übertragen.